AHNIG VO BOTANIK – Chriecherli und Zypperli
15.10.2020 Baselbiet, RegionChriecherli und Zypperli
Andres Klein
Auf einem verwahrlosten Pflanzplätz in Lostorf fand ich einen Baum, der blaue Früchte wie der Schwarzdorn trug. Diese waren aber grösser und vor allem süss-sauer, ohne dass es «lange Zähne» gab. Die ...
Chriecherli und Zypperli
Andres Klein
Auf einem verwahrlosten Pflanzplätz in Lostorf fand ich einen Baum, der blaue Früchte wie der Schwarzdorn trug. Diese waren aber grösser und vor allem süss-sauer, ohne dass es «lange Zähne» gab. Die Familienzugehörigkeit und Gattung waren klar. Es war eine Steinfrucht wie Zwetschge, Kirsche und Co. Zum Glück konnte mir der Obstexperte Frits Brunner weiterhelfen. Er nannte die Frucht Krieche oder Haferpflaume. Diese Namen sind in Deutschland und Niederösterreich geläufig. Bei uns schüttelten die ersten Angefragten den Kopf – nie gehört. Erst ein Schnapsbrenner meinte: «Nicht Kriecher, sondern ‹Chriecher›.» Eine 91-jährige Frau aus Bretzwil bestätigte: «Wir hatten zu Hause immer ‹Chriecherli›.»
Ein anderer Experte meinte, es seien Zybarten. Nach dem Studium der Bestimmungsbücher war klar: Zybarten sind grün, gelb oder rötlich und haben viel grössere Blätter. Im Kaiserstuhl war mir diese Pflaume zum ersten Mal begegnet, als ich sie in flüssiger Form für einen Freund kaufen durfte. Aber als ich dann erfuhr, dass der Übername der Langenbrucker früher «Zypperliränze» war, wusste ich, dass auch im Baselbiet diese Pflaume wächst.
Eine dritte Wildpflaumenart ist bei uns hie und da in Hecken, alten Gärten und an Waldrändern zu finden. Sie ist rötlich und gelblich, etwas grösser als eine Kirsche. Schon als Knaben haben wir sie nicht besonders gerne bei Nachbars stibitzt, weil sie etwas fad und langweilig ist. Sie heisst Kirschpflaume.
Alle drei Pflaumenarten wurden bis ins vergangene Jahrhundert bei uns kultiviert. Sie haben den Vorteil, dass sie nicht veredelt werden müssen. Ihre Wurzelausschläge tragen wieder Pflaumen. Schon Pfahlbauer, Römer und Alemannen haben diese Früchte genossen. Während sie in früheren Zeiten auch gedörrt wurden und im Winter als Vorrat dienten, steht heute bei «Chriecherli» und «Zibärtle» das Brennen im Vordergrund. Im Kaiserstuhl und in Niederösterreich sind das wichtige Lokalprodukte. Aber auch eigene, selber gemachte Konfitüre, Gelée und frisch gepresster Saft aus «Chriecherli» schmecken mit ihrem süss-säuerlichen Aroma wunderbar.
Ganz spannend wird es, wenn es um die Verwandtschaft dieser Pflaumen geht. Naheliegend wäre es, dass der Schwarzdorn die Urpflanze aller Pflaumen ist. Denn alle drei haben ähnliche Steinfrüchte, die in der Regel schlecht vom Stein lassen. Alle machen Stockausschläge und alle können ziemlich lästige Dornen bilden. Da aber die Zusammensetzung des Erbguts sehr unterschiedlich ist, kann bis heute niemand die Verwandtschaft erklären. In der Regel haben Lebewesen zwei Chromosomensätze. Die Kirschpflaume hat 2 mal 8, der Schwarzdorn 4 mal 8 und die Krieche und die Zybarte haben 6 mal 8 Chromosomen. Kreuzungen sind somit fast unmöglich und führen zu sterilen Abkömmlingen. Der Schwarzdorn kann also kaum die Urmutter oder der Urvater sein. Lassen wir darum die Genetiker weiterforschen und geniessen wir ein Stück Brot mit «Chriecherli»-Konfitüre, oder …
P.S.: Falls Sie einen «Chriecherli»- oder «Zypperli»-Baum haben, melden Sie sich bitte unter redaktion@volksstimme.ch
Andres Klein ist Biologe. Er lebt in Gelterkinden.