Immer der Nase nach
28.08.2020 Baselbiet, Lausen, Bezirk Liestal, GesellschaftBeim Trailing sagt der Hund, wo es langgeht
Der Verein K-9 Suchhunde Schweiz bildet Hunde dazu aus, Tiere und Menschen zu finden. Die «Volksstimme» hat den Verein bei einem Training begleitet.
Michèle Degen
Einen kurzen Moment schnuppert You am Stein, der ...
Beim Trailing sagt der Hund, wo es langgeht
Der Verein K-9 Suchhunde Schweiz bildet Hunde dazu aus, Tiere und Menschen zu finden. Die «Volksstimme» hat den Verein bei einem Training begleitet.
Michèle Degen
Einen kurzen Moment schnuppert You am Stein, der unauffällig vor dem Zaun auf dem Boden liegt. Dann geht es los: Über den Pausenplatz, auf den Hof der Primarschule, die Treppe runter, am Sportplatz vorbei und zum Kletterturm auf dem Spielplatz. You immer voraus, die Nase am Boden. Hinter ihr, am anderen Ende der langen Leine, Steffi, ihre Besitzerin und Hundeführerin.
You befindet sich mitten in einer Trainingseinheit zum Mantrailing, also auf der Suche nach einem Menschen. Der Stein, an dem die Border-Collie-Hündin geschnüffelt hat, ist eine Geruchsprobe. Yous Zielperson Claudia hatte ihn für kurze Zeit in der Hand. Nun wartet Claudia irgendwo in der Umgebung – bis You den Weg, den sie gegangen ist, anhand ihrer Geruchsspur nachvollzogen und sie gefunden hat.
Begleitet werden You und Steffi auf ihrer Suche von Markus Hügli. Der Wittinsburger ist Präsident von «K-9 Suchhunde Schweiz» und leitet die Abteilung Nordwestschweiz. Der Verein trainiert Hunde auf die Suche von Menschen und Tieren. Die Trainings finden an immer verschiedenen Orten in der Nordwestschweiz statt. An diesem Trainingstag in Lausen.
Jeder Hund kann suchen
You steigt die Treppe zur Fussgängerunterführung hinunter, geht der Ergolz entlang, auf der anderen Seite der Strasse wieder hoch und zielstrebig weiter. Sie lässt sich weder von Fussgängern noch von anderen Tieren ablenken.
Als Border Collie ist You eigentlich ein typischer Hüte- und kein Suchhund, obwohl diese mittlerweile immer häufiger als solche zum Einsatz kommen. «Jeder Hund kann unabhängig von Alter und Rasse zum Trailing ausgebildet werden», sagt Hügli. Im Verein gibt es vom Chihuaua bis zum Leonberger alle Rassen.
Trailing ist für die Vereinsmitglieder und ihre vierbeinigen Freunde grundsätzlich ein Hobby, doch sie haben die Möglichkeit, auch an realen Einsätzen teilzunehmen. Der Verein bietet Sucheinsätze nach vermissten Tieren und Personen an. Die Teams, jeweils bestehend aus Hund und Halter, können sich prüfen lassen und dürfen danach vermisste Haustiere oder Menschen suchen. Die meisten Teams suchen ausschliesslich Tiere. Nur zwei Hunde des ganzen Vereins sind auch für die Suche von Personen geprüft. Über 30 Mal waren die Teams der Abteilung Nordwestschweiz dieses Jahr bisher im Einsatz und haben in mehr als 85 Fällen Besitzern von vermissten Tieren beratend zur Seite gestanden. Gesucht haben sie dabei vor allem vermisste Hunde und Katzen, aber auch Schildkröten, Frettchen, einen Pfau oder ein Kälbchen.
