Wenn sich die Armut verschärft
07.05.2020 Bezirk WaldenburgTobias Gfeller
Die Winterhilfe erlangte vor wenigen Wochen Aufmerksamkeit über die Schweiz hinaus, als Roger Federer und seine Frau Mirka bekannt gaben, im Rahmen der Coronakrise dem Hilfswerk 1 Million Franken zu spenden. Zusätzlich hat der Tennisstar auf all seinen ...
Tobias Gfeller
Die Winterhilfe erlangte vor wenigen Wochen Aufmerksamkeit über die Schweiz hinaus, als Roger Federer und seine Frau Mirka bekannt gaben, im Rahmen der Coronakrise dem Hilfswerk 1 Million Franken zu spenden. Zusätzlich hat der Tennisstar auf all seinen Social-Media-Kanälen die Website der Winterhilfe verlinkt. Ein Nebenziel der Spende und vor allem deren Bekanntmachung gingen auf, verrät der Reigoldswiler Roland Plattner, Präsident der Winterhilfe Baselland: «Plötzlich kamen auch Spenden von Menschen, die wir bisher nicht kannten. Normalerweise erhalten wir im Herbst im Rahmen unserer alljährlichen Kampagne die meisten Spenden.»
Plattner erinnert aber daran, dass Federer mit seiner Stiftung schon seit Jahren die Winterhilfe Schweiz unterstützt, um Kindern und Jugendlichen von armutsbetroffenen Familien die Teilhabe an sportlichen Hobbys, Freizeitkursen oder Lagern zu ermöglichen.
Dort setzt die Winterhilfe an. Sie übernimmt das Zahlen von Rechnungen für Kleider, Gesundheitskosten, Kinderbetten, Heizkosten und Mietzinsen, Sehbrillen oder Schultaschen. Plattner: «Bei uns fliesst kein Geld. Wir übernehmen die Bezahlung von konkreten Rechnungen via Einzahlungsscheine oder geben Lebensmittelgutscheine unter Ausschluss von Alkohol und Nikotin ab.» Nur in den seltensten Fällen erhalten die Klientinnen und Klienten der Winterhilfe auch Sozialhilfe, Arbeitslosengeld oder eine IV-Rente. «Wir bauen unser Hilfsnetz um dieses staatliche System herum», erklärt Plattner. Viele Betroffene seien sogenannte Working Poor, die arbeiten, deren Lohn aber fürs eigene Leben oder für die Familie nicht reicht. Im vergangenen Jahr gab die Winterhilfe Baselland rund 250 000 Franken für rund 500 Armutsbetroffene aus. Gesuche auf Unterstützung werden heute nach Einsicht in die Einkommens- und Vermögenssituation beurteilt.
Plattner weist darauf hin, dass auch in der reichen Schweiz Menschen in Armut leben. «Es geht da weniger um die absolute als vielmehr um die relative Armut.» Die gewährte Hilfe ist nicht existenziell, aber wichtig, damit Betroffene – darunter auch Kinder und Jugendliche – am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Es gelte dabei auch, «vererbte Armut» zu vermeiden und Kinder und Jugendliche aus armutsbetroffenen Familien in ihrem Anschluss an die Gesellschaft zu unterstützen.
Langfristige Folgen der Krise
Die Lebensentwicklung hänge in der Schweiz nicht nur von Brot und Wasser ab, sondern auch von der Teilhabe an Sport und Kultur, so der Liestaler SP-Nationalrat Eric Nussbaumer, der sich im Vorstand der Winterhilfe Baselland engagiert. «Das staatliche Netzwerk ist für den kurzfristigen Horizont da, Hilfswerke wie die Winterhilfe für den langfristigen.» Die vom Kanton durchgeführte Armutsstudie aus dem Jahr 2014 ergab, dass im Baselbiet rund 38 000 Personen von Armut betroffen oder diesbezüglich gefährdet sind.
Die Winterhilfe Schweiz wurde 1936 in Zeiten der Weltwirtschaftskrise gegründet. Der Name stammt damit aus einer Epoche, in der vor allem in der kalten Jahreszeit die Armut sicht- und spürbar wurde. In der aktuellen Krise sind Hilfswerke besonders gefragt. Die staatlichen Hilfen erreichen längst nicht alle. Die Gesuche hätten in den vergangenen Wochen auch um rund 10 Prozent zugenommen, sagt Plattner. Er ist aber überzeugt, dass die wirklichen Folgen der Krise erst mit einer zeitlichen Verzögerung spürbar werden, wenn die persönlichen Reserven aufgezehrt und Nebenjobs nicht mehr verfügbar sind oder sich die Aufhebung des Betreibungsstopps bemerkbar machen wird.
Zuletzt meldete sich die Winterhilfe in Person von Roland Plattner auch politisch zu Wort, als er sich zusammen mit anderen Vertretern von Hilfswerken kritisch zur geplanten Teilrevision des Sozialhilfegesetzes im Baselbiet äusserte. Bei den Äusserungen gehe es vorwiegend um Armutsprävention. Dass dies ein parteiübergreifendes, gesamtgesellschaftliches Thema ist, belegt die Tatsache, dass Alt-BDP-Bundesrat Samuel Schmid die Winterhilfe Schweiz präsidiert.