Eine Herkulesaufgabe für die Intensivpflege
03.04.2020 Basel, GesundheitDas Pflege-Leitungsteam der Intensivstation des Unispitals über Corona-Patienten
Die Zahl der schwer kranken Corona-Patienten wächst. Ihre Betreuung stellt besondere Anforderungen. Die Pflegenden schwitzen in der Schutzausrüstung. Die Isolationsmassnahmen sind komplex. Das ...
Das Pflege-Leitungsteam der Intensivstation des Unispitals über Corona-Patienten
Die Zahl der schwer kranken Corona-Patienten wächst. Ihre Betreuung stellt besondere Anforderungen. Die Pflegenden schwitzen in der Schutzausrüstung. Die Isolationsmassnahmen sind komplex. Das Pflege-Leitungsteam der Intensivstation des Unispitals Basel, Angelika Lehmann und Michael Wehrli, gibt Auskunft.
Andreas Bitterlin
Frau Lehmann, Herr Wehrli, was läuft wie gewohnt und was ist zurzeit das Besondere an Ihrer Arbeit?
Angelika Lehmann: Spezifisch an der Coronakrise ist unter anderem die Organisation der Patientenströme, damit keine Kontamination von nicht infizierten Menschen auftritt. Psychisch belastend ist für uns das Warten auf den erwarteten Anstieg der Zahl der Corona-Infizierten. Wir fragen uns laufend, ob wir alle Faktoren berücksichtigen. Eine weitere psychische Belastung ist die Angst der Pflegenden, dass sie zu Hause Familienangehörige anstecken könnten. Auch physisch ist die Arbeit erschwert: Im stundenlangen Einsatz mit Schutzanzügen schwitzen die Pflegenden, das Arbeiten ist umständlicher, und das Atmen ist erschwert.
Michael Wehrli: Wir kennen den Umgang mit Patientinnen und Patienten, die an einer schweren Lungenentzündung leiden und beatmet werden müssen, sowie mit Personen, die aufgrund ihrer schweren Krankheiten und Verletzungen nicht ansprechbar sind. Wir erleben auch Situationen mit sterbenden Menschen. Das Besondere bei Corona ist: Wir haben noch keine Medikamente für die Genesung, und wir arbeiten laufend an der Krisenplanung im Hinblick auf die erwartete massive Zunahme der Anzahl Patienten.
Stehen Ihnen genügend Schutzmasken und Beatmungsplätze zur Verfügung?
Wehrli: Momentan ja. Aber es ist sicher, dass wir durch den Anstieg an Patientinnen und Patienten zusätzliche Ressourcen zu den 42 vorhandenen Intensivbetten benötigen werden. Es ist vorgesehen, dass wir die Anzahl der bestehenden 22 Beatmungsplätze vervielfachen.
Wie schaffen Sie diese Aufgabe?
Lehmann: Weil die Wahleingriffe im Operationssaal zurückgefahren oder gänzlich ausgesetzt werden, stehen zusätzliche Räumlichkeiten zur Verfügung, beispielsweise die Aufwachräume der Anästhesie.
Wehrli: Es geht aber nicht nur um die Infrastruktur, es geht auch um Menschen mit der notwendigen Kompetenz, um die sehr kranken Menschen betreuen zu können. Durch den Wegfall der Wahl-Operationen wird Personal aus der Anästhesie (Anästhesiepflege, Anästhesisten) und dem OP (Lagerungspflegende) frei für die Unterstützung des Behandlungsteams der Intensivstation. Dadurch hat es auch weniger operierte Patientinnen und Patienten auf den Bettenstationen, somit kann auch ein Teil des dortigen Personals von uns für die Intensivpflege eingesetzt werden.
Es herrscht bei Ihnen ein absolutes Besuchsverbot. Wie begegnen Sie dieser emotionalen Erschwernis für die Patientinnen und Patienten?
Wehrli: Wir müssen die noch mögliche Kommunikation herstellen zwischen Patientinnen und Patienten und ihren Angehörigen. Das geschieht bei den wachen Personen mittels von uns organisierter täglicher Telefonate jeweils zur selben Zeit. Bei den nicht wachen Patientinnen und Patienten orientieren wir die Angehörigen täglich telefonisch über die Situation, die Diagnose, den aktuellen Zustand; die Intensivmedizinerinnen und -mediziner eventuell über Prognosen.
