Demokratie mit Schutzkonzept
19.05.2020 Baselbiet, Gemeinden, PolitikGemeindeversammlungen sind dank Ausnahmebewilligung möglich
Das Volk bekommt seine Rechte zurück: Unter anderem die Gemeinde Zunzgen wird in einem Monat eine Gemeindeversammlung veranstalten. Für die Ausnahmebewilligung musste sie der Regierung ein Schutzkonzept ...
Gemeindeversammlungen sind dank Ausnahmebewilligung möglich
Das Volk bekommt seine Rechte zurück: Unter anderem die Gemeinde Zunzgen wird in einem Monat eine Gemeindeversammlung veranstalten. Für die Ausnahmebewilligung musste sie der Regierung ein Schutzkonzept vorlegen.
Sebastian Schanzer / David Thommen
Die Bevölkerung in Baselbieter Gemeinden darf wieder mitreden, wenn es in der Dorfpolitik um dringliche Geschäfte geht. Unter gewissen Bedingungen ist es den Gemeinden seit Ende April wieder erlaubt, Versammlungen durchzuführen. Das vom Bundesrat verhängte Veranstaltungsverbot hat zwar nach wie vor Geltung. Die Kantone können aber Ausnahmefälle bewilligen, wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse vorliegt. Die Gemeinden müssen der Regierung ein entsprechendes Gesuch vorlegen – zusammen mit einem Schutzkonzept und einer Begründung der Dringlichkeit.
Die neuen Regeln gehen aus einem Beschluss der Regierung vom 28. April hervor. Das öffentliche Interesse an der Durchführung von Gemeindeversammlungen und Einwohnerratssitzungen sei mittlerweile höher zu gewichten als noch vor zwei Monaten, als der Schutz der öffentlichen Gesundheit klar im Vordergrund stand, heisst es dort. Ein überwiegendes öffentliches Interesse sei bei dringlichen Geschäften gegeben, die keinen zeitlichen Aufschub erdulden oder bei denen ein zeitlicher Aufschub nur mit negativen Auswirkungen möglich wäre, sowie bei Beschlüssen betreffend Investitionen und im Rahmen von laufenden Projekten. Dies, um die Wirtschaft nicht noch weiter zu bremsen.
Wer krank ist, bleibt zu Hause
Während des Lockdowns bis Ende April hatten Gemeinderäte noch die Kompetenz, dringliche Beschlüsse ohne die Zustimmung der betroffenen Bevölkerung zu fassen. In Buus wurden auf diese Weise etwa Kredite von insgesamt mehr als 600 000 Franken gesprochen (die «Volksstimme» berichtete). Dem Risiko, dass die Akzeptanz der Bevölkerung für diese Kompetenzverschiebung schwindet, soll mit der Lockerung entgegengewirkt werden.
Basierend auf den Vorgaben des Bundes hat die Regierung ein Muster-Schutzkonzept ausgearbeitet, an dem sich die Gemeinden orientieren können, wie Miriam Bucher von der kantonalen Finanz- und Kirchendirektion sagt. Personen, die krank sind oder sich krank fühlen, sollen zu Hause bleiben, für Personen aus der Risikogruppe müssen Schutzmassnahmen getroffen werden. Die räumlichen Verhältnisse sind zudem so anzupassen, dass die Empfehlungen des BAG betreffend Hygiene und soziale Distanz eingehalten werden. Über Schutzmassnahmen wie Händehygiene, Abstandhalten oder Hustenund Schnupfenhygiene müssen die Veranstalter ausreichend informieren.
Eine Bewilligung für die Durchführung einer Versammlung wurde im Oberbaselbiet bisher erst der Gemeinde Zunzgen erteilt. Noch hängig sind laut Bucher Gesuche der Einwohnergemeinden Lausen und Niederdorf sowie der Bürgergemeinden Häfelfingen und Lausen. Für heute Dienstag wird der Entscheid der Regierung über alle hängigen Gesuche erwartet.
Namen werden aufgenommen
Grund für die Dringlichkeit in Lausen ist der Quartierplan für das Scholer-Areal. Angrenzend an das Tonwerkareal in Richtung Liestal sollen zwischen Hauptstrasse und Bahnlinie auf einer Fläche von knapp 11 500 Quadratmetern 62 Wohnungen «für den Mittelstand», 34 Alterswohnungen sowie Gewerbeflächen entstehen. Das Ja der Gemeindeversammlung sei nötig, damit die Investoren weiterarbeiten könnten, heisst es auf der Gemeindeverwaltung.
Die bereits vom Regierungsrat bewilligte Gemeindeversammlung in Zunzgen ist auf den 18. Juni angesetzt. Das Lokal sei nicht wie üblich der Gemeindesaal, sagt Gemeindeverwalter Cristiano Santoro, sondern die Mehrzweckhalle. Bei Einhaltung aller Abstandsvorschriften könnten dort immerhin knapp 100 Personen teilnehmen. Das dürfte ausreichen: «Wir erwarten keinen riesigen Andrang», sagt Santoro. Die Traktanden seien dringlich, aber nicht brisant.
Das Schutzkonzept der Gemeinde ist umfangreich. Natürlich muss für ausreichend Abstand gesorgt und genügend Desinfektionsmittel bereitgestellt werden. Zudem gibt es eine Eingangskontrolle, bei der zwecks Rückverfolgbarkeit die Namen der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger aufgenommen werden.
Der Einlass – es wird mehrere Eingänge geben – findet gestaffelt statt, auch nach Versammlungsschluss wird geordnet zum Ausgang geschritten. In der Halle wird es einen Helfer geben, der Rednern aus dem Publikum ein – in Plastik verpacktes und desinfiziertes – Mikrofon an einer Teleskopstange hinhält. Gefahren sollte es also nicht geben, sagt Santoro. Allerdings appelliere die Gemeinde auch an die Selbstverantwortung der Einwohner: Alle müssten für sich selber entscheiden, ob sie tatsächlich teilnehmen möchten.
Den Ausschlag für die Durchführung der Gemeindeversammlung gaben in Zunzgen drei Geschäfte: Zwei Mal geht es um Strassensanierungen, mit denen bald begonnen werden soll, und ein Mal geht es um den Ersatz einer Heizung in einem Mehrfamilienhaus, das sich im Besitz der Gemeinde befindet. Die Heizung soll vor dem Herbst wieder funktionieren. Angesichts der insgesamt hohen anfallenden Kosten habe der Gemeinderat auf einen Beschluss per Notrecht verzichten wollen, sagt Santoro. Nur in einem Fall habe die Exekutive bisher von Notrecht Gebrauch gemacht: Bei der Genehmigung eines Kredits für die Erneuerung der Kanalisation unter der Hauptstrasse. Das Geschäft habe keinen Aufschub geduldet, da der Kanton, der für die Baustelle an der Hauptstrasse federführend verantwortlich ist, habe weiterarbeiten wollen.