«Eine gewisse Zuversicht ist zu spüren»
03.07.2020 Baselbiet, WirtschaftStandortförderer Thomas Kübler bereitet sich auf eine zweite Pandemiewelle vor
Der Baselbieter Standortförderer Thomas Kübler war in der Coronakrise mit der Koordination der kantonalen Soforthilfe für Unternehmen stark gefordert. Die Soforthilfe habe sich als richtig und notwendig ...
Standortförderer Thomas Kübler bereitet sich auf eine zweite Pandemiewelle vor
Der Baselbieter Standortförderer Thomas Kübler war in der Coronakrise mit der Koordination der kantonalen Soforthilfe für Unternehmen stark gefordert. Die Soforthilfe habe sich als richtig und notwendig erwiesen, bilanziert er im Interview. Die Vorbereitungsarbeiten für eine mögliche zweite Welle laufen auf Hochtouren.
André Frauchiger
Herr Kübler, Sie waren in den vergangenen Monaten als Standortförderer im Bereich der Soforthilfe wegen des Coronavirus stark engagiert. Was haben Sie erlebt?
Noch im Februar haben wir von der Standortförderung Baselland normal geplante Besuche in Firmen im Kanton unternommen. Die ganze Entwicklung und Problematik mit Covid-19 zeigte sich erst nach und nach. Zuerst wiesen unsere Firmen auf Geschäftsprobleme im Handel mit Unternehmen in China hin, wo Betriebe wegen des Coronavirus geschlossen wurden. Zudem sagten zwei, drei Besucherdelegationen aus China ihre Visiten bei uns ab. Als das Virus nach Europa kam, insbesondere nach Norditalien, begann sich die ganze Brisanz und Gefährlichkeit der Pandemie abzuzeichnen. Im März führten wir dann intensive Gespräche mit den verschiedenen Firmen über die neue, bedrohliche Situation und notwendige, zu ergreifende Massnahmen.
Und wie ging es dann weiter?
Der Baselbieter Regierungsrat beschloss am Sonntag, 15. März, die Notlage, den Lockdown, der Bund folgte einen Tag später. Restaurants, der Detailhandel und der Eventbereich teilten dann mit, die Einnahmen würden wegbrechen und sie befürchteten grösste wirtschaftliche Schwierigkeiten, zumindest mittelfristig. Die Betroffenheit war aber von Branche zu Branche unterschiedlich.Vor allem die Binnenwirtschaft signalisierte Probleme. International tätige Firmen hatten zu diesem Zeitpunkt grösstenteils noch gut gefüllte Auftragsbücher.
Dennoch musste die Regierung schnell handeln.
Der Regierungsrat beschloss zwei Tage nach dem Lockdown, im Rahmen der Notverordnung auf Kantonsebene, vier zentrale Elemente von Unterstützungsmassnahmen für die Wirtschaft einzuführen: Erstens die Soforthilfe, zweitens die Möglichkeit zur Absicherung von Überbrückungskrediten an Baselbieter Unternehmen durch den Kanton, drittens die Unterstützung von Lehrbetrieben in Kurzarbeit zur Sicherung von deren Lehrstellen, und viertens den Verzicht auf die Erhebung von Verzugszinsen auf Staatssteuern bis Ende 2020. Allein schon die vierte Massnahme hat den Kanton einen zweistelligen Millionenbetrag gekostet. Es ging einfach um die Frage, wie Unternehmen auf kantonaler Ebene möglichst schnell und unkompliziert unterstützt werden können in Bereichen, die nicht bereits vom Bund abgedeckt sind. So zum Beispiel zur Deckung von Fixkosten wie Mieten, Wasser- und Lagerkosten durch die Soforthilfe.
Was waren die Kriterien für Soforthilfe?
