Die Heidelbeeren vom «Öpfelhüsli»
11.08.2020 Bezirk Waldenburg, RamlinsburgDie Frucht ist im Anbau anspruchsvoll, verspricht aber gutes Geld
Der Ramlinsburger Obstbauer Ernst Lüthi kann auf seiner noch jungen Heidelbeerplantage dieses Jahr die erste grössere Ernte einfahren. Für den Anbau der blauen, süssen Früchte hat er sich entschieden, weil die ...
Die Frucht ist im Anbau anspruchsvoll, verspricht aber gutes Geld
Der Ramlinsburger Obstbauer Ernst Lüthi kann auf seiner noch jungen Heidelbeerplantage dieses Jahr die erste grössere Ernte einfahren. Für den Anbau der blauen, süssen Früchte hat er sich entschieden, weil die Wertschöpfung stimmt – und weil sie ihm schmecken.
Christian Horisberger
«Öpfelhüsli». Es ist die Untertreibung das Jahres. Denn von einem Häuschen kann beim Obstbaubetrieb der Familie Lüthi, einen gespuckten Kirschstein von der Station Lampenberg entfernt, nicht die Rede sein. Es handelt sich um eine mächtige Halle: 9 Meter hoch, 50 Meter lang und 20 Meter breit. In ihrem Inneren befinden sich die Räume und Technik, um Früchte – insbesondere Äpfel – zu lagern und zu verarbeiten, sowie ein Ladenlokal, in dem Hofprodukte direkt an den Mann und die Frau gebracht werden.
Das «Öpfelhüsli» ist nicht nur wesentlich grösser, als der Name verheisst, sondern es steckt auch mehr drin, als es vorgibt: Zwar sind Äpfel eines der wichtigsten Standbeine des Ramlinsburger Landwirtschaftsbetriebs. Die Familie Lüthi und ihre zehn polnischen Saisonniers ernten auf rund 13 Hektaren Obstanbaufläche aber vieles mehr: Kirschen, Zwetschgen, Mirabellen, Pfirsiche, Birnen, Aprikosen, Feigen, Kreuzungsfrüchte wie Aprimira (Aprikose/Mirabelle) oder Aprisali (Aprikose/Zwetschge) und Erdbeeren. Dazu: Heidelbeeren. Mattblaue, pralle, knackige, süsse, aromatische Heidelbeeren.
Man kann der Versuchung nicht widerstehen, eines der Früchtchen von einem Strauch zu zupfen und es in den Mund zu stecken. Nicht einmal Ernst Lüthi gelingt dies, als er die «Volksstimme» durch seine Heidelbeer-Anlage, nur wenige Schritte vom «Opfelhüsli» entfernt, führt. «Es ist meine Sucht», sagt er und schiebt sich eine Frucht zwischen die Lippen, ehe er von seinen Heidelbeeren zu erzählen beginnt, die jetzt reif sind.
Heimische Erde wäre tödlich
In 14 Reihen wachsen jeweils 140 Sträucher. Jeder in einem eigenen Topf. Auf den kalkhaltigen Baselbieter Böden würden die Pflanzen nicht gedeihen, erklärt der Obstbauspezialist. Deswegen zieht er sie in 25-Liter-Töpfen auf einem Substrat aus Kokos-Schrot anstelle von Torferde, deren Einsatz wegen der Zerstörung von Mooren und der Freisetzung von CO2 nicht den besten Ruf geniesst.
Heidelbeeren sind nicht nur allergisch auf unsere Böden, sondern auch aufs harte Jurawasser. Deswegen verwendet der Landwirt weiches Regenwasser, das auf dem Dach des «Öpfelhüslis» und versiegelten Flächen gesammelt und «angesäuert» wird. Im gleichen Arbeitsschritt werden dem Wasser Nährstoffe beigemischt. Der Cocktail wird den Pflanzen über ein verzweigtes Leitungssystem zugeführt. Zweimal im Tag tröpfelt die «Infusion» für jeweils zehn Minuten in die Töpfe.
Lüthi weiss viel über den Obstbau. Er ist Meisterlandwirt und Obstbaufachmann mit Meisterprüfung. Beim Schweizer Obstverband leitet er das Fachzentrum Direktvermarktung und präsidiert das Forum Obst Schweiz, und auch beim Bundesamt für Landwirtschaft sind sein Wissen und seine Erfahrung gefragt. Zudem hat der 55-Jährige auf ausgedehnten Reisen in alle Welt, wo Obst angebaut wird, viele Fachleute und Produzenten kennengelernt. Dennoch hat sich der Ramlinsburger Bauer für den Aufbau seiner 15 Aren grossen Anlage Hilfe von einem auf Heidelbeeren spezialisierten Berater geholt: Bei einer Investition von rund 25 000 Franken versucht man, möglichst viele Risiken auszuschliessen.
