Das älteste Naturreservat des Kantons
27.08.2020 Gelterkinden, BaselbietWildbirnen und Orchideen: Augenschein im «Zangenweidli»
Schon 1943 beantragte der Gelterkinder Vogelschutzverein, das «Zangenweidli» unter Schutz zu stellen. Ein Streifzug durch das wohl älteste Naturreservat des Kantons Baselland.
Andres ...
Wildbirnen und Orchideen: Augenschein im «Zangenweidli»
Schon 1943 beantragte der Gelterkinder Vogelschutzverein, das «Zangenweidli» unter Schutz zu stellen. Ein Streifzug durch das wohl älteste Naturreservat des Kantons Baselland.
Andres Klein
Im östlichen Teil des Gelterkinder Bergs findet sich ein Naturschutzgebiet mit einer vielfältigen Pflanzenwelt. Das Zentrum dieses Reservats bildet eine Blumenmatte, die von unterschiedlichen Waldgesellschaften umgeben ist. Der Namensteil «Zange» stammt vom nahen Zangengraben ab, der mit seinen zwei Seitentälchen eine Form wie eine Zange bildet. «Weidli» weist auf eine frühere Beweidung hin, die vermutlich im Lauf des frühen 19. Jahrhunderts aufgegeben worden ist. Im Wirtschaftsplan des Försters von 1910/11 steht: «65 bis 70-jähriger schlechtwüchsiger Bestand von Föhren, Fichten, Massholder (Feldahorn), Buchen, Eichen und Mehlbaum (Mehlbeerbaum). Der Boden ist stark vergrast, der Bestockungsgrad nur 0,6 und der Weissdorn allzu reichlich vertreten. Es wird empfohlen die leeren, vergrasten Stellen mit Laubholz, besonders Erlen zu pflanzen und so den Graswuchs und die Dornen auszurotten.»
Anscheinend war die Natur stärker als die Anpflanzungen, denn um 1940 gab es an gewissen Stellen noch immer viel Gras- und Staudenpflanzen. Dies veranlasste dann 1943 den Vogelschutzverein, die Schaffung eines Reservats ins Auge zu fassen. Im Jahr 1965 fand der damalige Förster sogar die seltene Fliegen-Ragwurz unterhalb des Weges.
Viele seltene Arten
Bei der Erstellung des Naturschutzinventars im Jahr 1985 konnten unzählige für Gelterkinden seltene Arten gefunden werden, darunter Glockenblumen, Orchideen, Enziane, Schmerwurz, Hasenohr und Schwalbenwurz. Aber auch spezielle Gehölzarten wie Wildapfel, Berberitze, Reckholder, Faulbaum und beide Seidelbastarten wurden nachgewiesen. Eine Spezialität sind die vielen Wildbirnenbäume, die an den lichten Stellen vorkommen. In der Datenbank des Bundesamts für Landwirtschaft «für die Erhaltung der pflanzengenetischen Ressourcen» wird der Bestand sogar als von nationaler Bedeutung angegeben. In den 1990er-Jahren begann der Forstbetrieb zusammen mit aktiven Naturschützern, den Kernbereich zu entbuschen. Seit der Jahrtausendwende werden rund 65 Aren jährlich durch den Forstbetrieb gemäht. Ebenso wurden weitere seltene Baumarten wie Speierling und Elsbeerbaum ausgepflanzt. Die «IG Walderläbnis Gelterkinden» errichtete vor einigen Jahren einen Beobachtungsturm, der einen guten Einblick in die botanisch reichhaltige Waldlichtung gibt.
Dieses Jahr hat der Autor dieses Artikels eine neue Bestandesaufnahme in der Waldlichtung und eine weitere in den sie umgebenden geschützten Waldteilen erstellt und dabei über 200 Gefässpflanzen nachweisen können. Auch ein Bau der Roten Waldameise hat sich angesiedelt. Neben den oben erwähnten seltenen Arten kommen auch sehr viele typische Waldpflanzen vor. Zahlreiche Arten weisen auch auf wechselfeuchte Bodenverhältnisse hin, zum Beispiel Pfeifengras, Wasserdost, Sumpf-Kratzdistel, Kohldistel, Spierstaude, Land-Reitgras, Schilf und die Bienen-Ragwurz.
Eine spezielle Pflanzendecke
Diese speziellen Bodenverhältnisse sind auf die darunteliegende geologische Schicht zurückzuführen. Wie überall im Tafeljura, wo die Effingermergel an die Oberfläche gelangen, haben Bäume Mühe, ihre natürliche Grösse zu erreichen und die Landwirtschaft meidet dort eine Bewirtschaftung. Dafür bildet sich auf diesen Mergeln eine ganz spezielle Pflanzendecke, wie wir sie vom «Chilpen» in Diegten und aus den Orchideenwäldchen in Effingen kennen. Das «Zangenweidli» ist also ein etwas artenärmeres Geschwister des «Chilpen».
Auch wenn einige Gelterkinderinnen und Gelterkinder im ältesten Reservat etwas mehr seltene Orchideen erwarten, kann die jährliche sachgerechte Pflege als sinnvoll und erfolgreich bezeichnet werden. Viele der dort gefundenen Pflanzen sind sonst im Gelterkinder Bann nicht mehr anzutreffen und haben so wenigstens eine kleine Überlebenschance auf dem Berg. Bei etwas Geduld und andauernder fachgerechter Pflege kann es ohne Weiteres sein, dass weitere Orchideen wie die Fliegen-Ragwurz oder die Langspornige Handwurz wieder auftauchen oder andere seltene Arten hinzukommen und sich vermehren.
