Toxische Pointe einer alten Sage
25.06.2020 Bezirk Waldenburg, BretzwilDer «Häxeblätz» ist stark mit Arsen und Thallium belastet
Der «Häxeblätz» oberhalb von Bretzwil ist seit Jahrhunderten sagenumwoben, weil in diesem Gebiet kein Baum und kein Busch wächst. Jetzt ist klar, weshalb: Die Belastung des Bodens mit den giftigen Metallen Arsen und Thallium ...
Der «Häxeblätz» ist stark mit Arsen und Thallium belastet
Der «Häxeblätz» oberhalb von Bretzwil ist seit Jahrhunderten sagenumwoben, weil in diesem Gebiet kein Baum und kein Busch wächst. Jetzt ist klar, weshalb: Die Belastung des Bodens mit den giftigen Metallen Arsen und Thallium ist natürlicherweise stark erhöht. Dies zeigt eine aktuelle Bodenuntersuchung.
David Thommen
«Ein verhexter Platz» lautete im vergangenen August der Titel eines grossen Artikels in der «Volksstimme» über das Gebiet «Häxeblätz» bei Bretzwil. Und in der Unterzeile: «Was hat es mit dieser eigenartigen Matte auf sich?»
Der Gelterkinder Biologe Andres Klein hatte sich für unsere Zeitung aufgemacht, um den «Häxeblätz» näher zu begutachten. Auf der Wiese wachsen zwar wertvolle und seltene Pflanzen wie Orchideen, aber kein Baum und kein Busch, obwohl es ringsum Wald hat und obwohl die Wiese weder gemäht noch beweidet wird. Seit Jahrhunderten ranken sich deshalb um den «Häxeblätz» Mythen. Der Ort, in dessen Nähe einst ein Galgen stand und wo im Mittelalter vermeintliche Hexen auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden sein sollen, sei verflucht, so eine alte Sage (siehe Kasten rechts).
Unser Zeitungsartikel machte die Wissenschaftler beim kantonalen Amt für Umweltschutz und Energie (AUE) hellhörig: An Sagen und Mythen glaubt man dort offensichtlich nicht. Ein auffällig gehemmtes Pflanzenwachstum deute weniger auf einen Fluch als vielmehr auf eine starke Bodenbelastung hin, sagte man sich. Im März wurden deshalb auf dem «Häxeblätz» fünf Bodenproben auf der Fläche von je einer Are erhoben und auf Schadstoffe analysiert. Resultat: «Es fanden sich stark erhöhte Arsen- und Thalliumgehalte», heisst es im soeben fertiggestellten Untersuchungsbericht. Und weiter: «Die Gehalte beim Arsen liegen um den Faktor 200 und beim Thallium um den Faktor 2500 über der in den Baselbieter Böden normalen Hintergrundbelastung.»
Stoffe sind «hochgiftig»
Das stark eingeschränkte Pflanzenwachstum im Bereich «Häxeblätz» sei «mit grosser Sicherheit» auf diese massive Bodenbelastung zurückzuführen, heisst es im Bericht. Bei Arsen und Thallium handelt es sich um chemische Elemente. Diese (Halb-) Metalle – zumindest als Oxyd oder als Verbindung – sind hochgiftig. Erhöhte Gehalte wurden überdies bei den Schadstoffen Cadmium, Quecksilber, Blei und Zink gemessen. Ein von der «Volksstimme» befragter Wissenschaftler bezeichnete vor allem den hohen Arsengehalt als nicht schlüssig erklärbar.
