Gefährliche Inseln
05.06.2020 SerienSerie | Inseln sammeln im Südpazifik, Teil 2: Anaa, Tuamotu-Atoll
Endlich sind wir an Bord unseres Dampfers angekommen. Auf unserer Reise zu den südlichsten Inseln Französisch-Polynesiens schippern wir die nächsten Tage durch den Tuamotu-Archipel und ...
Serie | Inseln sammeln im Südpazifik, Teil 2: Anaa, Tuamotu-Atoll
Endlich sind wir an Bord unseres Dampfers angekommen. Auf unserer Reise zu den südlichsten Inseln Französisch-Polynesiens schippern wir die nächsten Tage durch den Tuamotu-Archipel und besuchen die Inseln Anaa und Amanu.
Hanspeter Gsell
Gestern haben wir pünktlich in Papeete abgelegt. Papeete ist gleichzeitig Hauptstadt Tahitis und des französischen Überseegebiets Französisch-Polynesiens.
Nach knapp 400 km erreichen wir am Morgen des 22. März 2019 die Insel Anaa. Sie wird geografisch dem Tuamotu-Atoll zugerechnet. Moorea und Tahiti hingegen gehören zur Gruppe der Gesellschaftsinseln. Sollten Sie eben mit Ihrem SUV unterwegs sein: Hier die Koordinaten für Anaa: 17 Grad Süd, 147 Grad Ost.
Das Schiff treibt vor Tukuhora, dem Hauptort der Insel Anaa. Man zählt zurzeit gerade 480 Einwohner, früher sollen es einige Tausend gewesen sein. «Früher», das bedeutet hier: vor 1983.
Der Pazifik wurde schon immer von Zyklonen heimgesucht. Das Jahr 1983 aber wurde zur Katastrophe für die schutzlosen, kleinen Inselwelten Polynesiens. Ganze Eilande sind im Meer verschwunden, wurden weggeschwemmt von gewaltigen Fluten, weggeblasen von ungeheuren Winden. Auch die Insel Anaa war wochenlang von der Aussenwelt abgeschnitten. Das Dorf Tukuhora hatte aufgehört zu existieren. Das einzige Haus, das den Zyklon Orama einigermassen unbeschadet überstanden hat – und den Menschen während langer Zeit als Dach über dem Kopf diente – war die katholische St.-Joseph-Kirche. Somit muss ich meine Meinung zur Kirche tatsächlich revidieren: Es gab Fälle, bei denen sie Menschen gerettet hat.
Nach Anaa kommt man aus Tahiti wöchentlich mit dem Flugzeug. Versorgt werden die Inseln per Schiff. Es gibt den Orkan, den Hurrikan, den Taifun, Blizzards, Tornados, Windund Wasserhosen. Je nach Weltgegend und Ausmass nennt man es anders, wenn einem ein Sturm die Haare zerzaust.
Klar haben wir alle schon mal einen Sturm erlebt. Im Vergleich zu ihren tropischen Vettern war dieser wohl eher ein Sturm im Wasserglas. Wenn die äquatorialen Wettergötter mal so richtig schlecht gelaunt sind, dann ist die Hölle los! Bei Windstärken von weit über 200 km/h und Spitzen von bis zu 300 km/h fliegt buchstäblich alles davon.
Solche Super-Taifune sind keineswegs selten. Eher selten brechen sie über bewohnte Gebiete herein. Sollte es trotzdem passieren, sind die Folgen verheerend. Keine Palme steht mehr, Hütten und Häuser lösen sich in ihre Bestandteile auf und landen nach Hunderten von Kilometern irgendwo im Meer. Noch gefährlicher als der Wind an sich sind umherfliegende Kokosnüsse und Wellblechdächer. Die Nüsse werden zu fliegenden Kanonenkugeln, die Dächer zu messerscharfen Wurfmessern, die eine Palme mühelos durchsäbeln können. Die brüllenden Winde überdecken locker den Lärm eines startenden Jumbojets.
Zum Albtraum werden die Taifune auf flachen Inseln. Das Land wird völlig überflutet und alles, was nicht fest verankert ist, verschwindet für immer im Meer.
Prügelnde Missionare
Anaa war in alten Zeiten ein gefürchtetes Räubernest. Die Tuamotus, das Tuamotu-Atoll, war nie ein gemütlicher Ort. Wegen ihrer vielen Untiefen und unbefahrbaren Riffpassagen nannte man sie auch «Dangerous Islands», die gefährlichen Inseln. Sollten deren Bewohner gerade wieder Hunger gelitten haben, sollen sie einzelne Besucher, die es bis zu ihnen geschafft haben, auch mal in den Kochtopf gesteckt haben.
