Von Geisselschwingern und Perlenzüchtern
07.08.2020 SerienInseln sammeln im Südpazifik, Teil 4: Rikitea, Gambier-Inseln
Wir sind auf der Fahrt zu den Gambier-Inseln, während zweier Nächte und eines Tages sehen wir nichts als Meer. Leider ausnahmsweise kein neues Blau, sondern viele Grautöne.
Hanspeter ...
Inseln sammeln im Südpazifik, Teil 4: Rikitea, Gambier-Inseln
Wir sind auf der Fahrt zu den Gambier-Inseln, während zweier Nächte und eines Tages sehen wir nichts als Meer. Leider ausnahmsweise kein neues Blau, sondern viele Grautöne.
Hanspeter Gsell
Die Wellen erreichen eine Höhe von drei Metern, keine Ahnung, ob das viel ist. Die fehlende Zuladung führt allerdings dazu, dass der Dampfer etwas hoch im Wasser liegt. Zwischendurch stampft und krängt er. Der Schaden bleibt gering: Eine Flasche Wein und zwei Gläser verabschieden sich mit lautem Knall vom Tisch Richtung Reling.
In der Ferne strahlen das Mururoa-Atoll und Fangataufa um die Wette. Noch heute sind diese ehemaligen Atombomben-Testgebiete absolute Sperrzonen. Selbstverständlich geht von den nuklearen Abfällen keine Gefahr mehr aus, es war überhaupt nie gefährlich. Die Häufung von Krebserkrankungen? «Fake News! Sonst noch Fragen?»
Gerne hätte ich gefragt, weshalb unser Zimmermädchen – ihre Tante soll aus Fangataufa stammen – nachts grün leuchtet. Ich frage nicht. Auch nicht, weshalb es auf Mangareva einen bunkerähnlichen Unterstand gibt. Wo doch alles so ungefährlich ist. Man sei nur bei den oberirdischen Bombenversuchen darunter geflüchtet, meinte Ahoana auf unsere Frage nach dem Sinn des Bunkers.
Ein wahres Kleinod
Rikitea, der Hauptort der Insel Mangareva, ist ein wahres Kleinod. Die Gambiers sind, im Gegensatz zu den Tuamotus, «high islands», hohe Inseln. Hohe Berge überragen blaue Lagunen, ein tropischer Garten Eden legt sich um die Insel, drängt die Berghänge hinauf. Rikitea aber hat, wie so viele andere Inseln in dieser Weltgegend auch, eine eher traurige Vergangenheit.
Rikitea war im 19. Jahrhundert die Zentrale der Geldvermehrungsmaschinerie eines gewissen Honoré Laval. Dieser war Mitglied des Ordens «Pères et religieuses des Sacrés-Coeurs de Picpus», der Arnsteiner Pater.
Keine andere Geschichte zeigt das erbarmungslose Vorgehen der «christlichen» Missionare besser auf. Laval, ich weigere mich, ihn als «Vater» zu bezeichnen, war ein gnadenloser Unternehmer. Den Auftrag, die vermeintlich armen Seelen zu bekehren, erfüllte er ohne jeglichen Skrupel. Und wie wir heute wissen, flossen die Gelder auch munter in seinen eigenen Beutel.
Christliche Geisselschwinger
Auch auf Mangareva funktionierte der alte Missionstrick gut: Kaum hatten Lavals christliche Geisselschwinger im Jahr 1834 den Boden betreten, lag die halbe Einwohnerschaft todkrank in ihren Betten und starb buchstäblich wie die Fliegen. Die Ureinwohner hatten sich planmässig mit allerhand Infektionskrankheiten angesteckt. Der kurzfristige Schwund war einkalkuliert.
«Seht her, wir Christen sind nicht krank. Unser Gott hat uns mithilfe seines Personals vor den Krankheiten geschützt. Also alle daher: Ihr werdet getauft und schon bald werdet ihr geheilt sein.» Ist das nicht grauenhaft? Es wird mir übel und ich beschliesse, aus dieser Kirche auszutreten. Zu Hause bemerke ich, dass dies nicht geht, ich bin gar nicht katholisch.
Laval beliess es nicht beim Taufen. Seine Herrgott-AG – aus steuerlichen Gründen soll er eine Holdinggesellschaft in der Schweiz gegründet haben – stampfte ein Filialunternehmen nach dem anderen aus dem fruchtbaren Boden. Er liess Baumwolle anbauen und verarbeiten, gründete eine Firma für die Perlen- und Perlmuttfischerei; eine andere war für Plantagen und Nutzgärten zuständig. Am erfolgreichsten aber wurde die «Christliche Tief- und Hochbau GmbH». Sie war nämlich für den Bau der Kirchen zuständig. Für Laval war keine Insel zu klein: Jede Sandbank bekam auch ihre Kirche hingebaut.
Auf Mangareva – nur noch 400 Einwohner lebten zu jener Zeit auf der Insel – liess Laval eine gigantische Kathedrale für 1500 Menschen errichten. Sie erinnert ein wenig an die «Notre-Dame de Paris». Der Altar wurde mit ausgesucht schönen, schwarzen Perlmuttschalen ausgelegt. Eine sagenhaft grosse, schwarze Perle soll auf dem Altar gelegen haben. Die Kathedrale steht immer noch, die Perle aber ist verschwunden. Wo sie heute liegt? In den geheimen Kammern des Vatikans.