Dabei ist es nicht immer ganz einfach, eine geeignete Geruchsprobe zu bekommen. «Wollen wir zum Beispiel mit einem Katzenbett arbeiten, doch die Familie, die ihr Büsi vermisst, hat mehrere Katzen, müssen sowohl die Familienmitglieder als auch die anderen Tiere beim Start der Suche dabei sein», erklärt Hügli. So kann der Hund alle am Bettchen haftenden Gerüche ausschliessen, die zu anwesenden Tieren oder Personen gehören. Den Geruch, der übrig bleibt, verfolgt er dann. Gerade beim Kälbchen sei es schwierig gewesen, eine Geruchsprobe zu finden. Das Tier kam auf der Weide zur Welt, wo es auch blieb, bis es zwei Tage später anscheinend spurlos verschwand. «Kot hätte sich als Geruchsträger angeboten», sagt Hügli, «doch den hatten wir nicht.» Auch die Nachgeburt hatte der Bauer bereits entsorgt. Wie sollten die Suchhunde also die Fährte des Kälbchens aufnehmen können? «Am Schluss haben wir einen Abstrich vom Euter der Mutterkuh gemacht», sagt Hügli. «Das hat gereicht. Der Hund hat das Kalb gefunden.»
Geduld und Belohnungen
You ist inzwischen ihrem Ziel schon ganz nahe. Schnell geht sie durch eine Quartierstrasse. Doch dann zögert sie kurz und geht an der Abzweigung vorbei, hinter der Claudia auf einer niedrigen Mauer sitzt. You schaut sich kurz etwas irritiert um, macht kehrt und geht wenige Meter zurück. Dann findet sie Claudia. Diese wartet schon mit einem Leckerbissen auf sie. Dazu gibts ganz viel Lob und Streicheleinheiten. «Am Schluss lässt sie sich verunsichern», zieht Hügli ein kurzes Fazit über die Übung. «Daran müssen wir arbeiten.»
Hügli bereitet jeweils eine individuell dem Hund angepasste Suchstrecke vor. Dabei achtet er darauf, Dinge einzubauen, die dem Hund beim letzten Training Mühe bereitet haben. Bei You sind das die Treppen. Dieses Mal hatte sie keine Probleme damit.
Doch wie bringt man einen Hund überhaupt dazu, einem bestimmten Geruch zu folgen? «Das braucht einiges an Geduld», sagt Hügli. Beim ersten Training eines Hundes «versteckt» sich die zu suchende Person nur wenige Meter entfernt, zum Beispiel hinter der nächsten Hausecke, erklärt er. Dem Hund wird danach der Geruchsgegenstand hingehalten. «Dann warten wir, bis der Hund von selbst dem Geruch folgt», sagt Hügli. Und das kann seine Zeit dauern. Ist es aber so weit, gibt es eine Belohnung. So wie bei jedem weiteren Training.
Schwieriger werden die Trails mit zunehmender Distanz oder wenn sich die zu suchende Person zum Beispiel in einem Gebäude aufhält. Auch mit zusätzlichen Geruchsquellen kann man den Hund herausfordern.
Mehr Druck bei echten Einsätzen
Während der kurzen, aber intensiven Suche trainiert nicht nur der Hund, sondern auch die Person am anderen Ende der Leine. Hügli gibt Steffi zwischendurch Anweisungen, wie sie hinter You hergehen soll, und sagt ihr, wann sie als Team zu schnell, zu hektisch werden. Während es im alltäglichen Leben und in vielen Hundesportarten darum geht, dass der Hund seinem Besitzer oder seiner Besitzerin gehorcht und tut, was er oder sie sagt, ist es beim Trailing umgekehrt. Der Hund sagt, wo es langgeht, die Person hinter ihm muss vertrauen haben und ihm folgen.
Der Hundeführer sorgt deshalb vor allem dafür, dass der Hund seine Arbeit ungestört und ohne unnötigen Stress machen kann. Dabei darf er den Hund aber nicht beeinflussen. Das kann zum Beispiel durch einen Ruck an der Leine geschehen, der dem Tier den Eindruck vermitteln kann, dass es auf dem falschen Weg ist, oder wenn der Besitzer in einem bestimmten Winkel hinter seinem Hund steht und Zug auf die Leine ausübt, kann der Hund denken, er müsse in eine bestimmte Richtung gehen.