Im 19. Jahrhundert waren es amerikanische Mormonen, später französische Katholiken, die den Bewohnern die seltsamen Tischsitten ausgetrieben haben. Als sie dies mehr oder weniger erfolgreich erledigt und den – nur scheinbar gottlosen – Ureinwohnern den Weg zur Erleuchtung gewiesen hatten, kam es zwischen den rivalisierenden Missionaren zu schweren Ausschreitungen. Sie prügelten sich derart, dass die französische Armee eingreifen musste.
Es braucht einiges an Fantasie, sich die prügelnden Gottesmänner vorzustellen. Wie sich die Mormonen, mit Keulen bewaffnet, hinter Kokospalmen versteckt halten, auf die Zeugen Jehovas warten, die ihrerseits, Bibel werfend, gegen den Strand vorrücken. Dort aber hatten die französischen Pfarrer bereits die Guillotinen aufgestellt …
Wer heute in Anaa ankommt, findet einen friedlichen Ort mit freundlichen Menschen. Die Dorflehrerin führt uns über das Inselchen, und präsentiert, zusammen mit einer Schar Kinder, ihr kleines Naturschutzprojekt. Jedes Jahr wird ein Fisch zum «Tier des Jahres» gewählt. Während dieser Zeit dürfen diese in einem definierten Gebiet nicht gefangen werden. Das grösste Problem der Kinder sei es, diese Verbote auch den fischenden Vätern beizubringen.
Fliegenfischen
Der Wasseraustausch zwischen der Lagune – quasi dem Meer innerhalb des Riffs – und dem offenen Meer wird normalerweise durch Kanäle, auch Pässe genannt, sichergestellt. Einige sind tief genug, um auch grossen Schiffen die Durchfahrt zu ermöglichen. Auf Anaa jedoch findet man keine Pässe, die Einheimischen nennen diese Passagen Hoas. Sie gleichen eher Bächen oder kleinen Flüssen, die bei Flut das Wasser durchlassen, bei Ebbe jedoch wieder abtrocknen.
Diese kleinen Wasserläufe sollen sich gut für eine besondere «Sportart» eignen: das Fliegenfischen. Da ich keine Ahnung habe, welche Fliegen mit welchen Fischen oder umgekehrt gefangen werden sollen, verlasse ich dieses Thema sofort wieder. Ausser ein paar Fliegen auf meinem Brotfrucht-Müsli und den Fischen im Meer habe ich keine der erwähnten Fliegenfischer auf der Insel Anaa gesehen.
Was aber genau bewirken Ebbe und Flut? Hat das Meer seinen höchsten Stand erreicht, spricht man von Hochwasser. Sinkt der Wasserstand wieder, beginnt die Ebbe. Hat das Meer seinen niedrigsten Stand erreicht, spricht man von Niedrigwasser. Die Ebbe ist dann vorbei und die Flut beginnt. Ebbe und Flut dauern zusammen etwas mehr als zwölf Stunden.
Rund zwei Mal pro Tag können wir deshalb an der Küste Ebbe und Flut beobachten. Auf hoher See verändert sich der Wasserstand meist nur um wenige Zentimeter, während der Unterschied an der Küste um die 10 Meter betragen kann. Verantwortlich für Ebbe und Flut ist unter anderem der Mond: Wie ein riesiger Magnet zieht der Mond das Wasser bei Flut an. Neben den Anziehungskräften wirken auch die Fliehkräfte zwischen Erde und Mond auf Ebbe und Flut.
Wie stark die Flut ausfällt, hängt nicht nur vom Mond, sondern auch von der Sonne ab. Stehen Sonne, Mond und Erde auf einer Linie, kommt zu der Anziehungskraft des Mondes noch die Anziehungskraft der Sonne hinzu. Man spricht dann von einer Springflut.
In loser Folge erscheint in der «Volksstimme» die fünfteilige Serie zur Reise des Sissachers Hanspeter Gsell von den Gesellschaftsinseln über den Tuamotu-Archipel und die Gambierinseln zum südlichsten Archipel Französisch-Polynesiens, den Austral-Inseln. Die Reise fand im Frühjahr 2019 statt.