Es wurden vom Kanton klare Kriterien vorgelegt, und das Ganze sollte nicht zu einem Formularkrieg verkommen. Zwei Kriterien waren bestimmend: Eine gesuchstellende Firma beziehungsweise ein Selbstständigerwerbender, musste von Kurzarbeit oder Betriebsschliessung betroffen sein – später wurde das Kriterium auch auf indirekte Betroffenheit bei Selbstständigerwerbenden erweitert – und es musste eine Baselbieter Firma sein. Der Bewilligungsprozess war ganz bewusst einfach ausgestaltet: Ein Unternehmen konnte sogar papierfrei ein Gesuch stellen. Innerhalb von wenigen Tagen wurde der Bewilligungsprozess dann abgewickelt, in Zusammenarbeit mit allen involvierten kantonalen Ämtern. Am 2. April hiess der Baselbieter Landrat die Auszahlung der Mittel im Rahmen der Soforthilfe gut, und die erste Auszahlung konnte noch vor Ostern, am Gründonnerstag, erfolgen. Am 8. April dann wurde die erste Soforthilfezahlung an Firmen getätigt. Am 26. Juni erfolgte bereits die Bewilligung für die neunte und zehnte Auszahlungs-Tranche. Die Zahlen sind bemerkenswert: Es wurden im Kanton Baselland in dieser Zeitspanne rund 5000 Gesuche um Soforthilfe gestellt und hierfür rund 39 Millionen Franken an staatlicher Unterstützung aus der Staatskasse ausbezahlt.
Was lässt sich heute über die Wirkung der Soforthilfe sagen?
Es hat sich ganz eindeutig gelohnt, dass der Kanton den Not leidenden Firmen sehr direkt und schnell unter die Arme gegriffen hat. Bisher sind jedenfalls keine gravierenden Konkursanstiegszahlen zu verzeichnen. Dies auch, obwohl Ende Mai die Notverordnung durch den Regierungsrat aufgehoben wurde und seit Anfang Juni keine neuen Gesuche mehr gestellt werden können.
Es gibt aber nicht wenige Stimmen, die für den kommenden Herbst Konkurse und Entlassungen grösseren Ausmasses voraussagen.
Das lässt sich nicht ausschliessen. In den kommenden Monaten kann es zu Schliessungen und Entlassungen kommen. Ich kann aber zum heutigen Zeitpunkt sagen: Wir hören von den Unternehmen diesbezüglich zurzeit nicht viel. Und das ist sicher eher ermutigend.
Wie war – bezüglich Soforthilfe – die Anspruchshaltung der Unternehmen Ihnen gegenüber?
Bei den rund 5000 Gesuchen war eines klar festzustellen: Seitens der Unternehmen war eine grosse Zurückhaltung zu spüren. Es bestand keine Abholmentalität, im Gegenteil. Es war auf jeden Fall eine konzentrierte, begründete Soforthilfe-Aktion. Zum Teil wollten Unternehmen auch nur einen Teil der ihnen zustehenden Gelder beziehen.
Eventbetriebe und Kulturmanager klagen besonders über ihre Situation.
Innovation ist auch hier gefragt. Ich verstehe die Klagen gegenüber dem Bund, aber die Betroffenen sind auch gefordert, kreativ zu sein. Generell lässt sich sagen: Die Klärung der Situation und das Entscheiden bei Härtefällen ist oft schwierig. Und der gesetzliche Rahmen lässt nicht immer viel Spielraum zu.
Wie ist die Situation in den einzelnen Branchen heute, nach dem Lockdown?
Seit der Wiedereröffnung sind viele Restaurants wieder gut besetzt. Es gibt wieder Umsatz. Sicher: Der Aufwand wegen der Sicherheitsmassnahmen kostet, die Margen sind kleiner geworden. Auch im Detailhandel läuft es wieder. Es gibt bei der Kundschaft sogar einen gewissen Nachholeffekt. Der Detailhandel hat aber während des Lockdowns empfindlich gelitten, zum Beispiel im saisonalen Geschäft wie der Frühlingsmode. Die Bauwirtschaft hingegen hat sich als stabil erwiesen und läuft durchwegs gut. Handwerker sind nach wie vor sehr gefragt. In der Exportwirtschaft sind zwei Situationen festzustellen: Den Pharmaund Biotech-Unternehmen sowie der Zulieferindustrie geht es gut, andere Branchen wie zum Beispiel die Autoindustrie und deren Zulieferer leiden stark. Wir stützen uns für unsere Informationen auf direkte Befragungen bei den Unternehmen, persönlich oder per Telefon, und auf die Studien des Unternehmens BAK Konjunkturanalyse. Zudem werden zurzeit – zusammen mit allen regionalen Wirtschaftsverbänden – Firmen an breiter Front über ihre Situation und ihre Einschätzungen befragt.