Beim Amt für Umweltschutz und Energie (AUE) geht man davon aus, dass die Schadstoffe vor Jahrmillionen während des Gesteinsbildungsprozesses angereichert wurden und beim Bodenbildungsprozess über Hunderte von Jahren in den Boden gelangt sind. Dominic Utinger, Leiter des Ressorts Ressourcenwirtschaft und Anlagen beim AUE, sagt auf Nachfrage, dass die genaueren Umstände noch nicht bekannt seien. Der von einer «weissen Frau» ausgesprochene Fluch fällt als Erklärung für die verhexte Wiese aber ab jetzt definitiv ausser Betracht …
Schilder sollen warnen
Da auf diesem Areal, das zonenrechtlich als Wald gilt, seit jeher keine Landwirtschaft betrieben wird, ergeben sich aufgrund der neuen Erkenntnisse kaum Nutzungskonflikte. Einziges Problem: Der Ort wird von Natur- und Wanderfreunden gerne besucht; die Gegend ist als Naherholungsgebiet bekannt und beim «Häxeblätz» gibt es eine Feuerstelle. Es besteht laut Untersuchungsbericht eine gewisse Gefahr, dass Kleinkinder – jünger als vierjährig – beim Spielen auf diesem belasteten Gelände Bodenmaterial über den Mund aufnehmen, was anschliessend im Extremfall zu Vergiftungserscheinungen führen könnte.
Die Vertreter des Kantons statteten den Gemeindebehörden Bretzwils vergangene Woche deshalb einen Besuch ab und brachten die Empfehlung mit, bei allen Zugängen zum «Häxeblätz» Warnschilder anzubringen und die Bevölkerung im lokalen Mitteilungsblatt über die Schadstoffbelastung zu informieren.
Die Bretzwiler Behörden hätten signalisiert, dass sie mit diesen Massnahmen einverstanden seien, sagt Dominic Utinger vom AUE. Scherzhaft sei bedauert worden, dass der «Häxeblätz» wegen der jetzigen Untersuchung seines Mythos beraubt worden sei, fügt Utinger hinzu und lacht. Der Kanton wird nun im Gebiet des Hügels mit dem Namen «Brang» weitere Proben nehmen, um die Belastungszone besser eingrenzen zu können. Bisher wurde erst die Fläche der optisch auffälligen Waldwiese untersucht. Utinger: «Wir lassen den Sommer über eine Einschätzung durch einen erfahrenen Geologen aus der Region erarbeiten. Thema sind dabei generell die geogenen Bodenbelastungen.»
Auch in Buus und in Liesberg
Ganz einzigartig ist im Kanton Baselland die natürlicherweise hohe Belastung eines Areals mit Arsen und Thallium nicht. Bereits Anfang 2015 legte das AUE einen Untersuchungsbericht über das Gebiet Erzmatt in Buus vor. Alleine schon der Flurname weist darauf hin, dass dort früher Eisenerz verhüttet worden ist. Die dortige natürliche Belastung mit Arsen und Thallium liegt im vergleichbaren Bereich wie auf dem «Häxeblätz». In Buus beklagten Landwirte seit den 1920er-Jahren, dass auf dieser Fläche von rund 1,5 Hektaren kaum Ackerbau möglich ist und gepflanzte Bäume bald verkümmerten. Landwirtschaftlich genutzt wird die Matte heute nicht mehr. Entstanden ist als Folge der Untersuchungsergebnisse eine Dauer-Buntbrache, auf der einheimische Wildkräuter wachsen. Der Schaden für den Landwirt hält sich in Grenzen, da solche Naturwiesen subventionsberechtigt sind.
Erhöhte Arsenkonzentrationen, wenn auch nicht gerade im Ausmass wie auf dem «Häxeblätz» und in Buus, wurden jüngst ebenfalls im Laufental festgestellt; speziell in Liesberg Dorf. Der höchste Gehalt liegt rund 25-mal über dem Gehalt an Arsen eines durchschnittlichen Baselbieter Bodens. Die Kantonsbehörden empfehlen, dort auf den Gemüseanbau zu verzichten – auch in Privatgärten. Insbesondere beim Verzehr von Salaten aus Liesberger Anbau wird zur Zurückhaltung geraten. Zudem sollten Kleinkinder nur auf Böden mit vollständiger Pflanzenbedeckung – wie zum Beispiel dichtem Rasen – spielen.