Als Nächste ist Elay an der Reihe mit Suchen. Sie gehört Claudia und ist bereits ein Profi. Für sie gibt es keinen Stein als Geruchsprobe, sondern ein kleines Schraubglas, in dem sich ein Stück eines Papiertaschentuchs befindet, das ihre Suchperson, dieses Mal Steffi, in der Hand hatte. Elay hat kaum richtig die Nase ans Glas gehalten, da hat sie die Spur schon und legt los. Die Hündin lotst Claudia über die Strasse, immer der Spur nach. Dabei legt sie ein nochmal zackigeres Tempo vor als You. Es ist anspruchsvoll, mit ihr mitzuhalten.
Elay ist eine der zwei Hunde des gesamten Vereins, die auch für die Suche von Menschen geprüft sind. In diesem Jahr hatten sie drei Einsätze. Die Personensuche sei auch nicht eine Sache für jede und jeden. «Das liegt daran, dass die Personen häufig schwer verletzt oder tot gefunden werden», sagt Claudia. Im Einsatz seien die Umstände durchaus nochmals anders als beim Training. «Es ist mehr Erfolgsdruck da», sagt Claudia. Vielfach sind Angehörige oder die Besitzer eines vermissten Tieres da, die hohe Erwartungen an den Hundeführer und sein Tier haben.
Gewissenhaft oder gelassen?
Der Verein rückt jedoch nicht in jedem Fall aus, in dem er alarmiert wird. «Wir rücken bei sehr jungen, sehr alten und kranken Tieren sowie bei Hunden aus, die mit Leine entlaufen sind», sagt Hügli. In anderen Fällen steht der Verein einfach beratend zur Seite. Auch wenn es um Menschen geht, muss die vermisste Person sehr jung, sehr alt oder unter Medikamenteneinfluss sein, damit der Verein seine Hunde auf Spurensuche schickt. Doch auch die Suche nach abgängigen Personen, zum Beispiel auf Wanderungen, ist möglich.
Für die geübte Elay hat sich Trainer Markus Hügli eine kleine Zusatzschwierigkeit ausgedacht. Steffi ist etwas zu weit gegangen, dann umgekehrt und in eine andere Quartierstrasse abgebogen. Elay erkennt, dass dies eine ältere Spur ist und biegt direkt ab. Ohne Umschweife findet sie Steffi, die hinter einer Hausecke wartet. Auch für sie gibt es eine Belohnung.
«Daran erkennt man, was für ein Typ Elay ist», sagt Hügli. Denn die Hunde haben zwar alle das Potenzial, erfolgreich zu suchen, doch nicht alle gehen gleich vor. «Es gibt die Gewissenhaften, welche die Spur komplett, mit allen Umwegen verfolgen. Und es gibt die Gelassenen, wie Elay. Sie hat zwar gemerkt, dass die Spur noch weitergeht, war sich aber sicher, dass sie älter ist als jene, die abbiegt und selbstbewusst genug, den direkten Weg zu nehmen.»
Hügli hofft, seine Teams häufiger für die Suche nach Menschen einsetzen zu können. Er sieht das Einsatzgebiet des Vereins vor allem bei Altersheimen, wo immer mal wieder Bewohner oder Bewohnerinnen zu Spaziergängen aufbrechen, ohne jemandem Bescheid zu sagen. Gerade bei dementen Personen kann das schnell gefährlich werden. Der Verein kann bereits jetzt manchmal im Altersheim in Gelterkinden trainieren. «Das ist sowohl für die Hunde wie auch für die Bewohnenden ein aussergewöhnlich tolles Erlebnis», sagt Hügli.