Lehmann: Wir haben neu eine Ausnahmeregelung eingeführt. Bei terminalen Situationen, also bei sterbenden Menschen, können einzelne der nächsten Angehörigen von den Sterbenden Abschied nehmen, wenn sie das wünschen. Wir denken, dass sie so besser auf den Trauerprozess eingehen können. Es ist wegen der Ansteckungsgefahr eine Risikoabwägung, aber wir können die Besuchenden genau gleich gut mit Schutzanzügen und Masken schützen wie die Spitalmitarbeitenden – also sehr gut.
Was löst die Situation bei Ihnen emotional aus, wenn Patientinnen und Patienten sterben?
Lehmann: Jeder sterbende Mensch löst Emotionen aus, aber die Betroffenheit ist nicht immer gleich tief. Wenn ein betagter Mensch schwer krank ist und viele Begleiterkrankungen hat, dann kann das Sterben für ihn eine Erlösung sein, indem er nach einem langen Leiden gehen kann. Es kann aber auch eine junge Mutter mit zwei kleinen Kindern sein, die wir nach einer Influenza trotz aller vorhandenen Mittel nicht mehr retten können. Dann leidet die Familie schwer, und auch uns geht das ebenfalls sehr ans Herz.
Warum haben Sie den beruflichen Weg in die Intensivpflege gewählt?
Wehrli: Die grosse Motivation ist, füreinander da zu sein. Das Faszinierende an unserem Beruf ist, dass wir Menschen in einer Krise helfen können mit unserem Know-how, und dass wir nur im interprofessionellen Team erfolgreich sind. Das ist etwas Menschliches, wir sind soziale Wesen. Mich interessiert auch die ethische Dimension auf einer Intensivstation mit der wichtigen Frage, was eine verantwortungsvolle und sinnvolle Behandlung im Sinn der Patientinnen und Patienten ausmacht.
Lehmann: Ein weiterer Punkt ist das fundierte Fachwissen, das wir im Rahmen des zweijährigen berufsbegleitenden Nachdiplomstudiums in Intensivpflege erwerben können, das uns hilft, Zusammenhänge besser zu verstehen. Hinzu kommt: Hier ist eine Pflegeperson für zwei Patientinnen oder Patienten zuständig, auf anderen Bettenstationen sind es deutlich mehr Menschen, die von einer Person betreut werden. Ich schätze die Möglichkeit des intensiveren Kontakts mit den Patientinnen und Patienten.
Wegen des enormen Arbeitsvolumens hat der Bundesrat einschränkende gesetzliche Regelungen zur Arbeits- und Ruhezeit aufgehoben. Was bedeutet das für Sie?
Wehrli: Wir gehen von einer enormen Belastung über mehrere Wochen aus, und ich werde als Führungsverantwortlicher dafür Sorge tragen, dass die Mitarbeitenden gemäss den bisherigen Arbeitsplänen im Einsatz sind. Es darf nicht sein, dass Mitarbeitende noch mehr arbeiten und nach drei Wochen ausgelaugt sind – wir müssen als ganzes Team bis zum Schluss der Coronakrise gut über die Runden kommen. Eine Veränderung dieser Grundhaltung kommt nur infrage, wenn wir die Aufgaben sonst nicht mehr erfüllen könnten. Das ist jetzt dank Unterstützung durch die genannten Kolleginnen und Kollegen nicht der Fall.
Ihre Tätigkeit steht momentan sehr im Fokus der Öffentlichkeit. Spüren Sie die Wertschätzung und die Dankbarkeit in der Bevölkerung?
Lehmann: Natürlich freut mich die Wertschätzung, aber eigentlich tun wir jetzt auch das, was wir immer tun, nämlich Patientinnen und Patienten mit schweren Krankheiten und Verletzungen betreuen. Bis anhin wurden diese Leistungen von vielen unterschätzt. Wir kämpfen deshalb dafür, dass die Pflegenden nicht nur als Angehörige eines Hilfsberufs wahrgenommen werden, die Anordnungen der Ärzteschaft umsetzen. Wir sind sehr gut ausgebildete Fachpersonen, teils mit Masterabschluss, und haben ein eigenständiges Fachgebiet. Das erlaubt uns, autonom wichtige Massnahmen zu initiieren und durchzuführen.
