Notizen aus dem Aktivdienst von Marcel Wunderlin

Die «Volksstimme» hat im Vorfeld des 8. Mai eine Reihe von ehemaligen Aktivdienstlern zu Wort kommen lassen. Heute wirft Kulturwissenschaftler Dominik Wunderlin einen Blick in das Notizbuch seines Vaters, dem einst bekannten Radioredaktor und Schriftsteller Marcel Wunderlin (1921–1987).

Dominik Wunderlin

Die Schilderungen von Edgar Strub in der «Volksstimme» vom 30. April haben mich sehr beeindruckt und erinnerten mich gleich an Erlebnisse meines Vaters Marcel Wunderlin (Liestal, 1921– 1987). Der Grafiker, Radioredaktor und Schriftsteller war vor Kriegsende wie Strub im Raum Rheinfelden im Einsatz. Als Nachrichtensoldat (mit Velo) tat er zwar nicht regelmässig Grenzdienst. Er trug zu jener Zeit stets einen kleinen Taschenkalender des Katholischen Gesellenvereins auf sich, in dem er stichwortartig Notizen zu jedem Tag machte und die als Hilfe für ein Tagebuch gedient hätten. Ausführlichere Aufzeichnungen sind allerdings nur sehr rudimentär entstanden.

Sie ergänzen auch die Kalendereinträge vom 24. bis 28. April 1945, als mein Vater vorwiegend in Rheinfelden auf dem Siloturm der Brauerei Salmen das deutsche Rheinufer observierte. Wie er am 25. April in seinen Kalender notierte, war er an diesem Tag sogar allein auf diesem luftigen Beobachtungsposten. Wie aus den ausführlicheren Aufzeichnungen hervorgeht, konnte er an diesem Mittwoch beobachten, wie sich französische Panzer und Bodentruppen von Grenzach-Wyhlen her dem badischen Rheinfelden näherten.

Gewehre ins Wasser geworfen
Zwei besondere Dinge strich er bei seinen Beobachtungen heraus: Aus dem Fenster eines über dem Rheinufer stehenden Häuser des etwas flussabwärts liegenden Dorfs Warmbach wurde eine ganze Reihe von Gewehren ins Wasser geworfen. Und auf der Strasse zwischen Warmbach und Rheinfelden kam den Franzosen eine grössere Schar Menschen entgegen. Angeführt von einem Mann mit einer weissen Fahne, dem Zeichen der Kapitulation, zog die Schar, darunter vor allem Kinder, den voranrückenden Truppen entgegen.

Der von meinem Vater als «Besetzg, v. Rheinf. dch Franz.» notierte Vorgang erfolgte völlig kampflos, kein einziger Schuss fiel. Für die nächsten drei Jahre stand Badisch-Rheinfelden dann unter französischer Militärverwaltung und diese sorgte bis 1948 für eine hermetische Abriegelung des Grenzübergangs zur Schweiz.

Wie uns der Taschenkalender verrät, dislozierte mein Vater unverzüglich nach Räumung des Beobachtungspostens am Samstagmorgen ins Mendrisiotto. Dort harrte man noch über das Kriegsende hinaus in Feldgrau aus und feierte die Kapitulation Deutschlands in einer Osteria. Mein Vater fand aber auch Zeit für einen Besuch im Atelier des aus Sissach stammenden Künstlers Ugo Cleis in Ligornetto. In der Nacht vom 16./17. Mai kam dann aber der Befehl zur Bahn-Rückfahrt nach Liestal. Anschliessend Defilee, Fahnenabgabe, Retablierung und am Pfingstsamstag (19. Mai) nach einer letzten Inspektion um 10 Uhr Entlassung.

Der angesprochene Artikel vom 30. April mit den Schilderungen von Edgar Strub trug den Titel «Wie SS-Soldaten in die Schweiz flüchten wollten». Es handelte sich um den 6. und letzten Teil der Serie «Erinnerungen an den Aktivdienst». Kulturwissenschaftler Dominik Wunderlin war bis zur Pensionierung Kurator und Vizedirektor des Museums der Kulturen Basel.

Die Kapitulation von Badisch-Rheinfelden

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