MEINE WELT
03.07.2020 GesellschaftZoom
«Tausend Mal berührt, tausend Mal ist nichts passiert / tausend und eine Nacht – und es hat Zoom gemacht»: Viele unter uns kennen diesen Song von Klaus Lage. Nichts hat in den 1980er-Jahren mehr herhalten müssen als dieses Lied. Nun hat es ...
Zoom
«Tausend Mal berührt, tausend Mal ist nichts passiert / tausend und eine Nacht – und es hat Zoom gemacht»: Viele unter uns kennen diesen Song von Klaus Lage. Nichts hat in den 1980er-Jahren mehr herhalten müssen als dieses Lied. Nun hat es wieder Zoom gemacht. Aus dem Zoom der 80er ist ein weltweites Zoom entstanden. Corona sei Dank. Seit dem Lockdown im März dieses Jahres kennen beinahe ausnahmslos alle Schüler und Erwerbstätigen die Programme Zoom, Skype oder Facetime für Videokonferenzen. Mal eben bequem eine Sitzung einberufen ohne die Bahn, den Flieger oder das Auto zu benutzen, was so oder so nicht oder lediglich eingeschränkt möglich war.
Die meisten von uns kennen Videokonferenzen allerdings nur vom Hörensagen. Überhaupt haben viele der im Homeoffice Gestrandeten das erste Mal in ihre Kamera am PC gestarrt und gesprochen. Professionell, so wie es im Daily Business eben nötig ist. Dass aller Anfang schwer ist, belegen jene Bilder, die den Weg ins Netz gefunden haben. Manager in Shorts und Socken unten, mit weissem Hemd und Krawatte oben. Der sportliche Herr Meier aus Basel vergisst die im Hintergrund drapierten Schals und signierten Posters vom FC Zürich, obwohl er glaubhaft behauptet hat, mit Fussball nichts am Hut zu haben und die biedere Frau Huber vom oberen Management lässt Männerfantasien erwachen beim Anblick der polierten Pooldance-Stange im Hintergrund.
Und plötzlich sieht man sich in einem ganz anderen Licht. Alle anderen Teilnehmer sehen es auch. Schlaffe Haut, Falten, wo sie nicht sein sollten, schiefe Nasen, schräge Augen und zu wenig Haar, da, wo man gerne mehr davon hätte. Es ist der Zoom-Effekt, der uns gnadenlos spiegelt. Alle sehen sich diese Konferenzbilder in Grossaufnahme an. Das hässliche Selbstporträt an der Wand oder die grauenhafte Tapete aus den 50ern interessiert die wenigsten.
Dass aber Frau Huber abstehende Ohren hat, war niemandem bewusst, weil ihre Figur im faden Business-Kostüm toll war. Dass Herr Meier nach dem Lockdown Erklärungsbedarf hat, weil nichts auf seinem Schreibtisch im Büro an Fussball erinnert, weiss er jetzt schon. Dass jedoch die Telefone von Schönheitschirurgen nicht mehr still stehen, ist spannend und man fragt sich: «Haben denn alle Gespiegelten keinen Spiegel zu Hause?» Waren wir so verblendet, dass wir uns selbst ignoriert haben? Wollten wir die geschwollenen Augen und das schüttere Haar am Morgen einfach nicht mehr sehen?
Viel schlimmer ist, dass diese Bilder nicht statisch, sondern beweglich sind und bleiben – vor allem im Netz. Wohl dem, der sich zukünftig nicht genauestens im Spiegel betrachtet und wohl dem, der sich erst seit Corona wieder neu entdeckt. Dabei wäre alles ganz einfach. Wie bei Videokonferenzen kommt es hauptsächlich auf den Inhalt an. Das war schon immer so, bloss war es uns nie so bewusst wie während dieser Zeit. Da fühlt man sich jung, dynamisch und gut aussehend. Und dann hängt da dieser Spiegel … Die inneren Werte zählen!
Claude Lachat ist Schriftsteller, 55 Jahre alt und wohnhaft in Nunningen. Er arbeitet als Programmleiter von Tandem 50 plus Baselland.