Die zum Bau der Kirchen benötigten Arbeiter wurden von anderen Inseln «importiert». Man entvölkerte die Gambier-Inseln richtiggehend. Es kam zu Hungersnöten, da die tägliche Nahrungsbeschaffung vernachlässigt wurde. Die Zahl der Bevölkerung ging massiv zurück. Erst 1871, nach 38 Jahren Wüterei, wurde Laval abgesetzt.
Die Perlen von Robert Wan
Auf der Rückfahrt nach Papeete sind wir in Aukena, auf den Gambier-Inseln angekommen. Dieses kleine Eiland, es ist gerade mal 3,2 Kilometer lang und 1,1 Kilometer breit, liegt in Sichtweite von Mangareva, dem Tummelfeld von Honoré Laval.
Die Insel Aukena ist mehr oder weniger im Privatbesitz eines gewissen Robert Wan. Der Name Wan, ein in China nicht ganz unbekannter Familienname, lässt Böses ahnen. Wie kommt ein Chinese dazu, eine ganze Insel in Polynesien zu besitzen? Zeigen die chinesischen Hegemoniebestrebungen im Pazifik bereits Früchte? Nein, die Geschichtsschreibung ist eine andere.
Der Vater von Robert Wan war 1904 aus China geflohen. Dort tobten seit Jahren Kriege, Revolutionen fegten über das Land. In Tahiti fand die Familie Frieden und Zuflucht. Robert stieg bereits im Alter von 19 Jahren ins Geschäftsleben ein, das Handeln lag ihm im Blut. Auch der Handel mit Perlen, mit schwarzen Perlen. Noch waren es Naturperlen, solche, die ohne jeglichen menschlichen Eingriff wuchsen. Natürlich wusste der junge Wan, dass in Japan erfolgreich Perlen gezüchtet wurden.
1974 kam es zu einer schicksalhaften Begegnung. Robert reiste durch Japan und begegnete dort Professor Sato. Sato, Schüler des berühmten Kokichi Mikimoto, führte ihn in die Geheimnisse der Perlenzucht ein. Nach seiner Rückkehr nach Tahiti begann Wan erfolgreich mit der Zucht schwarzer Perlen; bald liess er eigene Schmuckkollektionen entwerfen und vermarktete diese weltweit.
Die Insel Aukena ist vor allem für ihre schönen Sandstrände und die Perlenzucht bekannt. Das unverschmutzte Wasser sowie das Planktonvorkommen ermöglichen es, hier weisse und schwarze Perlen zu züchten. Und genau deshalb hat Robert Wan die ganze Insel kurzerhand übernommen.
Eigentlich ist es Aussenstehenden untersagt, das Eiland zu betreten. Nur dank guter Beziehungen der Reedereifamilie zu Robert Wan war es uns möglich, die von der Öffentlichkeit weitgehend abgeschirmte Insel zu besuchen. Seine Villa aber durften auch wir nicht besuchen.
Tubuai
Heute werden wir auf unserer Reise durch Französisch-Polynesien mit der Geschichte der «Bounty»-Meuterer konfrontiert.
Auf dem Weg nach Rapa, gelegen im Austral-Archipel, sehen wir aus der Ferne die Tubuai-Inseln. James Cook entdeckte sie 1777 während seiner dritten Reise, betrat die Insel aber nicht. Sein Bericht war jedoch Fletcher Christian, dem Anführer der «Bounty»- Meuterer, durchaus bekannt.
Die Meuterer waren nämlich nach einer kurzzeitigen Rückkehr nach Tahiti nicht auf direktem Weg nach Pitcairn gesegelt, sondern hatten die Insel Tubuai als mögliches Versteck ausgemacht. In Tahiti aber zog man die Einheimischen über den Tisch und tat so, als ob man den Auftrag bekommen hätte, auf Tubuai eine Kolonie zu gründen. Dafür liessen sie sich ausrüsten und mit Proviant versehen, bevor sie mit einigen Frauen aus Tahiti wieder in See stachen.
Nachdem sie die «Bounty» auf einen Strand der Insel Tubuai gezogen hatten, bauten sie ein Fort und nannten es Fort George. Bald jedoch gerieten sie sowohl untereinander als auch mit den Inselbewohnern in Konflikte. Bei den Auseinandersetzungen kamen zwei der Meuterer und 64 Polynesier ums Leben. Man könnte von einem etwas ungleichen Kampf sprechen.
Am 22. September 1789 trafen die Meuterer wieder mit der «Bounty» auf Tahiti ein. Während Fletcher Christian mit acht Kameraden und einigen männlichen und weiblichen Südseebewohnern weiterfuhr, zogen es die anderen Europäer vor, auf Tahiti zu bleiben.
Fletcher Christian steuerte zunächst die Fidschi-Inseln an, bevor er sich wieder nach Osten wandte. Mit acht anderen Meuterern, zwei Männern aus Tubuai sowie vier männlichen und zwölf weiblichen Personen aus Tahiti erreichte er am 15. Januar 1790 die Südseeinsel Pitcairn, die bis dahin noch kein Europäer betreten hatte. Dort, so hofften die Meuterer, würden die britischen Soldaten, die nach ihnen suchten, sie nicht aufspüren.
In loser Folge erscheint in der «Volksstimme» die fünfteilige Serie zur Reise des Sissachers Hanspeter Gsell von den Gesellschaftsinseln über den Tuamotu-Archipel und die Gambier-Inseln zum südlichsten Archipel Französisch-Polynesiens, den AustralInseln. Die Reise fand im Frühjahr 2019 statt.