Von Götterknaben und singenden Fussballern
04.09.2020 SerienHanspeter Gsell
Um es gleich vorwegzunehmen: Die Bewohner der Insel Rapa, die Rapas, hatten den Krieg im Blut. Nach anfänglicher Besiedlung küstennaher Höhlen und Felsüberhänge entwickelte sich schnell eine ausgeprägte Stammesgesellschaft. Die Siedlungsstruktur ...
Hanspeter Gsell
Um es gleich vorwegzunehmen: Die Bewohner der Insel Rapa, die Rapas, hatten den Krieg im Blut. Nach anfänglicher Besiedlung küstennaher Höhlen und Felsüberhänge entwickelte sich schnell eine ausgeprägte Stammesgesellschaft. Die Siedlungsstruktur spiegelte die Gesellschaftsordnung wider. Es gab streng voneinander getrennte Wohnhäuser für die Aristokratie, die Priester, den Mittelstand (Handwerker, Künstler) und die Krieger.
Wegen zunehmender Stammeskriege wurden die Strandsiedlungen aufgegeben, die Bewohner zogen sich in stark befestigte «Wehrdörfer» ins Landesinnere zurück. Die Ruinen solcher Siedlungen sind auch heute noch zu sehen. Sie sehen aus wie terrassierte Burgen: Im obersten Turm sass wohl der Häuptling, eine Terrasse darunter kamen die Siedlungen des Adels, noch eine Terrasse darunter der Pöbel.
Unser einheimischer Begleiter zweifelte allerdings an dieser Aufteilung. Ein König wäre gar nie auf die oberste Terrasse gekommen. Denn pazifische Könige seien nun mal dick, einen Aufstieg zu Fuss hätten die gar nicht überlebt.
Morgarten in Rapa Iti
Die Terrassen waren untereinander nur durch Strickleitern verbunden. Auf der untersten Terrasse aber hielten die Krieger Ausschau nach den Feinden, meistens waren es die Dörfler von nebenan auf der Suche nach Essbarem. Der Aufstieg zur «Burg» war nur unter mühsamsten Bedingungen möglich und führte über schmale Grate. Näherte sich wieder einmal ein Feind, konnte man ihn problemlos mit Steinen vom Weg abbringen. In ähnlicher Art und Weise bodigten die alten Schwyzer die Habsburger in der Schlacht von Morgarten. Die Geschichte tat deshalb, was sie zu tun hatte: Sie wiederholte sich. Solche Kriege, aber auch der Raubbau an den natürlichen Ressourcen, haben die Bevölkerung drastisch reduziert.
Kriege führt man heute keine mehr auf Rapa. Touristen – es sind nur wenige pro Jahr, die den langen Weg nicht scheuen – sind herzlich willkommen. Dann aber wird getrommelt und getanzt, als gäbe es kein Morgen.
Und auch dies noch: Es wird eifrig Sport betrieben. Im Futsal, einer Art Hallenfussball ohne Halle, qualifizierten sich 2008 die Jungs aus Rapa für die Weltmeisterschaften. Eine Gruppe junger Fussballer stieg in Rapa zu und dampfte mit uns weiter über Raivavae nach Papeete. Ihre Sänge und Tänze haben manchem Mitreisenden die Tränen in die Augen getrieben.
In Papeete würden sie bei der nationalen Meisterschaft antreten. Ein erstes Spiel haben wir noch miterlebt: Rapa gewann gegen Raraka mit 17:0 Toren. Die Nacht habe kein Ende genommen, meinte später ein Mitreisender.
Begehrtes Holz
Neben Missionaren und Walfängern sorgte eine dritte Gruppe für Aufsehen im Pazifik: die Blackbirder, Sklavenhändler der übelsten Sorte. Sie waren unterwegs, um Menschenmaterial für chilenische und peruanische Minen einzusammeln. Die Masche war immer die gleiche: Man lud die männliche, arbeitsfähige Bevölkerung zu einem Umtrunk auf das Schiff ein. Waren alle besoffen, fesselte man sie, warf sie ins unterste Deck und lichtete den Anker.
Auch Abenteurer auf der Suche nach Sandelholz fielen über die Insel her. Das aus dem Holz gewonnene ätherische Sandelholzöl wirkt krampflösend, antibakteriell und antiviral gegen Herpesviren. Aus dem rötlichen Kernholz gewonnenes, ätherisches Öl spielt eine wichtige Rolle in der Parfumindustrie. Das Holz wird fein zerkleinert, bevor aus ihm mithilfe von Wasserdampfdestillation das ätherische Öl gewonnen wird. Das dabei zusätzlich entstehende Sandelholzwasser macht die männliche Duftnote in vielen Parfums aus.
Monumentale Steinstatuen
Raivavae gehört zu den wenigen polynesischen Inseln, auf denen Tikis, teils monumentale Steinstatuen, errichtet wurden. Einen davon fanden wir in der Nähe des Dorfs Mahanatoa. Etwas versteckt, hinter einem abgewrackten Hühnerhof, thront der «Götterknabe» neben einem Marae, einem alten Kultplatz. Es wird erzählt, dass es sich um den einzigen erhaltenen, lächelnden Tiki handelt. Alle andern wurden von Missionaren zerhackt oder von Forschungsreisenden in Museen versteckt.
Sandelholzbäume gibt es kaum mehr zu sehen, dafür umso mehr Blumen. Die ganze Bevölkerung begrüsst uns auf dem Dorfplatz. Man hat sich herausgeputzt, die Damen tragen üppigen Blumenschmuck, sogar ein alter Pick-up wurde damit bekränzt. Ein gewaltiges Buffet wurde aufgebaut, lokale Speisen werden zur Degustation angeboten. Nicht alles scheint verwestlichten Mägen zuträglich zu sein. Trotzdem muss man einfach zugreifen! Auch wenn man anschliessend feststellen sollte, dass eine Bratwurst besser schmeckt als die mit Krevetten gefüllten Hühnerbeine: Probieren geht über studieren.
Morgen werden wir nach Papeete zurückkehren. Ob wir Pläne haben? Nein. Man macht hier keine Pläne. Man geht fischen, wenn das Wetter gut ist. Ansonsten aber ruht man sich aus.
In loser Folge ist in der «Volksstimme» die fünfteilige Serie zur Reise des Sissachers Hanspeter Gsell von den Gesellschaftsinseln über den Tuamotu-Archipel und die Gambier-Inseln zum südlichsten Archipel Französisch-Polynesiens, den Austral-Inseln erschienen. Die Serie ist damit abgeschlossen.