HERZBLUT
23.06.2020 GesellschaftHoch zu Schlachtross
Wie litt ich als Dreikäsehoch mit, als «öise» Baselbieter General Sutter im Fernsehen als verarmtes Häufchen auf den Stufen zu einem amerikanischen Gericht endete. Rechtmässig gehört Kalifornien dem Baselbiet, fand ...
Hoch zu Schlachtross
Wie litt ich als Dreikäsehoch mit, als «öise» Baselbieter General Sutter im Fernsehen als verarmtes Häufchen auf den Stufen zu einem amerikanischen Gericht endete. Rechtmässig gehört Kalifornien dem Baselbiet, fand ich. Weiss das dieser Nixon?
Spätestens seit dem historischen Roman «Hansdampf in allen Gassen» der Muttenzerin Helen Liebendörfer und der Doppelseite in der «Volksstimme» vom vergangenen Freitag wissen wir, dass die Schwarz-Weiss-Ikone vor allem aus Schwarz bestand. Der hoch verschuldete Bürger Rünenbergs floh in die Neue Welt, liess Frau und Kinder in ihrer Armut zurück. Dort gründete er die Kolonie Neu-Helvetien und die Stadt Sacramento. Wer kann es Rünenberg verdenken, wenn das Dorf seinem Bürger einen Stein mit einer Erinnerungsmedaille widmet?
Doch er beutete dabei die Ureinwohner aus. Wenn List nicht mehr reichte, lud er die Kanonen. Er handelte mit Kindersklaven, ihre Mütter wärmten nachts die Füsse des Alkoholikers. Wer kann es deshalb heute der indigenen Bevölkerung Sacramentos verdenken, dass sie das Denkmal ihres früheren Peinigers umstürzen?
Bleiben wir beim Thema: Für Präsident Abraham Lincoln stehen heute die riesigsten Denkmäler. Nicht weil er 2 Meter gemessen haben soll, sondern weil er in den USA die Sklaverei abschaffte. Der dazu nötige Sezessionskrieg forderte aber fast 1 Million Tote. Ist ein Denkmal für den Auslöser der Mutter aller Bürgerkriege gerechtfertigt?
Üben wir uns noch ein bisschen als Hosensack-Historiker: In London musste Lord Nelson, dem bei seinem Sieg über die Armada bei Trafalgar ein Arm abgeschossen wurde, einarmig den wohl höchsten Denkmal-Sockel erklimmen. So huldigt man ihm. Doch wie jedem anderen erfolgreichen Kriegshelden klebt auch ihm reichlich Blut an der übrig gebliebenen Hand. Müssen er und seine Artgenossen allesamt vom Sockel oder hohen Schlachtross gestossen werden?
Die Reformations-Anhänger zerstörten mit ihrem lustfreien Bildersturm kulturelles Erbe des «falschen Glaubens». Welche Schätze dabei vernichtet oder unchristlich «privatisiert» wurden, können wir nur ermessen, wenn wir in jenen Städten Kirchen bestaunen, in denen der falsche Glaube der richtige geblieben ist. Wandeln wir jetzt selber auf den Spuren jener Puritaner?
Der Sonnenkönig und sein Vorgänger liessen sich, so haben wir das gelernt, im Sumpfgebiet von Versailles ein Schloss errichten, um zu beweisen, stärker als die Natur zu sein, auch wenn es zahlreiche Menschenleben forderte. Die Erbauer der Pyramiden von Gizeh oder des Kolosseums in Rom krampften kaum zu fairen Löhnen; folglich müssten wir Touristen diese Orte boykottieren. In Braunau in Österreich reibt man sich derzeit an der Frage auf, was mit Hitlers Geburtshaus geschehen soll. Da halte ich es gleich wie bei den erhaltenen Konzentrationslagern (deren Besuch in Demut kann ich nur empfehlen): Das Denk- als Mahnmal. Ich schlage im Übrigen vor, dass wir ab sofort jedes Denkmal als Imperativ begreifen: Denk mal!
Jürg Gohl, Autor «Volksstimme»