MEINE WELT
11.09.2020 GesellschaftNine-eleven!
Das heutige Datum hat sich ins Gedächtnis gebrannt. Obwohl es uns nicht direkt betrifft. Vor neunzehn Jahren wurden mit Flugzeugen in New York die Türme des World-Trade-Centers zum Einsturz gebracht. Ungern erinnere ich mich daran, wie ich damals ...
Nine-eleven!
Das heutige Datum hat sich ins Gedächtnis gebrannt. Obwohl es uns nicht direkt betrifft. Vor neunzehn Jahren wurden mit Flugzeugen in New York die Türme des World-Trade-Centers zum Einsturz gebracht. Ungern erinnere ich mich daran, wie ich damals davon erfahren habe. Ungern, weil es mich an ein missglücktes, pädagogisches Handeln im Konfirmandenunterricht zurückdenken lässt.
11.9.2001, 17.30 Uhr im Konfzimmer in Hölstein: Eine Gruppe sichtlich aufgewühlter Konfis betritt den Raum. «Hesch ghört?», «Hesch au gseh?!» «Die spinne jo!» Und sie berichten mir und anderen ahnungslosen Schülern von dem, was die Welt erschüttert.
Ich hatte es den ganzen Tag streng. Damals konnte man im Handy oder Internet noch nicht jede Minute nachlesen, was in der Welt geschieht. Beim Mittagessen zu Hause mit den kleinen Buben war das auch noch kein Thema.
Obwohl ich weiss, dass man als Lehrerin oder Pfarrer Tagesaktualitäten und persönlichen Themen sowie Betroffenheit der Schülerschaft Vorrang geben und diese angemessen im Unterricht aufnehmen sollte, habe ich die Geschichte samt Emotionen nach wenigen Wortmeldungen beiseitegewischt und mich dem Unterrichtsstoff zugewandt. Zu abstrus und unglaubhaft erschien mir das Gehörte. Im Kirchgemeindehaus gabs keinen Fernseher oder keine Smartphones, ums kurz zu verifizieren. Die betroffenen Teenager werden vom Lernstoff nicht viel mitbekommen haben.
Zu Hause wurden mir dann die Augen geöffnet, und ich verbrachte den Rest des Abends vor der Flimmerkiste, mit sehr schlechtem Gewissen den Jugendlichen gegenüber. In den Wochen danach dominierte damals die Frage, ob nun die USA als Nation ins Wanken geraten ist. Neunzehn Jahre ist das her. Später wurde als Vergeltung ein ungerechtfertigter Krieg gegen ein Land im Orient angezettelt. Böses mit noch Böserem vergolten. Erst vor wenigen Jahren wurde der oberste Anführer der Terroristen filmreif durch eine Nachtsoldatenaktion ausgeschaltet.
Als Kind lebte ich einige Jahre in den USA. Als junger Erwachsener bereiste ich sie. Vor einigen Jahren war ich mit meiner Familie in New York am neuen Memorial vor Ort. Das hat mich sehr bewegt. Die Namen der Toten. Die grossen Wasserbecken – und daneben die Kraft und Ausstrahlung des einen, neuen Towers.
Heute befürchte ich, dieses Land, das man einst «Neue Welt» und «Vorbild» nannte, sei echt ins Wanken geraten. Zwar von selbst, von innen her: Ausgehöhlt durch eine Oligarchie, die Gesellschaft, Wirtschaft und Politik dominiert. God save America. Das meine ich ehrlich, im Interesse der ganzen westlichen Welt.
Ich bin dankbar dafür, dass wir in der Schweiz ein bewährtes Mehrparteiensystem haben – viele mehr als zwei Parteien, die sich gegenseitig blockieren und nur noch Leichtgewichte und Narzissten an die Spitze bringen.
Matthias Plattner (57) ist Pfarrer der reformierten Kirchgemeinde Sissach-Böckten-Diepflingen-Itingen-Thürnen.