«… so hööchnäsigi Gstell, jo woll …»
12.05.2020 Baselbiet, Kultur, Bezirk SissachAm morgigen 13. Mai könnte Traugott Meyer seinen 125. Geburtstag feiern
Am 16. April 1959 ist Traugott Meyer im Alter von 64 Jahren in Basel verstorben. Bekannt wurde er unter anderem als Radio-Mitarbeiter der Sendung «s Bottebrächts Miggel verzellt». Traugott Meyer ist heute ...
Am morgigen 13. Mai könnte Traugott Meyer seinen 125. Geburtstag feiern
Am 16. April 1959 ist Traugott Meyer im Alter von 64 Jahren in Basel verstorben. Bekannt wurde er unter anderem als Radio-Mitarbeiter der Sendung «s Bottebrächts Miggel verzellt». Traugott Meyer ist heute wahrscheinlich der bekannteste Baselbieter Mundartautor des 20. Jahrhunderts.
Heiner Oberer
Schon damals. Die Sprache. Die Jugend. Der Baselbieter Heimatdichter Traugott Meyer (1895–1959) hatte den Jugendlichen gehörig ins Gewissen geredet. Das tönte dann so: «Chuum sy iez d Buebe us der Schuel, hai si ame Sundig scho Chrägen und Grawatte um d Häls. Vo de Mäitli gar nit z rede! Die laufen jo afen umme wie Stadtdame: d Junten isch ene z gring, es Röckli muess ane, es Röckli wien e Fähndli. Und Bluse! Und Chrüüseli! Churz um, es sy nümm öisi Maitli, es sy Fröndi, so hööchnäsigi Gstell, jo woll, wo nümm wai schaffe, nummen no Füürobe ha.» Eine Einschätzung, die sich bis heute – mit Nuancen – bei einem Teil der Erwachsenen gehalten hat.
Und dann die Sprache. Nicht erst heute, wo Jugendliche ihre Nachrichten auf dem Smartphone in einer verwunderlichen Sprache verfassen, sah bereits Traugott Meyer den Untergang der Baselbieter Mundart nahen. Er konstatierte eine Verarmung des Baselbieter Dialekts. So sind zum Beispiel die O-Laute, die für das oberste Baselbiet typisch sind, am Verschwinden. Aus cholt wird chalt, aus Solz Salz oder olt verwandelt sich in alt.
Auch Redensarten gehen verloren, bedauert Meyer. So nennt man eine Frau mit dicken Beinen: Bi deere sy d Stüd au nit tschuld, wenn der Söischtel zäämegheit. Doch. Die Mundart hat überlebt. Gewandelt zwar. Wie die Jugend. Aber sie lebt.
Eigene Wortschöpfungen
Stefan Hess (55), Historiker, Kunsthistoriker und Leiter des Dichterund Stadtmuseums in Liestal, ist ein profunder Kenner der Werke des Baselbieter Heimatdichters. «Traugott Meyer verfolgte in seinen Werken einen sprachpflegerischen Ansatz: Anders als Jonas Breitenstein, der Pionier der Baselbieter Mundartliteratur, ging er nicht von der Umgangssprache seiner Zeit aus, sondern versuchte eine ‹unverdorbene› Sprache zu bewahren, indem er nicht mehr gebräuchliche Ausdrücke oder gar – anstelle von neuen Fremdwörtern – eigene Wortschöpfungen verwendete, etwa ‹Sälberlauf› statt Auto.»
Meyer sei, so Hess weiter, immer auf der Suche nach urtümlichen Ausdrücken gewesen. «So erzählt der Kulturhistoriker Remigius Suter, Meyer sei bei seiner Grossmutter in Reigoldswil regelmässig zu Besuch gewesen und habe sich immer wieder von ihr gebrauchte alte Ausdrücke, die ihm nicht bekannt waren, notiert, um sie in seinen Werken zu verwenden. Er hat dazu auch eine umfangreiche Zettelkartei angelegt, um den mundartlichen Wortschatz möglichst in seiner ganzen Breite einbringen zu können. Ob alle diese Ausdrücke auch in Wenslingen, wo er aufgewachsen war, geläufig waren, war für ihn offenbar nicht entscheidend, denn er war, anders als sein Bruder, der bekannte Philologe Gustav Meyer, kein Wissenschaftler.»
