«Es ist der Autor, der Leute lockt»
06.10.2020 Böckten, Kultur, SissachCharles Brauer liest Erich Kästner in der Oberen Fabrik
Nachdem er vor acht Jahren mit demselben Autor im Oberbaselbiet zweimal für volle Säle gesorgt hat, trägt Schauspieler Charles Brauer nun am Freitag in der Oberen Fabrik in Sissach erneut Gedichte aus dem Gesamtwerk des deutschen ...
Charles Brauer liest Erich Kästner in der Oberen Fabrik
Nachdem er vor acht Jahren mit demselben Autor im Oberbaselbiet zweimal für volle Säle gesorgt hat, trägt Schauspieler Charles Brauer nun am Freitag in der Oberen Fabrik in Sissach erneut Gedichte aus dem Gesamtwerk des deutschen Dichters Erich Kästner vor. Er wird dabei von einem Jazz-Pianisten begleitet.
Jürg Gohl
Herr Brauer, Ihre früheren Kästner-Abende im Oberbaselbiet waren sehr gut besucht. Zieht Erich Kästner besonders gut?
Charles Brauer: Ja, Kästner kommt auch heute gut an. Wo immer ich diesen Abend auch gegeben habe, stellte ich das fest. Ich vermisse im Publikum die jüngeren Leute. Bei älteren Gästen hingegen ist Kästner noch immer existent, und er bedeutet ihnen etwas. Im Vergleich zum ersten Kästner-Abend habe ich übrigens das Programm erweitert.
Was macht ihn Ihrer Meinung nach so beliebt?
Bei aller Satire ist es natürlich sein Humor und sein scharfer, demaskierender Blick auf Menschen. Dann kommt sicher noch hinzu, dass die Leute seine Haltung in der Nazi-Zeit würdigen, in der es ihm überhaupt nicht gut erging. Die Art und Weise, wie er diese Zeit in seinen Texten beschrieben und verarbeitet hat, wurde und wird sehr geschätzt.
Als Jugendlicher sind Sie Kästner einmal persönlich begegnet. Welche Erinnerungen sind Ihnen geblieben?
Das war natürlich sehr aufregend. Wir spielten am Berliner Hebbel-Theater. Ich mag 15 Jahre alt gewesen sein und spielte bei «Emil und die Detektive» einen der Jungs. Kästner besuchte eine Vorstellung, was für uns, auch für die erwachsenen Schauspieler, sehr aufregend war. Danach lud er uns alle zu Kaffee, Kakao und Kuchen ein. Ich traute mich, ihn um ein Autogramm zu bitten. Da kein Papier zur Hand war, unterschrieb er seine Eintrittskarte. Leider etwas karg ohne Widmung. Die Karte besitze ich 70 Jahre später immer noch und werde sie zur Lesung mitnehmen.
Wollen die Gäste in Sissach Kästner hören oder wollen sie Brauer hören?
Hauptsächlich ist es der Autor, der das Publikum anzieht. Aber das mischt sich. Als ich vor 25 Jahren in Böckten mit meinen Lesungen begonnen habe, da kamen die Leute kaum wegen des Autors, sondern wegen dieser Nase aus dem Fernsehen, die im eigenen Dorf wohnt. Aber das hat sich inzwischen verändert. Ich bemerke auch bei anderen Lesungen, dass die Leute das gerne haben und schätzen, was ich da auf der Bühne biete.
Die «Nase aus dem Fernsehen», wie Sie es nennen, gehört in erster Linie «Brocki», dem «Tatort»-Kommissar. Schmeichelt oder ärgert es Sie, noch immer über diese Figur definiert zu werden?
Das ist zwanzig Jahre her. Aber damit kann ich gut leben. Das war nun mal meine für die Öffentlichkeit mit Abstand eindrücklichste künstlerische Arbeit. Ich habe an grossen Häusern schon bedeutende Rollen gespielt, doch der «Tatort» ist natürlich weit prominenter und populärer. Sie können in München oder Wien der dollste Schauspieler sein. Doch deswegen wird sie niemand für eine Lesung in Bottrop oder Olten engagieren, weil Sie dort niemand kennt. Das hat mit dem Format des Fernsehens zu tun. «Tatort» hat eine riesige Fan-Gemeinde, auch wenn ich es inflationär finde, was da gegenwärtig abläuft.
Sie standen auf vielen grossen Bühnen und waren zuletzt mit einem Tourneetheater unterwegs. Wie wichtig ist Ihnen das Heimspiel in Sissach?
Zu Hause etwas zu bieten, bereitet mir immer grossen Spass. Es ist ja nie gelungen, dass ich in Basel oder Zürich ein Engagement habe, seit ich hier lebe. Nun packe ich aufgrund meines Alters keine grossen Projekte mehr an und konzentriere mich auf Kleineres wie eben Lesungen.
Themawechsel: Das Bühnendeutsch mit einem Schuss Berliner Schnauze ist sozusagen Ihre Muttersprache. Sie wohnen seit 33 Jahren in Böckten. Sprechen Sie auch «Chuchichäschtli»-Deutsch?
Nein. Ich verstehe es gut und bitte andere, mit mir Mundart zu sprechen. Das funktioniert zum Beispiel mit meinen Nachbarn zumindest in meinen Ohren ganz gut. Aber der Gedanke, mich zu hören und zu denken, dass es schief klingen könnte, schreckt mich ab. Vielleicht bin ich zu wenig begabt für solche Sprachverschiebungen. Kommt hinzu, dass es dann anbiedernd und peinlich klingt. Deshalb lass ich es lieber.