Kaveku im Pommerland
07.07.2020 SerienInseln sammeln im Südpazifik, Teil 3: Amanu, Tuamotu-Archipel
Während unserer Reise 2019 haben wir als erstes Passagierschiff die Insel Amanu angefahren. Ein zuvor geplanter Besuch konnte nicht stattfinden: Man sei noch nicht bereit gewesen, Besucher zu empfangen, so der ...
Inseln sammeln im Südpazifik, Teil 3: Amanu, Tuamotu-Archipel
Während unserer Reise 2019 haben wir als erstes Passagierschiff die Insel Amanu angefahren. Ein zuvor geplanter Besuch konnte nicht stattfinden: Man sei noch nicht bereit gewesen, Besucher zu empfangen, so der Bürgermeister. Hikitake, das einzige Dorf auf Amanu, zählt gerade einmal 60 Einwohner, auf unserm Schiff warteten 150 Besucher.
Hanspeter Gsell
Ich wohne in einem Dorf mit 6500 Einwohnern und stelle mir vor, dass am Bahnhof eben etwas mehr als 16 000 Chinesen eingetroffen sind. Unser Gemeindepräsident, unser Paramount-Chief, dachte kurz an Angela Merkel und meinte: «Wir schaffen das!» Worauf die Einwohner ihre Türen zunagelten, die Fensterläden schlossen und sich in ihren Bunkern versteckten.
Besuche auf Inseln wie Amanu sind für Passagierschiffe nicht ganz einfach zu organisieren. Was sollte man den Gästen zeigen? Was zeichnet die einzelnen Inseln besonders aus?
So hatte ein Bürgermeister der Reederei gemeldet, dass man auf seiner Insel den Besuchern ein verlassenes, geheimnisumwittertes Dorf zeigen würde. Das hat man dann auch getan: Das «Dorf» bestand aus einer einzigen, windschiefen Hütte. Wo denn das Dorf sei, fragte der Mann der Reederei. «Keine Ahnung!», meinte der Bürgermeister. «Aber irgendwas muss man den Gästen doch zeigen können!» und beendete seine Rede mit Erzählungen aus alten Zeiten.
Surfen vor Hikitake
Die «Aranui» treibt vor der Insel Amanu, erste Häuser des Hauptorts Hikitake sind zu sehen. Auf den Wellen vor dem Pass, der Eingangspassage zur Lagune, surft die Dorfjugend. Nicht auf 1000-Dollar-Brettern von Swarovski, sondern auf Teilen alter Styropor-Verpackungen.
Der Empfang durch den Bürgermeister des Dorfs, er ist gerade einmal 24 Jahre alt, ist herzlich, beinahe überschwänglich. Man hat sich auf unseren Besuch vorbereitet, rund um die Kirche wurde ein Markt aufgebaut, Kunsthandwerk wird angeboten. Die Kinder tanzen und spielen: Fotoapparate klicken ununterbrochen, Handys piepsen und summen. Hätte man 5 Cents pro Aufnahme verlangt, das Dorf wäre reich geworden. Aber vielleicht wäre auch mit jedem Klick ein wenig Farbe von der Insel gewichen, ein Gedanke, der traurig stimmt. Südsee ohne Farben? Das wäre dann Nordsee, einfach ein wenig wärmer.
Ein alter Leuchtturm, eher eine steinerne Plattform für ein Feuer, steht noch immer in der Nähe des Passes, dem Eingangstor zur Lagune. Unklar ist, ob das Feuer andere Schiffe sicher durch die Tuamotus leiten sollte, den Eingang zum Pass weisen, oder aber unwillkommene Besucher abhalten sollte.
Uralte Dou-Bäume flankieren unseren Weg von der Anlegestelle zur Dorfkirche. Sie wurden über die Jahrhunderte von Eroberern und Seemännern auf die Inseln gebracht. Eine sehr weitsichtige Tat, denn ihr hartes Holz eignet sich perfekt für den Schiffsbau. Vielleicht wurde man später noch einmal auf die Insel geblasen und wäre froh über das Baumaterial gewesen.
Die Bäume sollen über 300 Jahre alt sein! Könnten sie doch sprechen! Vielleicht aber sollten sie es bleiben lassen: Sie haben grausame Eroberer gesehen, aber auch blutige Kriege, Stürme und Tsunamis überlebt.