Wie lauten die Prognosen?
Es besteht die Hoffnung, dass im Herbst die Wirtschaft wieder «anspringt». Die befragten Unternehmen sind jedenfalls verhalten optimistisch. Ein Drittel der befragten Unternehmen sehen für den Herbst die Wirtschaftsleistung deutlich schlechter, ein weiteres Drittel auf Vorjahresniveau und das letzte Drittel besser als im vergangenen Jahr. Zusammenfassend lässt sich sagen: Es ist doch eine gewisse Zuversicht in den Unternehmen zu spüren.
Was geschieht bei einer zweiten Pandemiewelle?
Der grösser werdende internationale Protektionismus ist das eine Problem, eine mögliche zweite Pandemiewelle mit Lockdown das zweite. Beides zusammen ist schwierig zu bewältigen. Es ist auf jeden Fall zu hoffen, dass es keinen vollständigen Lockdown mehr geben muss. Die Frage stellt sich, worauf wir uns vorbereiten müssen. Sollte es nur eine schwache Wirtschaftserholung geben, müssen die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft verbessert werden, beim Detailhandel zum Beispiel mit der Bewilligung von zusätzlichen Sonntagsverkäufen. Wenn es ganz schlecht aussehen sollte, sind auch wieder staatliche Konjunktur- und Impulsprogramme nicht auszuschliessen. Im Auftrag des Regierungsrats arbeitet die Verwaltung an der Prüfung von verschiedenen Möglichkeiten und Optionen in unterschiedlichen Szenarien.
Wie sehen die wirtschaftlichen Perspektiven der Nordwestschweiz im Vergleich mit der ganzen Schweiz aus?
Das Staatssekretariat für Wirtschaft des Bundes (Seco) geht davon aus, dass es bereits im zweiten Halbjahr 2020 zu einer gewissen wirtschaftlichen Erholung kommen wird. Die Nordwestschweiz dürfte dank der Pharma besser dastehen. Ich gehe davon aus, dass sich gesamtschweizerisch das Wachstum um 5 bis 6 Prozent verringern wird, bei uns in der Nordwestschweiz dürfte ein geringeres Minus von vielleicht «nur» rund 3 Prozent zu erwarten sein. Es ist eine Tatsache: Solange es der Pharma gut geht, geht es auch der Nordwestschweiz gut. Dabei sitzen insbesondere Basel-Stadt und Baselland im gleichen Boot – das Zentrum und das Nichtzentrum gehören eben wirtschaftlich zusammen und brauchen einander.
Zur Person
afr. Die Standortförderung Baselland, die zur Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektion des Kantons Baselland gehört, steht seit 2016 unter der Leitung von Thomas Kübler. Der studierte 54-jährige Ökonom (HSG St. Gallen) hat langjährige Erfahrung in der Konjunkturforschung, war einige Zeit stellvertretender Direktor bei der Basler Konjunkturforschungsstelle BAK Basel und betrieb dann auch eine eigene Beratungsfirma. Thomas Kübler legt nach wie vor grössten Wert auf die Befragung und unbürokratische Unterstützung von Unternehmen im Kantonsgebiet. Zuständig für die Koordination der Soforthilfe des Regierungsrats in der Covid-19-Phase mit dem Lockdown, konnte er seine Erfahrungen voll einbringen. Er lebt in Büsserach, ist verheiratet und Vater dreier Kinder.