Wie gehen Sie vor, um diese Aufwertung in der Wahrnehmung zu erzielen?
Wehrli: Ich erlebe die Verfolgung dieses Ziels hautnah in der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI), in der ich Mitglied des Vorstands bin und zwei Jahre geschäftsführender Präsident war. Die SGI ist die einzige Fachgesellschaft, in der die Ärzteschaft und die Pflege gemeinsam und gleichwertig wirken. In diesem Gremium haben wir Pflegenden einen guten emanzipierten Status. Und das tragen wir auch nach aussen.
Wegen der katastrophalen Situation mit Bettenmangel und eingeschränkten Behandlungsmöglichkeiten in den Spitälern in Mülhausen und Strassburg hat das Unispital Basel zwei schwer erkrankte Corona-Patienten aus dem Elsass aufgenommen. Unterstützen Sie diese Nachbarschaftshilfe über die Landesgrenze hinweg?
Wehrli: Ich freue mich über die Aufnahme der Elsässer. Wir haben hier im Unispital viele Elsässer Arbeitskolleginnen und -kollegen, die sehr unter den schlimmen Bedingungen zu Hause leiden. Für diese Grenzgängerinnen und Grenzgänger ist es eine Arbeitsmotivation, dass ihre kranken Compatriotes hier am Basler Unispital behandelt werden. Zum jetzigen Zeitpunkt hat deren Aufnahme keine negativen Auswirkungen auf Schweizer Patientinnen und Patienten.
Lehmann: Wir kooperieren nicht nur über die Landesgrenzen hinweg, sondern auch über die Kantonsgrenzen hinweg mit dem Baselbiet. Mit dem zuständigen Arzt der Intensivstation des Corona-Spitals Bruderholz pflegen wir einen regelmässigen Erfahrungsaustausch. Und dies trotz der Ablehnung der geplanten Fusion des Unispitals Basel mit dem Kantonsspital Baselland.
Zu den Personen
abi. Angelika Lehmann (55) ist in Lupsingen aufgewachsen und absolvierte die Ausbildung zur Pflegefachfrau an den Standorten Liestal und Bruderholz des Kantonsspitals Baselland. Für das berufsbegleitende Nachdiplomstudium in Intensivpflege wechselte sie an das Kantonsspital Basel (heute Universitätsspital), wo sie heute zusammen mit Michael Wehrli das Pflege-Leitungsteam der Intensivstation bildet.
Lehmann hielt sich zwei Jahre in den USA auf. Am Institut für Dialog Ethik in Zürich erlangte sie den Master in ethischer Entscheidungsfindung und an der Universität Basel den Bachelor in Nursing Science (Pflegewissenschaft). Sie ist Mitglied der Zertifizierungskommission der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI).
Michael Wehrli (60) ist in der Stadt Bern geboren und dort aufgewachsen. Seine pflegerischen Ausbildungen absolvierte er am Kantonsspital Basel (Universitätsspital) und er studierte Philosophie an der Universität Basel. An diesem Spital ist er seit 42 Jahren tätig und leitet heute zusammen mit Angelika Lehmann die Pflege der 42-Betten-Intensivstation. Gleichzeitig ist er Fachbereichsleiter Pflege der Anästhesie und der Intensivpflege.
Wehrli engagiert sich in der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI) als Vorstandsmitglied. Während zweier Jahre amtierte er als geschäftsführender Präsident. In der SGI wechselt das Präsidium alle zwei Jahre zwischen Vertretungen der Ärzteschaft und der Pflege.
Versorgung im Baselbiet
abi. Im Kanton Baselland ist das Bruderholzspital exklusiv für die Versorgung der Corona-Patienten zuständig. Die anderen kantonalen Spitäler in Liestal und Laufen stellen die Grundversorgung sicher ohne das Angebot der Covid-19-Behandlung. Die Intensivstationen des Bruderholzspitals und des Unispitals Basel tauschen regelmässig Erfahrungen aus.