Am 23. Dezember 1787 sticht die HMAV Bounty von England aus in See. Sie soll in Tahiti Setzlinge des Brotfruchtbaums an Bord nehmen und diese in die Karibik bringen.

Hanspeter Gsell

Die Reise dauert wegen widriger Verhältnisse länger als gedacht. Erst am 25. Oktober 1788 kommt das Schiff in Tahiti an. Die Stecklinge aber sind zu dieser Zeit ausverkauft. Man wartet wohl oder übel und geniesst das schöne Leben, sicher auch den Rum. Man verliebt sich, weniger in die Blumen als in die weiblichen Südsee-Schönheiten. Man heiratet ganz ohne Standesamt und Kirche.

Am 4. April 1789 ist es so weit: Die Brotfrucht-Setzlinge sind versandbereit, werden verladen, die Reise geht weiter, westwärts Richtung Karibik. Nach dem Lotterleben in Polynesien hielt sich das Reisefieber der Mannschaft in Grenzen. Nur mürrisch gehorchte man dem Kommandanten der Expedition, Captain William Bligh. Sein Maat, Fletcher Christian, beschloss umzukehren, um wieder bei seiner Geliebten, der lieblichen Maimiti, einzukehren: Er drückte auf den Knopf «Halt auf Verlangen». Über die Auseinandersetzungen vom 27. April 1789 gibt es verschiedene Berichte: Die Details überlasse ich den Historikern.

Captain Bligh wird ausgebootet
Auf jeden Fall ignorierte der Kapitän das Haltesignal, was den guten Fletcher dermassen erzürnte, dass er die berühmt-berüchtigte Meuterei auf der «Bounty» vom Zaun oder von der Reling brach. Er bootete den Kapitän kurzerhand auf freier Strecke aus und schmiss ihn mit einer Handvoll Getreuen in eine alte Barkasse mit dem bedeutungsvollen Namen «Launch» – «Start». Anschliessend winkte er den Bootsflüchtlingen kurz zu und warf ihnen noch ein paar Kisten mit Brotfrüchten nach. Diese sollten als Verpflegung bis zur nächsten Insel reichen.

Bereits am 14. Juni 1789 hatte der ausgebootete Kapitän mit seiner rudernden Nussschale die Insel Timor im heutigen Indonesien erreicht. 6700 Kilometer in 41 Tagen! Natürlich war die Besatzung nicht mehr vollzählig, einige starben an Erschöpfung. Quartiermeister John Norton wurde auf der Insel Tofua, in der Nähe des Königreichs Tonga, von Einheimischen totgeschlagen.

Bligh, ein Meister der Navigation, schaffte es, das kleine, mit achtzehn Mann völlig überladene Boot, durch die kaum erforschte Torres-Strasse zwischen Australien und Neuguinea, bis zu der über 6700 km entfernten Insel Timor zu bringen.

Die Fahrt der Barkasse – sie war gerade einmal 7 Meter lang und 2 Meter breit, gehört zu den längsten Reisen, die je in einem so kleinen, offenen Boot unternommen wurden, und stellt eine ausserordentliche seemännische Leistung dar. Auf dem Weg nach Timor entdeckte Bligh als erster Europäer gleich mehrere Inseln. Das Meeresgebiet nördlich der Fidschi-Insel Viti Levu, das die Barkasse dabei durchquerte, erhielt den Namen Bligh Water.

Fletcher Christian wurde 1764 in Cumberland geboren. Captain Bligh selbst verpflichtete ihn 1787 als Maat für die Brotfrucht-Expedition nach Tahiti. Fletcher Christian ist sicher der berühmteste aller Meuterer. Da es weder Bilder und schon gar keine Selfies von ihm gibt, müssen wir auf Beschreibungen von Bligh sowie der Mannschaft zurückgreifen.

Christian soll 1,75 m gross gewesen sein, dunkle Haare und auf der Brust ein Tattoo gehabt haben. Sein Körperbau war athletisch, nur seine O-Beine passten nicht ins Bild. Von der Mannschaft wurde er gemocht, er soll ein netter Kerl gewesen sein, ehrlich und offen, freundlich und äusserst charmant. Genauso wie über seinen ehemaligen Vorgesetzten, Captain Bligh, gibt es auch über Fletcher mehrere Wahrheiten.

