«Keine Anzeichen für eine grössere Welle»
16.10.2020 Baselbiet, WirtschaftKonkursamtleiter Reto Tschudin bleibt hinsichtlich Konkursen wegen Covid-19 gelassen
Die Corona-Pandemie zieht eine Rezession nach sich. Doch von gehäuften Firmenpleiten ist im Baselbiet bislang nichts zu merken. Im Gegenteil: Im laufenden Jahr gibt es auffällig wenige Konkurse, wie Reto ...
Konkursamtleiter Reto Tschudin bleibt hinsichtlich Konkursen wegen Covid-19 gelassen
Die Corona-Pandemie zieht eine Rezession nach sich. Doch von gehäuften Firmenpleiten ist im Baselbiet bislang nichts zu merken. Im Gegenteil: Im laufenden Jahr gibt es auffällig wenige Konkurse, wie Reto Tschudin, der Leiter des Betreibungs- und Konkursamts, im Interview sagt.
David Thommen
Herr Tschudin, der «Blick» titelte kürzlich: «Die grosse Konkurswelle kommt im November.» Auch in anderen Medien ist derzeit viel über bevorstehende Konkurse wegen Covid-19 zu lesen. Was kommt auf das Baselbiet zu?
Reto Tschudin: Stand heute ist das schwierig abzuschätzen. Die Zahlen, die mir momentan vorliegen, deuten aber nicht auf eine Welle hin. Allenfalls könnte ein «Wellelein» befürchtet werden, doch selbst dafür sehe ich im Moment keine ernsthaften Anzeichen. Die Hochrechnung, die wir im September erstellt haben, legt nahe, dass wir 2020 deutlich weniger Konkurse haben werden als noch im Vorjahr.
Herrscht nicht einfach Ruhe vor dem Sturm?
Ich meine, dass wir die Anzeichen längst gesehen hätten. Beispielsweise gibt es kaum Betreibungen von Arbeitnehmern an die Adresse von Arbeitgebern. Das wäre für uns ein mögliches Alarmzeichen dafür, dass es bald zu Firmenkonkursen kommen könnte.
Wie sieht der Vergleich zum Vorjahr in Zahlen konkret aus?
Hochgerechnet werden wir im Jahr 2020 rund 100 Konkurse weniger haben als im Vorjahr. Damals zählten wir alles in allem 484 Fälle. «Alles in allem» heisst, dass in dieser Anzahl beispielsweise auch viele ausgeschlagene Erbschaften enthalten sind, die ganz ähnlich wie Konkurse behandelt und von uns abgewickelt werden. Aus Sicht des Amtes sollten wir auf absehbare Zeit hinaus keineswegs an den Anschlag kommen. Alles ist gut und ruhig zu bewältigen.
Ein Indikator für kommende Konkurse sind die Betreibungen. Wie sieht es hier aus?
Die Zahl der Betreibungen liegt insgesamt ebenfalls deutlich unter dem Vorjahr. Hier allerdings stellen wir in den letzten beiden Monaten eine Zunahme fest. Es wäre also denkbar, dass auf Ende Jahr oder im neuen Jahr die Konkurse leicht anziehen. Wir haben die Ferienplanung so abgestimmt, dass wir auf dann parat wären. Einen Ferienstopp gibt es jedoch nicht. Längst nicht jede Betreibung mündet in einem Konkursverfahren.
Wie viele Betreibungen dürfte es in diesem Jahr geben?
Wir rechnen im 2020 mit rund 70 000 bis 75 000 Fällen. Das sind deutlich weniger als im Vorjahr, als es 81 000 Betreibungen gab.
Gibt es bei den Gläubigern eine gewisse Kulanz, eine Art Corona-Solidarität?
Tatsächlich stellt man im Vergleich zum letzten Jahr derzeit relativ viel Geduld fest: Betreibungen werden heute im Durchschnitt später ausgelöst. Die Gläubiger bringen wohl vielfach Verständnis für die coronabedingt schwierige Situation ihrer Schuldner auf.
Welches sind Ihre grössten Kunden, die Betreibungen verlangen?
Ganz klar die Steuerverwaltung, dann die Krankenkassen, die Sozialversicherungsanstalt, die Motorfahrzeugkontrolle und das Amt für Militär und Bevölkerungsschutz. Und natürlich sind auch die privaten Inkassobüros «Grosskunden» bei uns.
Liegen die Experten, die in den vergangenen Tagen eine Konkurswelle prophezeiten, einfach falsch?
Ich möchte das nicht so sagen. Ich spreche für den Kanton Baselland. In anderen Gegenden der Schweiz mag es schlimmer aussehen.
