«Von einer starken Marke profitieren alle»
29.05.2020 Baselbiet, Wirtschaft, LandwirtschaftEbenrain-Leiter Lukas Kilcher will «Genuss aus Stadt und Land» zum Begriff machen
Ein steigendes Interesse an regionalen Produkten bedeutet noch lange keine explodierenden Umsätze. Lukas Kilcher erklärt, warum es dafür mehr braucht als nur gute Produkte in den Hofläden: das Projekt ...
Ebenrain-Leiter Lukas Kilcher will «Genuss aus Stadt und Land» zum Begriff machen
Ein steigendes Interesse an regionalen Produkten bedeutet noch lange keine explodierenden Umsätze. Lukas Kilcher erklärt, warum es dafür mehr braucht als nur gute Produkte in den Hofläden: das Projekt zur regionalen Entwicklung (PRE) «Genuss aus Stadt und Land».
Christian Horisberger
Das Interesse für Produkte aus der Umgebung, Authentizität, Nachhaltigkeit, Geschmack und gute Qualität wächst stetig. Wozu braucht es da noch eine Förderung mit Ihrem PRE, Herr Kilcher?
Lukas Kilcher: Das Potenzial und das Interesse an Regionalprodukten sind in der Tat sehr gross. Dies zeigte sich 2015, als die beiden Basel Ehrengäste des Schweizer Wettbewerbs für Regionalprodukte waren. Unsere Region holte eine stattliche Anzahl Medaillen und bewies damit, dass sie sich im Markt zeigen kann. Ein Jahr später war Liestal Schweizer Genusshauptstadt; dafür wurde ein Label entwickelt, auf dem die heutige Marke basiert. Um «Genuss aus Stadt und Land» auf breiter Ebene bekannt zu machen, entschieden wir uns für das PRE: Dieses ermöglicht die Instrumente und bietet die finanzielle Unterstützung, um die Marke zu entwickeln. Gleichzeitig bieten wir Betrieben Starthilfen, um ihre Investitionen in regionale Spezialitäten als Teilprojekte umzusetzen. Damit erhöhen wir das Angebot und die Vielfalt an Regionalprodukten und können die wachsende Nachfrage befriedigen.
Sie sprechen vom Label, ich von Staatsgeldern für eine ohnehin boomende Branche …
Die Nachfrage ist da, aber man muss die regionalen Produkte am Markt auch sichtbar und verfügbar machen – für die Endverbraucher, aber auch für die Weiterverarbeiter und die Gastronomie. Nur so kann daraus ein «Boom» werden. Die Betriebe, die mit dem PRE gefördert werden, stehen in einem regionalen und internationalen Wettbewerb. Andere Kantone, das Elsass oder der Schwarzwald überlassen die Produzenten auch nicht sich selber. Von Max Havelaar und der Bio-Knospe wissen wir, dass es kostet und dauert, bis man eine Marke als wirkungsvolles Marketinginstrument einsetzen kann.
Es braucht trotz des Regio-Booms Entwicklungshilfe?
Sie sprechen wieder von Boom. Realistisch würde ich das so nennen: Wir haben eine wachsende Nachfrage mit grossem Potenzial. Um genau dieses Potenzial abzuholen, braucht es Entwicklungshilfe auf mehreren Schienen: sowohl für die Bekanntheit der Marke als auch für die Rohstoffe und die Verarbeitung. Die Breite ist das Wertvolle an unserem Projekt. Das wird vom Bund auch besonders wertgeschätzt.
Sobald die öffentliche Hand selektiv Betriebe fördert, steht der Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung im Raum. Dafür erntete die Vorlage im Landrat auch Kritik. Wie wird sichergestellt, dass Mitbewerber durch das PRE nicht benachteiligt werden?
Es ist ein kompetitives Programm – nicht das erste und nicht das letzte in unserer Region. Wettbewerb tut gut und daraus geht Qualität hervor. Eine Vielfalt an Trägerschaften ist bereit, mit dem PRE in die Hände zu spucken und loszulegen. Wer jetzt gerade nicht investieren will oder kann, der könnte das als Wettbewerbsverzerrung erleben. Dafür habe ich Verständnis. Wir hätten auch sagen können, dass alle, die nicht mitmachen, benachteiligt wären und die Förderung deshalb bleiben lassen. Doch wir sehen im PRE Potenzial für unsere Region, der wir zu mehr Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Regionen verhelfen wollen.
Und wer zu früh in die Hände gespuckt hat, der hatte halt Pech?
Nein, der hatte nicht Pech, der hat dafür den Vorteil des Pioniers. Im Übrigen profitieren nicht nur jene, die jetzt im Rahmen des PRE investieren: Alle regionalen Produzenten und Verarbeiter können an einer starken Regionalmarke partizipieren und von den neu geschaffenen Verarbeitungskapazitäten profitieren. Es gibt kaum ein anderes PRE-Projekt mit einer derart breiten und vielfältigen Investitionstätigkeit wie unseres.