Bewahrung der eigenen Kultur
Und was man im Baselbiet gerne vergisst:Traugott Meyer, der den grössten Teil seines Lebens im unteren Baselbiet und in Basel verbrachte, hat 1951 auch das Festspiel «Inclyta Basilea» zur 450-Jahr-Feier von Basels Zugehörigkeit zur Eidgenossenschaft verfasst – in Stadtbasler Dialekt und aufgeführt von den bekanntesten Basler Volksschauspielern seiner Zeit! Ihm war der städtische Dialekt sicher genauso vertraut wie der Wenslinger Dialekt seiner Jugend, den er in seinen übrigen Werken «kultiviert» und zu einer Kunstsprache stilisiert hat.
Wenn Meyer vorwiegend in Mundart geschrieben hat, ging es ihm auch um die Bewahrung der eigenen Kultur, der eigenen Traditionen – auch im Sinne der Geistigen Landesverteidigung in Abgrenzung zu Deutschland. Darüber hinaus hat die Sprachpflege auch eine persönliche Komponente: Der in seinen Werken «veredelte» Wenslinger Dialekt war für Traugott Meyer auch im Wortsinn «Muttersprache» – die Sprache seiner Mutter, die er im Alter von 13 Jahren verloren hatte.
Für Stefan Hess ist Traugott Meyer heute wahrscheinlich der bekannteste Baselbieter Mundartautor des 20. Jahrhunderts und der einzige, dessen Werk in einer Gesamtausgabe ediert wurde (erschienen 1987 bis 1992 in acht Bänden bei Sauerländer in Aarau).
Seine auf «Radio Beromünster» ausgestrahlten Plaudereien «s Bottebrächts Miggel verzellt» machten ihn sogar in der ganzen Deutschschweiz bekannt. Und Meyer hat es verstanden, den mundartlichen Werken gegenüber standardsprachlichen Texten eine eigene Qualität abzugewinnen; er war sicher ein besonders wortgewaltiger Vertreter seines Fachs.
Gedenkanlass wird verschoben
Am morgigen 13. Mai 2020 könnte Traugott Meyer seinen 125. Geburtstag feiern. Zu diesem Jubiläum wäre im Dichter- und Stadtmuseum in Liestal ein Gedenkanlass zu Ehren Meyers geplant gewesen, an dem Stefan Hess auf weniger bekannte Facetten in Meyers Schaffen eingegangen wäre. Wie so vieles, fällt auch dieser Anlass dem Coronavirus zum Opfer: «Ein Museum ist immer auch ein Ort der Erinnerungspflege, und wir wollen dies durch unsere Veranstaltungen noch verstärken. Darum planen wir, den Anlass zu einem späteren Zeitpunkt durchzuführen», sagt Hess.
Auf die Frage, was die Baselbieter Mundart für ihn bedeute, muss Stefan Hess lachen: «Die Frage hat für mich eine fast humoristische Seite: Ich bin mehrheitlich in Riehen aufgewachsen, habe viele Jahre in der Stadt Basel gewohnt und lebe erst seit fünf Jahren im Kanton Baselland.» Trotzdem würden ihn sowohl Basler als auch Baselbieterinnen regelmässig für einen Baselbieter halten, weil er ein moderates Baseldeutsch mit einem rollenden R spreche: das Erbteil seiner aus dem Kanton Luzern stammenden Eltern.