Wie ist die ruhige Situation zu erklären? Unbestreitbar stecken wir wegen der Corona-Pandemie in einer ernsthaften Wirtschaftskrise.
Natürlich sind viele Unternehmen in einer schwierigen Situation: Planungssicherheit fehlt, ebenso fehlen Kunden und Umsatz. Bei denjenigen Firmen, die dieser Tage Konkurs anmelden müssen, sehe ich aber nicht Corona als Hauptursache. Diese Firmen hatten meist schon zuvor erhebliche Probleme. Die Krise ist dann einfach noch der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Gibt es Branchen, die auffällig stark betroffen sind?
Hervorzuheben wären im kleineren Ausmass vielleicht die Fitnesszentren. Ansonsten stellen wir keine Auffälligkeiten nach Branche fest. Gemeinsam ist den Konkursen hingegen, dass es sich in den allermeisten Fällen um Firmen von Selbstständigen handelt. Wir behandeln derzeit nur einen einzigen neuen Konkurs eines Unternehmens mit mehreren Angestellten.
Konkursfälle von Unternehmen aus Gastronomie, Hotellerie oder aus der Eventbranche treten also nicht massiert auf? Damit war ja gerechnet worden.
Wir stellen hier ganz wenige Fälle fest. Gerade bei Gastronomiebetrieben gab es auch in den zurückliegenden Jahren immer wieder Konkurse, auffällige Zunahmen gibt es in diesem Jahr nicht. Hotelbetriebe haben wir im Baselbiet natürlich eher wenige, hier sind die klassischen Tourismuskantone bestimmt stärker betroffen. Auch die Eventbranche ist bei uns eher schwach vertreten.
Ist vor allem die Kurzarbeit dafür verantwortlich, dass sich die Krise nicht deutlicher in mehr Konkursfällen niederschlägt?
Die Massnahmen von Bund und Kanton haben sicher viel gebracht – ob Kurzarbeit, Soforthilfe oder erleichterte Kreditgewährung. Trotz allem: Heute hat es den Anschein, dass die schon zu Beginn der Covid-Krise geäusserten Befürchtungen einiger Fachleute über baldige Konkurswellen übertrieben waren.
Baselland hat als einziger Kanton Soforthilfen à fonds perdu zwischen 7500 und 10 000 Franken an Firmen ausbezahlt. Sind die tiefen Konkurszahlen auch eine Folge davon?
Aus der Sicht des Konkursamts kann ich sagen, dass diese Soforthilfe sinnvoll war. Viele Firmen konnten damit kurzfristige Liquiditätsengpässe überwinden und gerieten nicht in Zahlungsnot. Unschön ist natürlich, dass es auch einzelne Firmen gab, die ohnehin schon vor dem Aus standen und die Hilfe trotzdem beanspruchten. Aus meiner Sicht ist so etwas kaum zu vermeiden: Schwarze Schafe gibt es immer. Den Nutzen der Soforthilfen schmälert dies insgesamt aber nicht.
Haben Sie konkret Konkurse zu behandeln, bei denen der Verdacht auf Missbrauch von Covid-Krediten besteht?
Wir hatten bisher zwei Unternehmen, die einen Corona-Kredit in Anspruch nahmen und trotzdem in Konkurs gegangen sind. Hier besteht der Verdacht, dass die Gelder abgeholt wurden, obwohl den Chefs bereits bewusst gewesen sein musste, dass ihr Unternehmen nicht zu retten ist. Bei diesen Fällen ist es nun an der Staatsanwaltschaft, entsprechende Abklärungen zu treffen. Ebenfalls hatten wir Firmen, die den À-fondsperdu-Beitrag des Kantons Baselland bezogen haben und es dennoch nicht schafften. Ich betone aber, dass es sich um sehr wenige solche Firmen handelt.
Die eilig gewährten Kredite haben alle eine Laufzeit von mehreren Jahren, häufig fünf. Ist es denkbar, dass die Firmen erst dann in grosse Schwierigkeiten kommen, wenn es um die Rückzahlung geht?
Es wird Firmen geben, die mit der Rückzahlung Mühe bekunden werden, ich mache mir da keine Illusionen. Aber: Konkurse hat es immer schon gegeben. Diejenigen Fälle, die wir in diesem Jahr weniger hatten, kommen möglicherweise in den nächsten Jahren auf uns zu.
Könnte Corona dazu geführt haben, dass die Firmen sehr rasch ihre Strukturen angepasst, sich schlanker aufgestellt und Risiken minimiert haben?
Das könnte sein, es ist für mich aber schwierig zu beurteilen. Wir haben nur Einblick in diejenigen Firmen, die es nicht geschafft haben.