Der Landrat hat den PRE-Kredit mit deutlichem Mehr gutgeheissen, ein Rückweisungsantrag der SVP-Fraktion hatte keine Chance. Nach der Kritik des Metzgermeisterverbands am Kernprojekt, einem Schlachthof, kam die Zustimmung eigentlich überraschend.
Für mich nicht. Die grosse Mehrheit der Räte honoriert den gemeinschaftlichen Charakter des PRE als wertvolle Ergänzung zur stark einzelbetrieblich ausgerichteten Agrarförderung mit Direktzahlungen und Investitionskrediten. Das Regio-Schlachthaus war nie ein Projekt von wenigen für wenige, wie es dargestellt wurde. Immer mehr Metzger haben sich vom Schlachten zurückgezogen und sich aufs Metzgen konzentriert. Initiant Peter Andrist, ein gefragter Bauernmetzger, und sein Partner Christoph Jenzer sahen eine Chance, um einen Beitrag zu leisten, damit Tiere in der Region geschlachtet werden können, ohne dass sie dafür vom Baselbiet ins Mittelland transportiert werden müssen. Für die Region ist es von grossem Interesse, dass von der Aufzucht bis zur Schlachtung möglichst viele Wertschöpfungsschritte in der Region stattfinden. Nur so können Fleischspezialitäten mit der Regionalmarke ausgezeichnet werden.
Der Metzgermeisterverband kritisiert, dass der geplante Kleinschlachthof mit einer gesetzlichen Obergrenze von 1500 Tieren den Bedarf niemals werde bewältigen können. Damit wäre es dann doch ein Schlachthof für wenige.
Nein, es war und ist kein Schlachthof für wenige. Uns war von Anfang an klar, dass man aufgrund der Nachfrage und der geltenden Bundesregelung irgendeinmal entscheiden muss, auf welche Grösse man den Schlachthof ausrichtet. Dafür muss man rechnen – und das kann insbesondere Christoph Jenzer als profunder und gut vernetzter Kenner der Branche. Er hat angeregt, Abklärungen zu treffen, ob die Obergrenze gesetzgeberisch zur Diskussion gestellt werden könnte. Das ist legitim in einer Demokratie und dafür ist während der nun beginnenden einjährigen Detailplanungsphase Zeit. Es liegt in den Händen der als Träger beteiligten Metzger, ob sie sich schliesslich für einen grossen oder kleinen Schlachthof entscheiden, und nicht am Kanton.
Anders als der Schlachthof stiess das auf 2 Millionen Franken veranschlagte Mälzerei- und Gerstenanbau-Teilprojekt nie auf Widerstand. Warum nicht?
Biere sind florierende Regionalprodukte und erfreuen sich eines grossen Zuspruchs.Aber die allerwenigsten Brauereien nutzen lokale Zutaten, weil es praktisch keine gibt. Hopfen und Malz für Schweizer Biere stammen grösstenteils aus Deutschland. Das PRE kann eine wichtige Lücke schliessen, damit echte regionale Biere gebraut werden können. Die Regio-Bierbranche dürstet danach.
Mit seinem 2018 lancierten Projekt Genuss aus Stadt und Land ist unser Kanton im landesweiten Vergleich ein Spätzünder.
So könnte man sagen. Vor uns haben bereits 24 Kantone beim Bund 169 Projekte eingereicht. Auch wir möchten nun in unserer Region die Chancen, die das PRE bietet, zugänglich machen. Wir haben sehr viele Interessenten, womit das Projekt breit abgestützt ist. Zudem: Unser PRE ist keine Ansammlung von Papierexperimenten. Es ist eine Plattform vielversprechender Start-ups oder bereits bestehender Trägerschaften, die einen Entwicklungsschritt vollziehen möchten. Jedes Teilprojekt wurde von uns und vom Bund auf Herz und Nieren geprüft.
4,3 Millionen Franken sollen alleine in die Führung der Geschäftsstelle und die Markenentwicklung gesteckt werden. Wofür braucht es die Marke?
Das Geld fliesst nicht primär in die ausdrücklich nicht im Ebenrain angesiedelte Geschäftsstelle, sondern vor allem ins Marketing und in unterschiedliche Massnahmen zur Marktentwicklung der Teilprojekte: vom Bund vorgegebene Marktstudien, Kommunikation, Verkaufsförderung, Logistik, Vertrieb und so weiter.
Über welche Kanäle sollen die Produkte mit Kochlöffel und Heugabel vermarktet werden?