Als es noch keine Schutzbunker gab, haben sich die Einwohner an Baumstämmen festgemacht. Die Mutigsten sollen auf hohe Palmen geklettert sein und hätten so auch Tsunamis überstanden. So erzählt es der Reiseführer. Ich habe ihm, obwohl ich es ausnahmsweise besser wusste, nicht widersprochen.
Kaveku, der Palmendieb
Te-motu-tuta-tau, der Dorflehrer, erzählt uns die Geschichte der Krabbe Kaveku. Kaveku ist eine Kokosnuss-Krabbe, ein sogenannter Palmendieb. Er soll, so die Erzählungen der Einheimischen, nachts auf die Kokospalmen steigen und mit seinen gewaltigen Scheren die schönsten Nüsse vom Baum zwicken. Anschliessend steigt er wieder von der Palme herunter und macht sich genüsslich über seine Leibspeise her.
Wissenschaftler wie der deutsche Biologe und Kokosnusskrabbenforscher Holger Rumpf, meinten allerdings, dass die Krabben für ein solches Vorgehen viel zu blöd seien. Die Nüsse würden wohl von allein zu Boden fallen. Dummerweise ist Kaveku, die Krabbe, ihrerseits die Leibspeise von Toto.Toto wohnt hinter dem Schulhaus und fängt regelmässig Kokoskrabben. Da diese die Angewohnheit haben, etwas streng zu riechen und deren Fleisch manchmal auch giftig sein kann, werden sie für einige Tage in einem Verschlag eingesperrt und dort mit Kopra, dem getrockneten Fleisch der Kokosnüsse, gefüttert. Das Fleisch der Krabbe ist eine Delikatesse und eine willkommene Abwechslung im eintönigen Speiseplan der Insulaner.
Toto ist einfacher Fischer, Schulen hat er wohl nur von aussen gesehen. Als er nun erfuhr, dass heute eine Ladung Touristen die Insel «überfallen» würde, bekam er es mit der Angst zu tun. Womöglich würde man ihm Kaveku klauen! Fremde Leute würden seine Krabbe betatschen, mitnehmen oder sonst was mit ihr anstellen. Das konnte er nicht zulassen. Noch bevor der Pfarrer zur Frühmesse bimmelte, hatte er Kaveku bereits mit Haut und Scheren aufgegessen. Dazu soll er, so berichtete ein Nachbar, Café auf Lait, Milchkaffee, getrunken haben.
Mit Kavekus ist ganz und gar nicht zu spassen. Mit ihren Scheren knipsen sie jeden Finger ab, Holzwände sind für sie keine Hindernisse. Wer einen Kaveku in seinen Schlafzimmerschrank sperrt, wird nicht schlafen können. Sein Trommeln wird man noch im Nachbarhaus hören.
Pommerland am Palmenstrand
Hikitake ist wohl das, was man umgangssprachlich als Kaff bezeichnen würde. Umso schöner blühen in den Vorgärten der kleinen Häuser die Geschichten aus alten Zeiten. So wurden 1906 auf einer kleinen Insel des Amanu-Atolls uralte Kanonenrohre gefunden. Ein australischer Professor ist sich sicher, dass sie von einem spanischen Schiff stammen, das dort 1526 auf einer Fahrt zu den Gewürzinseln, den Molukken, strandete.
Ein anderer Forscher hat entdeckt, dass ein deutscher Kanonier namens Heinrich von Pommern unter dem Künstlernamen «Enrique de Pomare» auf jenem Schiff angeheuert hatte. Pomare aber war der Name einer ganzen Dynastie polynesischer Könige. Wäre es möglich, dass diese Menschen ursprünglich aus dem Pommerland einwanderten?
Nachfahren der polynesischen Pomare-Familie sollen DNA-Proben abgeben, die dann mit den Proben des pommerschen Herzogs Bogislaw X., seinerseits Nachfahre von «Enrique de Pomare» verglichen werden sollen.
Ich denke, dass man solche Sätze nur verstehen kann, wenn man sich das Gehirn unter der tropischen Sonne tüchtig verbraten hat.
In loser Folge erscheint in der «Volksstimme» die fünfteilige Serie zur Reise des Sissachers Hanspeter Gsell von den Gesellschaftsinseln über den Tuamotu-Archipel und die Gambierinseln zum südlichsten Archipel Französisch-Polynesiens, den Austral-Inseln. Die Reise fand im Frühjahr 2019 statt.