Was sind die Hauptgründe, weshalb Firmen in Konkurs gehen?
Manchmal scheitern junge Firmen schon alleine deshalb, weil sie nicht willens oder in der Lage sind, eine Buchhaltung zu führen. Häufig ist es auch ein «Verspekulieren»: Man hat das Gefühl, dass man mit seinem Produkt oder Angebot aufs richtige Pferd setzt, doch diese Erwartung erfüllt sich dann nicht. Es sind überwiegend junge Firmen, die etwas probieren, was dann leider nicht funktioniert. Bei älteren und grösseren Unternehmen sind es häufig Fehlentwicklungen in den verschiedensten Bereichen, die sich über Jahre hinweg summieren.
Bei einem Konkurs wird jeweils viel Geld «vernichtet». Wer sind hauptsächlich die Leidtragenden?
Bei einem Unternehmenskonkurs stellt man fast durchwegs grosse Rückstände bei der Mehrwertsteuer und bei den normalen Steuern fest. Firmen in Schwierigkeiten – übrigens auch Privatpersonen – stellen diese Zahlungen meist zuerst ein, da sie dort kurzfristig am wenigsten zu befürchten haben. Auch die Vermieter sind häufig stark betroffen. Sie haben ab Konkurseröffnung zwar ein Sicherungsrecht auf alle Anlagen und Gegenstände in den Räumen einer Firma, ob diese die Forderungen decken mögen, ist aber nicht immer klar. Zudem muss der Vermieter bis zur Räumung und der Wiedervermietung Zahlungsausfälle hinnehmen.
Wo es Verlierer gibt, gibt es in der Regel auch Gewinner. Wer gewinnt bei einem Konkurs?
Bei einem Konkurs gibt es meistens nur Verlierer. Klar, vielleicht hat man schon einmal von jemandem gehört, der bei einer Liegenschaftsversteigerung ein «Schnäppchen» gemacht hat oder Konkursware günstig kaufen konnte. Doch das ist nicht die Regel. Die Gläubiger haben nie ein Interesse daran, dass Dinge aus der Konkursmasse günstig verscherbelt werden. So wird beispielsweise die hypothekgebende Bank immer an einer konkursamtlichen Liegenschaftsversteigerung so weit mitbieten, dass sie zumindest ihre Hypothek zurückbekommt.
Verlierer bei Konkursen sind die Vermieter, wie Sie sagen. Ende November stimmt das Baselbiet darüber ab, ob sich der Kanton zu einem Drittel an den Geschäftsmieten von Firmen beteiligen soll, die vom Lockdown betroffen waren. Als Leiter des Konkursamts müssten Sie hier eigentlich dafür sein, da sich damit Konkurse vermeiden liessen …
Dieser Meinung bin ich nicht. Die Vermieter waren seit Beginn der Krise nie die treibende Kraft bei Firmenkonkursen. Im Gegenteil, die Vermieter haben sich selbst im Konkursverfahren häufig kulant gezeigt und zum Teil auf Forderungen verzichtet. Meiner Meinung nach haben Vermieter und Mieter längst selber eine Lösung für die Lockdown-Zeit gefunden. Daher kommt die nun vorgeschlagene Drittels-Lösung auch viel zu spät. Die Soforthilfe des Kantons war hier das deutlich bessere Rezept.
Sie sind zugleich auch Landrat für die SVP. Wir fragen Sie nun als Politiker: Wie hat sich der Kanton Baselland in dieser Krise bislang geschlagen?
Der Kanton Baselland hat es so gut wie möglich gemacht. Bei den Ansteckungen stehen wir nach wie vor besser da als andere Kantone in der Schweiz, auch bei den Konkursen bewegen wir uns in einem Bereich, der einem – zumindest heute noch – keine Sorgen bereiten muss. Ferner begrüsse ich es sehr, dass unsere Regierung Ruhe bewahrt und beispielsweise bei der Maskenpflicht nicht «dreinschiesst». Ohne Maske geht man auch noch nicht lebenswichtige Dinge wie Kleider einkaufen, was dem Detailhandel und damit der Wirtschaft hilft. Ich hoffe sehr, dass ein zweiter Lockdown vermieden werden kann.
Auf dem Betreibungs- und Konkursamt herrscht derzeit also grosse Gelassenheit. Wir sind überrascht …
Ja. So ein ruhiges Jahr wie 2020 gab es hier schon lange nicht mehr. Mit dem Rechtsstillstand während des Lockdowns haben wir hier auf dem Amt auch Zeit bekommen, um alle Pendenzen abzuarbeiten. Falls irgendwann doch noch eine Welle käme, wären wir bereit.