Zur Geschichte
akl. In Gelterkinden ist man überzeugt, dass das «Zangenweidli» das älteste Naturreservat des Kantons Baselland ist. Ein Beweis dafür konnte leider, trotz langer Recherchen, nicht gefunden werden. Fakt ist, dass im Jahr 1943 der Vorstand des lokalen Vogelschutzvereins ein Gesuch an den Gemeinderat stellte, das Gebiet zu schützen. Am 10. Januar 1944 fasste der Gemeinderat folgenden Beschluss: «Dem Gesuch des Vogelschutzvereins, der Gemeinderat möchte die Hecke längs des Köpfliweges (Howald) und das Zangenweidli als Reservate erklären und diese unter Schutz zu stellen lassen, wird entsprochen». Dieser Beschluss rief aber nicht nur Begeisterung hervor, wie aus dem Protokoll vom 19. Januar 1944 des Vereins zu entnehmen ist: «Zuzüglich müssen wir aber feststellen, dass die gemeinderätliche Antwort infolge ihrer Kürze das «Wie» der Reservatregelung nicht berührt. Der Aktuar wird beauftragt (…), nun den Standpunkt des Gemeinderates zu erfahren und ein Statut über die Reservatlegung zu entwerfen.»
Anscheinend war schon in den Fünfzigerjahren der Naturschutz kein Kernanliegen des Gemeinderats. Immer wieder fiel die Behörde durch spezielle Haltungen auf. So war Gelterkinden eine der letzten Gemeinden des Kantons, die in den Neunzigerjahren den Landschaftsplan fertigstellte. Später bewilligte Gelterkinden zu wenig Mittel, um bei der Revision des Landschaftsplans eine Erfolgskontrolle durchzuführen und neue Artenlisten zu erheben. 2014 versuchte der Gemeinderat gar, den Waldteil des Reservats im «Zangenweidli» zu verkleinern, wurde aber vom Kantonsgericht gestoppt.
2001 nahm der Regierungsrat das «Zangenweidli» in das Inventar der geschützten Naturobjekte auf und regelte die Schutzdetails. Damit war die Basis für eine fachgerechte Pflege des Gebiets durch den Forstdienst gelegt und der Wunsch des Vogelschutzvereins von 1943 erfüllt.
Der Engagierte
akl. Seit über 30 Jahren hat Andreas Freivogel die Verantwortung für die Wälder des Forstreviers Farnsberg. Dass ihm da der Wald seiner Wohngemeinde besonders am Herzen liegt, ist naheliegend. Er leitet das Revier und seinen Betrieb sehr sorgfältig und ist stolz darauf, dass er betriebswirtschaftlich zu den erfolgreichsten Betrieben im Kanton gehört. Er ist ein Förster, der versucht, all seine Funktionen unter einen Hut zu bringen. Er ist verantwortlich für alle Arbeiten, die im und um den Wald anfallen, von der Planung, über die Pflege und die Holzernte bis zum Holzverkauf. Er schätzt diese vielseitige und abwechslungsreiche Arbeit sehr. Er gehört auch zu den Förstern, die nicht nur die Maus in der rechten Hand haben, sondern gerne auch die Motorsäge zum Röhren bringt. Andreas Freivogel findet es auch sehr befriedigend, dass er draussen sehen kann, was er gearbeitet hat, und zwar nicht nur in der Woche zuvor, sondern in den vergangenen 33 Jahren.
Eher schwierig ist es, dass er im vergangenen Jahr keinen einzigen gesunden Baum ernten konnte. Er und seine Unternehmer waren gezwungen, ausschliesslich Bäume zu ernten, die von Parasiten geschädigt oder vom Wind geknickt waren.
Ab und zu denkt er darüber nach, wie der Wald mehr Aufmerksamkeit und Stellenwert in der Öffentlichkeit und bei den Behörden bekommen könnte. Immerhin bedeckt der Wald 50 Prozent der Gemeindefläche. Er schätzt es sehr, dass ihm seine Vorgesetzten sehr viel Verantwortung übergeben haben und er so selbstständig für «seine Wälder» sorgen kann. Ein wichtiges Anliegen ist für den Farnsberger Revierförster auch der Naturschutz. Das ist nicht ganz zufällig, denn schon sein Vorgänger hat sich im Naturschutz engagiert und war auch wie Andreas Freivogel lange Jahre aktiv im Vorstand des Natur- und Vogelschutzvereins. Somit hat Andreas Freivogel vermutlich sein Engagement für die Natur nicht erst in der Lehre oder der Försterschule, sondern bei seinem Vater Paul Freivogel, seinem Amtsvorgänger, mitbekommen.
Der heutige Förster war nicht nur für die Auflichtung des «Zangenweidlis» bei den Initianten, sondern er schaut auch heute, dass das Gebiet gut unterhalten wird. Dabei ist ihm die Öffentlichkeitsarbeit sehr wichtig. Auf seinen Exkursionen, an Naturschutztagen und an Bürgerversammlungen gibt er sehr gerne spannend und anschaulich sein grosses Wissen und seine Erfahrung weiter. Er weiss die Leute zu begeistern. Dahinter steht seine Überzeugung, dass es sich lohnt, sich für die Natur einzusetzen und für deren Pflege und Erhaltung einzustehen.