Durch seine mittlerweile bald achtjährige Tätigkeit als Leiter des Dichter- und Stadtmuseums Liestal und durch die Beteiligung an der Herausgabe des Werks des Mundartpioniers Jonas Breitenstein habe er aber mittlerweile schon ein gewisses Sensorium für die Dialektlandschaft im Kanton Baselland entwickelt. Er stelle zum Beispiel fest, dass auch bei Akademikern aus dem oberen Baselbiet, die häufig in Basel studiert hätten, der Einfluss der Stadtbasler Dialekts deutlich spürbar sei. «Ich finde dies aber überhaupt nicht schlimm, denn Sprache soll ja das Abbild der gelebten Realität sein, und die ist nun mal nicht mehr so kleinräumig wie noch vor 100 Jahren», sagt Hess.
Es freue ihn aber, wenn junge Menschen alte Ausdrücke aufgreifen, wie etwa die junge Slammerin Gina Walter den Ausdruck «Dilldapp». Generell begrüsse er es, wenn die Mundart auch literarisch wieder mehr Bedeutung findet, namentlich durch die Spoken-Word-Bewegung. Und dass die «Volksstimme» seit Jahren eine Mundartkolumne pflegt, halte er für sehr verdienstvoll: «Mundartliteratur hat – anders als zur Zeit von Traugott Meyer – heute nichts mehr mit Heimatdichtung zu tun und ist auch bei jungen Menschen, die sich ohnehin über Social Media in Mundart austauschen, wieder salonfähig geworden.»
Dichter- und Stadtmuseum Liestal
Rathausstrasse 30, 4410 Liestal
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www.dichtermuseum.ch
Traugott Meyer, Lehrer und Heimatdichter
hob. Traugott Meyer, geboren am 13. Mai 1895 in Wenslingen, gestorben am 16. April 1959 in Basel, war der Sohn des Lehrers Paul Gustav Meyer und von Caroline Wirz. Heirat im Jahr 1921 mit Milli Keller aus Walzenhausen (AR). Meyer besuchte die Primarschule beim Vater in Wenslingen. Anschliessend absolvierte er die Bezirksschule in Böckten, das Lehrerseminar in Muristalden und an der Universität Bern. Ab 1931 war er als Reallehrer in Muttenz, dann bis ins Jahr 1959 Sekundarlehrer in Basel.
Schon in jungen Jahren begann er – angeregt von seiner Mutter und inspiriert von Johann Peter Hebel – in Mundart zu dichten. Schreibt Gedichte, Erzählungen und Romane. Traugott Meyer wurde vor allem als Radio-Mitarbeiter mit seinen Erzählungen «s Bottebrächts Miggel verzellt» über unser Gebiet hinaus bekannt und zu einem eigentlichen Volksdichter. 1948 wurde ihm der Hebelpreis des Staates Baden verliehen. Drei Jahre später, im Jahr 1951, schrieb er für den Kanton Basel-Stadt das Festspiel «Inclyta Basilea», eine «geistesgeschichtliche Schau», deren Aufführung ein grosser Publikumserfolg wurde. Seine Werke erschienen 1988 bis 1992 in einer achtbändigen Gesamtausgabe. Im Heimatmuseum in Aesch, Meyers Heimatort, befindet sich eine ständige Ausstellung über den Dichter; dort wird auch ein Teil seiner Manuskripte aufbewahrt.
Quelle: Personenlexikon des Kantons Basel-Landschaft
Stefan Hess, Historiker und Kunsthistoriker
hob. Stefan Hess ist in Riehen aufgewachsen und studierte an der Universität Basel Geschichte, Deutsche Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte. Danach arbeitete er jahrelang als freischaffender Historiker. 2007 promovierte er im Fach Kunstgeschichte mit einer Arbeit über den Bildhauer Ferdinand Schlöth. Seit November 2008 arbeitet er an der Dokumentationsstelle der Gemeinde Riehen. Von 2009 bis Juni 2012 war er Leiter der Historischen Sammlung am Museum Aargau. Seit dem 1. Juli 2012 leitet er das Dichter- und Stadtmuseum Liestal. Seit September 2012 wirkt er überdies an der Erarbeitung des Kunstdenkmälerbands zum Basler Münster mit, der inzwischen erschienen ist.