Lehrpersonen brauchen Nachhilfe
02.04.2020 Baselbiet, BildungSebastian Schanzer
Als ein möglicher Lockdown in der Schweiz noch Gegenstand von Spekulationen war und sich die Schulen noch im normalen Betriebsmodus befanden, hat Christina Beeler bereits an das Unvermeidliche gedacht. Die Leiterin der Kreisschule Arisdorf-Hersberg traf ...
Sebastian Schanzer
Als ein möglicher Lockdown in der Schweiz noch Gegenstand von Spekulationen war und sich die Schulen noch im normalen Betriebsmodus befanden, hat Christina Beeler bereits an das Unvermeidliche gedacht. Die Leiterin der Kreisschule Arisdorf-Hersberg traf sich am 5. März mit dem ICT-Verantwortlichen ihrer Schule, Kevin Beining. «Wir schauten nach China, nach Italien und es wurde klar: die Schliessung der Schulen in der Schweiz ist lediglich eine Frage der Zeit», sagt Beeler. Lösungen für den Fernunterricht waren gefragt.
Beeler und Beining entschieden sich kurzerhand für ein Videochat-Programm, und einen Tag bevor Bundesrat Alain Berset verkündete, dass an sämtlichen Schulen in der Schweiz kein Unterricht mehr stattfinden dürfe, sassen drei Arisdörfer Kinder bereits im virtuellen Klassenzimmer zu Hause. Sie mussten wegen Verdachts auf eine Coronavirus-Infektion in der Familie in Quarantäne bleiben.
«Kinder sind diszipliniert»
Heute sitzen alle 150 Schülerinnen und Schüler der Kreisschule vor ihren Bildschirmen zu Hause wenn die Klassenlehrperson zum Onlinemeeting ruft. Die Lehrerinnen und Lehrer erklären den Kindern per Videokonferenz die Aufgaben des Tages und bleiben danach weiterhin für Einzelgespräche online verfügbar. Die nötigen Materialien werden über eine «Cloud» bereitgestellt. «Die Kinder sind total diszipliniert. Wenn sie Fragen haben, klinken sie sich in ein laufendes Gespräch ein und warten geduldig, bis die Lehrperson Zeit für sie hat», schwärmt Beeler. Doch es geht auch umgekehrt: «Manchmal unterhalten sich die Kinder an einer Konferenz schon miteinander, bevor der Lehrer überhaupt den Fernunterricht begonnen hat.»
Dass der Fernunterricht in Arisdorf so reibungslos funktioniert, ist keine Selbstverständlichkeit. 15 Familien hatten zunächst keine tauglichen oder keine zusätzlichen Geräte für die Kinder zur Verfügung. Der ICT-Verantwortliche der Schule liess seine Kontakte spielen und konnte die Familien mit Miet-Tablets eindecken.
Als Glücksfall für die Schule erwies sich auch der 20-jährige Mann im Dorf, der in der vergangenen Woche von Familie zu Familie radelte, um sie bei technischen Fragen zu unterstützen. Seiner eigentlichen Arbeit kann er seit dem Lockdown nicht mehr nachgehen.
Und dann sind da noch die Lehrerinnen und Lehrer: «Es ist für mich berührend, zu beobachten, wie sich das Lehrpersonal die nötigen IT-Kenntnisse aneignet und bei der Umsetzung des Fernunterrichts vor Kreativität nur so sprudelt», sagt Beeler. Es wurden Betreuungsgruppen geschaffen, Konzepte und Unterrichtsstrukturen entwickelt, und sogar Videoclips gefilmt, um den Kindern den Stoff anschaulich zu erklären.
Unterschiede bei Gemeinden
Die Kreisschule Arisdorf-Hersberg ist im Baselbiet zwar kein Einzelfall. Viele Primarschulen seien derzeit auf gutem Weg, was die Digitalisierung betrifft, sagt Beat Lüthy, Leiter des Amts für Volksschulen (AVS). Durch die Coronakrise und den damit verbundenen Aufbau des Fernunterrichts erhalte diese derzeit einen zusätzlichen Anschub. Dennoch zeigten sich teilweise grosse Unterschiede bezüglich Ausrüstung und technisches Know-How beim Personal der einzelnen Schulen. «Weil auf Primarstufe die Gemeinden zuständig sind, gibt es auch bei der Digitalisierung viele unterschiedliche Wege.»
Der Kanton unterstützt die Primarschulen aber, indem er Infomaterial zum Aufbau von Fernunterricht, teils aus anderen Kantonen, sammelt und auf seiner Website zur Verfügung stellt. Dabei stellt sich auch die Frage, ob die empfohlenen Programme den Anforderungen des Datenschutzes genügen. Markus Brönnimann, der Datenschutzbeauftragte des Kantons, sagt: «Die ausserordentliche Lage verlangt auch nach ausserordentlichen Massnahmen.» Aus diesem Grund könne während der Dauer der Coronakrise der Einsatz von Softwarelösungen als zulässig erscheinen, deren Datenschutzkonformität zurzeit nicht vollständig gegeben sei. «Es gibt klar Grenzen, aber wir sind in dieser Hinsicht während der Coronakrise sicher toleranter.» Die Verantwortung für die Auswahl und den Betrieb liege aber bei den Schulen.
Kanton bezahlt Beratungen
Das Baselbiet setzt bei der IT-Beratung der Primarlehrpersonen neuerdings auch auf einen Titterter Förderverein, der sich seit Jahren für den IT-Nachwuchs einsetzt. Die «ICT-Scouts» fördern und betreuen auf ihrem Campus in Muttenz, Zürich oder Bern jugendliche Informatiktalente zwischen 13 und 16 Jahren, die sie mit Workshops an den Volksschulen rekrutieren. Der Titterter Rolf Schaub, ehemaliger Leiter der Informatik-Ausbildung an der Gewerblich-industriellen Berufsfachschule Muttenz, hat das Projekt gegründet und kann seine bis zu 30 freischaffenden Scouts aufgrund der Schulschliessung nicht mehr beschäftigen.
Nun stellt Schaub seine Mitarbeiter dem Kanton zum Selbstkostenpreis zur Verfügung. Sie sollen den Lehrpersonen während dieser ausserordentlichen Zeit das nötige Wissen und die Fähigkeiten vermitteln, um den Fernunterricht zu meistern. Am Montag wurde ein Dienstleistungsvertrag mit dem Verein unterschrieben.
Unterstützung bieten die «ICT-Scouts» bei allgemeinen Problemen mit dem Computer sowie bei der Bedienung von Videochat- und Cloud-Speicher-Programmen. Aber auch das Aufnehmen, Schneiden und Bearbeiten von Videofilmen oder das Erstellen von spezifischen Dokumenten können sich interessierte Lehrpersonen von den Scouts erklären lassen. Finanziert werden diese Beratungsdienstleistungen für die Zeit der Schulschliessungen durch den Kanton.