Bislang sei er damit sehr gut gefahren, sagt Ernst Lüthi. Dank Netzen, die nach der Blüte und Bestäubung die Plantage einhüllen, könne die Kirschessigfliege ohne Insektizide von der Kultur ferngehalten werden, obwohl die Heidelbeere auf der Speisekarte des Obstbauernschrecks ganz weit oben steht.
Erste Vollernte im vierten Jahr
Lüthi ist stolz auf die «schöne Anlage». Die Pflanzen würden sich erwartungsgemäss entwickeln und dieses Jahr wohl einen Ertrag von rund 800 Kilogramm abwerfen. Die Ernte begann Anfang Juli und dürfte bis Ende August andauern. Mit der ersten Vollernte rechnet der Bauer im kommenden, vierten Jahr: 1500 bis 2000 Kilogramm kostbare Heidelbeeren dürften es dann sein. Während 20 Jahren können die Sträucher abgeerntet werden. Verkauft werden die Früchte im «Öpfelhüsli»-Hofladen für 5.50 Franken pro 250-Gramm-Schale. In den Handel geht nichts.
Die hohe Wertschöpfung auf einer eher kleinen Fläche und die stark zunehmende Nachfrage hätten den Ausschlag gegeben, dass er vor drei Jahren auch auf die Karte Heidelbeeren setzte, berichtet Lüthi. Sein unternehmerisches Denken und sein Gaumen hätten allerdings mitentschieden: «Ich bin Neuem gegenüber aufgeschlossen und baue grundsätzlich nur Sachen an, die ich selber auch gerne esse.» Sagt’s – und nascht eine weitere Beere.
Wie Erdbeeren und Himbeeren befänden sich gegenwärtig auch Heidelbeeren «im Hype», weiss der Obst- und Vermarktungsprofi. Doch stammten neun Zehntel des Inland-Konsums aus dem Ausland: Chile, China, Spanien, Italien … Obwohl diese im Verkauf nur etwa die Hälfte von einheimischen Produkten kosten, bleiben die Schweizer Beeren nicht in den Regalen liegen. Dass trotzdem relativ wenige Landwirte in der Umgebung die Heidelbeere entdeckt haben – im Baselbiet ist es gerade einmal eine Handvoll –, führt Lüthi auf die Problematik mit dem Boden und der Wasserversorgung zurück. Ausserdem würden Heidelbeeren keinen «Grenzschutz» geniessen: Es gibt also keine höheren Zölle während der einheimischen Haupternte.
Direktvermarktung schenkt ein
Die Äpfel, Kirschen und Zwetschgen produzieren die Lüthis hauptsächlich für den Handel: die Fenaco-Landi-Gruppe. Alles andere wird fast ausschliesslich direkt vermarktet – mit einer weit höheren Wertschöpfung: Liefert er an den Handel, bleiben 20 Rappen des Konsumentenfrankens bei ihm. Mit der Direktvermarktung kann die Familie die volle Wertschöpfung auf dem Betrieb halten.
Deshalb habe er vier Jahre für den Bau des «Öpfelhüslis» gekämpft und 2 Millionen Franken in den Neubau an der verkehrsreichen Strasse investiert. Die potenziellen Kunden in den 10 000 Autos, die täglich durchs Waldenburgertal fahren, seien die Grundlage für das Funktionieren des Direktvermarktungskonzepts, erklärt der Unternehmer bei der Führung durchs Betriebsgebäude. Es verfügt über eine Lagerkapazität für 300 Tonnen Äpfel, die er zur Hälfte anderen Obstbauern zur Verfügung stellt, eine Obstpresse, einen Verarbeitungsraum mit Trocknungsanlage sowie meterhohe Regale voller Apfelsaft-Kartons – «13 Sorten, alle sortenrein», betont Lüthi, nicht frei von Stolz. Aber das wäre eine Geschichte für sich.
Die Lüthis
ch. Das «Öpfelhüsli» ist ein Familienbetrieb. Ernst und Esther Lüthi haben den früheren Milchwirtschaftsbetrieb mitten in Ramlinsburg ab 2002 nach und nach auf Obstanbau umgestellt und nutzen heute etwa die Hälfte ihrer 25 Hektaren Nutzfläche für die Kultivierung von Kern- und Steinobst, Beeren und Gemüse. Zudem werden wenige Mastschweine und -rinder gehalten sowie eine Herde mit 40 Lamas. Letztere dienen als «Rasenmäher» und sind im Hofladen eine gefragte Fleisch-Spezialität.
Die Lüthis haben vier Kinder, drei von ihnen sind mit dem elterlichen Betrieb eng verbunden: Sohn David ist wie der Vater Obstbaufachmann und wird 2025 die Verantwortung für den Betrieb übernehmen. Vater Ernst will dann, 60-jährig, ins zweite Glied zurückstehen. Die Töchter Rahel und Katja helfen in ihrer Freizeit auch auf dem Betrieb mit. Tochter Katja studierte Lebensmittelwissenschaften und befasst sich im «Öpfelhüsli» mit der Lebensmittelsicherheit und dem Marketing.