In Liesberg ist das Arsen also vor allem lästig. Auf dem «Häxeblätz» auf einer Höhe von etwa 810 Metern über Meer hingegen gedeiht dank der hohen Schadstoffbelastung eine prächtige Trockenwiese von nationaler Bedeutung. Ein toxischer Untergrund kann also durchaus auch seine positiven Seiten haben (siehe Kasten unten).
Die Sage
«Der Bärg zwüsche Brätzbel und Nunnige heisst der Brang. Dört, won er scho gege Nunnige abegoht, isch e zimli grossi blutti Stell, der Häxeplätz. Uf der hindere Syte, satt am Holz, stoht der Gränzstei zwüsche Solethurn und Baselland.
Die olte Lüt hai verzellt, es syg alben e Galge dört gstande. Anderi säge, me haig d Häxe dört obe verbrennt. Underim Bärg, uf der Sandebeni, sy e paar Tanne binander gstande, under dene syg über d Häxe Gricht gholte worde. Wo der Hänker emol znacht über das Fäld gangen isch, isch im e wyssi Frauegstalt erschine. Si het gegen im Häxeplätz uufe zeigt und gsait: ‹Die Stell dört obe sell für alli Zyte verfluecht sy, es sell druff kei Baum, kein Struuch meh wachsen und s Gras, wo wachs, well e kei Tier frässe.›
Anno 1893 isch e troches Jahr gsi. Wils fascht kei Fueter gee het, hai d Lüt vom Underbrang, vome Hof undedra, das Gras bim Häxeplätz abgmäjt und hais heigno, aber kei Chue haigs agrüert.»
Paul Suter und Eduard Strübin: «Baselbieter Sagen»;
Quellen und Forschungen zur Geschichte von Baselland (14),
Liestal 1976, Sage Nr. 775, Seite 300.
Eine schützenswerte Wiese
tho. Kaum Humus, extrem trocken und sehr steil: So erklärte man es sich bisher, dass auf dem «Häxeblätz» kein Gehölz wächst. Jetzt weiss man, dass die starke Belastung mit Arsen und Thallium ebenfalls ein wichtiger Faktor ist.
Trotz der neuen Erkenntnis: Das Gebiet ist aus naturschützerischer Sicht wertvoll, wie Biologe Andres Klein in seinem Artikel von Ende August 2019 in der «Volksstimme» ausführte. Er schrieb unter anderem:
«Die Blaugraswiese auf dem ‹Häxenplätz› ist im Bundesinventar der Trockenwiesen und -weiden (TWW) von nationaler Bedeutung aufgeführt und geschützt. Es ist eines von wenigen Objekten im Baselbiet, bei dem das Blaugras dominiert. …
Wir haben die Fläche besucht, um zu sehen, was dort an Pflanzen und Tieren gedeiht. Dabei konnten neben typischen Trockenwiesenarten auch viele verschiedene Tagfalter beobachtet werden. So wurden auf der Skabiosenblättrigen Flockenblume viele Individuen des Grossen Ochsenauges gesichtet. Kaisermantel, Weisser Waldportier und der Gemeine Bläuling besuchten die Blüten von Edel-Gamander, Echter Betonie und der Wald-Witwenblume. Die Rundblättrige Glockenblume und der Salbeiblättrige Gamander waren bereits verblüht und das Echte Salomonssiegel zeigte seine Früchte und die typischen Verfärbungen auf den Blättern.
Besonders zu erwähnen ist, dass sich die Artzusammensetzung in den vergangenen 40 Jahren kaum verändert hat. So haben Hansruedi Hochueli 1985, Roland Lüthy 2017 und der Autor 2019 die gleichen Pflanzenarten gefunden. Unterschiede gab es lediglich bei Arten, die sehr schwach vertreten sind und leicht übersehen werden könnten.
Festzuhalten bleibt, dass am ‹Häxenblätz› nicht nur die vielfältige Pflanzen- und Insektenwelt besonders schön ist, sondern dass es einfach wunderbar ist, den Weitblick in die Juralandschaft in Ruhe zu geniessen.»