Fletcher hat Liebeskummer
Fletcher Christian war ganze 23 Jahre alt, als er mit der «Bounty» in See stach. Er soll sehr viel Gepäck mit eigenartiger Ware dabei gehabt haben. Ein Matrose würde später aussagen, Fletcher habe eigentlich nur bis Papeete mitsegeln wollen. Dort wollte er nämlich einen Shop eröffnen, sich etwas ausruhen und ab und zu etwas trinken.

Natürlich hatte Fletcher nicht vorausgesehen, dass er sich auf Tahiti unsterblich in die schöne Maimiti verlieben würde. Wie wir wissen, wurde nichts aus der Geschäftseröffnung, und Bligh, der Fletcher kürzlich zum Leutnant befördert hatte, drohte diesem, ihn wieder zu degradieren, wenn er nicht mit ihm in die Karibik weitersegeln würde.

Der tränenreiche Abschied von Maimiti war wohl ein Tiefpunkt in seinem Leben und auch der Auslöser der Meuterei. Captain William Bligh dürfte in Wirklichkeit weder ein herzloser Sadist noch ein prügelnder Rabauke gewesen sein. Er kommandierte sein Schiff, es unterstand der Kriegsmarine, mit der damals üblichen Härte. Prügeln und Auspeitschen gehörten zur Tagesordnung. Bligh sei, so sollten es die Logbücher später zeigen, ein durchaus guter Kommandant, ein verständnisvoller Vorgesetzter und ein umgänglicher Typ gewesen sein.

Was aber tat Fletcher Christian auf seiner «Bounty»? Nachdem die Meuterei mehr oder weniger gemäss Drehbuch abgelaufen war, setzte er wieder die Segel. Am 22. September 1789 war die «Bounty», wenn auch mit reduzierter Mannschaft, zurück in Tahiti.

Strandung statt Landung
Hier aber gab es einige Entscheidungen zu treffen. Natürlich wussten die Meuterer, dass der Tatbestand der Meuterei nur mit dem Tod bestraft werden konnte. Trotzdem entschieden sich acht Meuterer, auf Tahiti zu bleiben. Auch weitere Besatzungsmitglieder beschlossen auszusteigen. Sie waren nämlich nach wie vor ihrem bisherigen Vorgesetzten, Captain William Bligh, ergeben. Sie hatten auf der ausgesetzten Barkasse schlichtweg keinen Platz mehr gehabt.

Fletcher Christian, immer noch auf Tahiti, liess seine geschrumpfte Mannschaft sich in einer Reihe aufstellen und zählte mal kurz durch. An Bord kamen neun Meuterer sowie sechs Männer und zwölf Frauen aus Tahiti. Am 15. Januar 1790 landete man auf der Insel Pitcairn. Wobei das Verb «landen» wohl nicht ganz korrekt ist. Weder gab es Landungsstege noch Docks. Auch zum Ankern gab es keine geeigneten Plätze. Kein Sandstrand lud zum Bade, eine windgeschützte Bucht existierte nicht. Aus der Landung wurde deshalb eine Strandung.

Die Nachricht von der Meuterei hatte den englischen Hof erreicht. Die Admiralität befahl im November 1790 die Fregatte HMS Pandora nach Tahiti, um die Meuterer der «Bounty» aufzuspüren und festzunehmen. Vierzehn dort lebende Männer wurden gefangen genommen. Auf der Rückreise nach England jedoch lief die «Pandora» auf ein Korallenriff auf und sank vor Australien.

Vier der Gefangenen, sie waren im Unterdeck in Eisen gelegt worden, ertranken dabei elendiglich. Was den Kapitän, so ein Zeuge, nicht weiter gestört haben soll. Dank dieses Verlustes waren weniger hungrige Mäuler zu stopfen!

Die zehn überlebenden Männer der «Bounty» wurden zurück nach Grossbritannien gebracht, wo ihnen im September 1792 in Portsmouth der Prozess gemacht wurde. Drei von ihnen wurden gehängt, weitere sieben wurden freigesprochen oder begnadigt.

In loser Reihenfolge erscheint in der «Volksstimme» die sechsteilige Serie zu Hanspeter Gsells Reise nach Pitcairn im Frühjahr 2019. Er begibt sich dabei auf die Spuren der Meuterer der HMVA Bounty. Vor 230 Jahren kam es auf dem Segelschiff zu einer verhängnisvollen Meuterei.

Halt auf Verlangen

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