Es gibt eine gross Vielfalt von Verkaufskanälen: Hofläden, Marktfahrer, Gross- und Kleinhandel, Weiterverarbeiter wie Obstverarbeiter, Bäckereien, Restaurants. Als grosser Vertriebskanal ist Coop auf dem Plan. Es gab erste ermutigende Gespräche darüber, dass «Miini Region» von Coop unsere Regionalprodukte und vielleicht sogar die Marke aufnimmt.
Wären damit andere Detaillisten ausgeschlossen?
Überhaupt nicht. Es haben auch schon Gespräche mit der Migros stattgefunden, die ebenfalls sehr interessiert ist an Regionalprodukten. Wir wollen den Produzenten einen möglichst unlimitierten Marktzugang ermöglichen.
Gibt es Vorbilder für das Label und die Strategie?
Eine ganze Reihe sogar. Viele sind dank eines PRE zum Fliegen gekommen. Darunter «so natürlich» (SO), «natürli», (ZH), «Hochstamm Seetal» (AG/LU), «Michelsamt» (LU) oder «Zuger Rigi-Chriesi» (ZH/LU).
Wozu verpflichten sich die Träger des Labels «Genuss aus Stadt und Land»? Wie viel Region muss im Produkt drin sein?
Die IG Genuss aus Stadt und Land hat klare, bereits festgeschriebene Richtlinien. Der allergrösste Teil des Inhalts muss aus den beiden Basel, dem Fricktal oder dem Schwarzbubenland stammen: die landwirtschaftlichen Rohstoffe und die namengebende Zutat– zum Beispiel Zwetschgen oder Kirschen – zu 100 Prozent und 80 Prozent der Rohstoffe insgesamt. Wenn landwirtschaftliche Zutaten – beispielsweise Zucker – nicht in genügender Menge und in der geforderten Qualität erhältlich sind, dürfen diese Zutaten, ausgenommen die Hauptzutat, aus einer anderen Region der Schweiz stammen. Die Produktionsmethode – IP oder Bio – ist nicht vorgeschrieben. Die Erfüllung der Anforderungen wird in Audits überprüft.
Also gibt es bereits Label-Produkte.
13 Betriebe – Produzenten, Verarbeiter oder Gastrobetriebe – bieten aktuell rund 50 zertifizierte Produkte an: Das Spektrum reicht von Konfitüre über Fleisch oder Trockenfrüchte bis hin zu Trüffeln.
Die Gelder sind freigegeben. Was sind die nächsten Schritte?
Es steht die gut einjährige Grundlagenetappe an. Die eingereichten Projekte werden nun im Detail ausgearbeitet und geplant. Die Umsetzungsphase startet – vorausgesetzt, der Bund gibt dann grünes Licht dazu – im Sommer 2021.
Ist damit zu rechnen, das Teilprojekte zurückgezogen werden?
Das kann nicht ausgeschlossen werden. Aber während der langen Beratungsphase der Landratskommission ist nur ein Projekt ausgestiegen, wegen mangelnder Förderungswürdigkeit der vorgesehenen Investitionen. Jetzt, wo man endlich loslegen kann, gehe ich nicht davon aus, dass jemand das Handtuch wirft. Doch ist nicht auszuschliessen, dass jemand während der Detailplanung erkennt, dass es doch nicht reicht und den Investitionsantrag zurückzieht. Es ist auch möglich, dass wir Probleme bei einzelnen Teilprojekten erkennen und auf die Bremse treten.
Wann wird das erste PRE-Produkt zu kaufen sein?
Im Herbst nächsten Jahres sind erste Produkte zu erwarten, die mit PRE ermöglicht werden können.
Bund, Kanton und Träger investieren gemeinsam
ch. Das Bundesamt für Landwirtschaft hat das Programm Projekte zur regionalen Entwicklung (PRE) 2007 ins Leben gerufen, um den Beitrag der Landwirtschaft zur Entwicklung des ländlichen Raums und zur Stärkung regionaler Wertschöpfungsketten zu unterstützen. Mit «Genuss aus Stadt und Land» lancieren die beiden Basel ihr erstes Projekt. Es beinhaltet 23 Teilprojekte in den Bereichen Produktion, Marketing und Verarbeitung. Grösste Teilprojekte in Baselland sind ein Regio-Schlachthaus, eine Mälzerei, eine Fruchtmanufaktur und ein Lebensmittelnetzwerk. Die einzelnen Vorhaben kosten nach aktuellem Planungsstand von 30 000 bis mehr als 4 Millionen Franken. Das Programm wird von Baselland mit 3,95 Millionen und von Basel-Stadt mit 1,95 Millionen Franken unterstützt. Weitere 4,9 Millionen Franken steuert der Bund bei. Mindestens ein Drittel der jeweiligen Projektkosten bezahlt dessen Träger: Landwirt, Verarbeiter oder Vermarkter.