«Man glaubt gar nicht, wie lang der Rattenschwanz ist»
03.04.2020 Baselbiet, WirtschaftTreuhänder Urs Duttweiler glaubt, dass die 40 Milliarden vom Bund nicht ausreichen werden
Die Duttweiler Treuhand AG ist eines der grössten Treuhandunternehmen von Liestal aufwärts. Sie hat eine Taskforce zur aktuellen Situation eingerichtet. Mitinhaber Urs Duttweiler berät die ...
Treuhänder Urs Duttweiler glaubt, dass die 40 Milliarden vom Bund nicht ausreichen werden
Die Duttweiler Treuhand AG ist eines der grössten Treuhandunternehmen von Liestal aufwärts. Sie hat eine Taskforce zur aktuellen Situation eingerichtet. Mitinhaber Urs Duttweiler berät die Unternehmen bei den Überbrückungskrediten und erklärt, wo konkret die Probleme der Unternehmen liegen.
Tobias Gfeller
Herr Duttweiler, Sie sind im Unternehmen zum Berater für die von Bund und Kanton versprochenen Überbrückungskredite für die benannt worden. Läuft das Telefon heiss?
Urs Duttweiler: Ja, es läuft zurzeit wirklich sehr viel. Es ist schon nur ein Kraftakt, einen Überblick über die Massnahmen zu haben. Diese werden ja stetig ergänzt und die Prozesse angepasst. Wir wollen aber mehr wissen als nur die Schlagworte. Daher beobachten wir als Taskforce diese Entwicklungen laufend und passen unsere internen Arbeitsinstrumente jeweils umgehend an. Alle in unserem Unternehmen anfallenden Fälle und Erfahrungen in diesen Themen werden über die Taskforce kanalisiert, damit wir möglichst viel praktisches Wissen und Erfahrungen sammeln können. Wir haben ein internes dynamisches Fact-Sheet mit Informationen zu jedem Massnahmenbereich und den wichtigen Links zu Formularen, Merkblättern und zusätzlichen Detailinformationen erarbeitet. Darauf haben alle unsere Mitarbeitenden immer Zugriff. Ebenso können sie jederzeit die Mitglieder der Taskforce direkt kontaktieren und sich Auskünfte einholen. Damit können wir unseren Kunden Hilfe anbieten mit Informationen auf neuestem Stand.
Was ist das Hauptbedürfnis der Unternehmen?
Die Hauptproblemstellung ist die Liquiditätssicherung. Man glaubt gar nicht, wie lang der Rattenschwanz an Auswirkungen der einschränkenden Massnahmen ist. Da stehen jetzt sehr viele Unternehmen vor dem Berg und wissen nicht, wie sie die Kosten tragen sollen.
Was meinen Sie genau mit «Rattenschwanz»?
Von einem Unternehmen, das schliessen musste, gehen im Normalfall Ausgaben an Lieferanten oder schon nur an den Stromanbieter. Und von diesen dann weiter. Auch haben Unternehmen, die weiterhin geöffnet sind, massive Umsatzeinbussen. Das führt dazu, dass in vielen Unternehmen die Umsätze einbrechen, bei denen man es auf den ersten Blick gar nicht vermutet.
Dann leiden nicht nur jene, die schliessen mussten?
Überhaupt nicht. Stellen Sie sich einen Physiotherapeuten mit einer Praxis vor. Die Leute sollten ja nicht aus dem Haus und haben auch Angst, sich von einem Physiotherapeuten berühren zu lassen. Deshalb sagen sie in Massen ihre Sitzungen ab. Oder der Grafiker, der für ein Restaurant die Menükarten gestaltet. Ihm brechen die Umsätze rasant weg. So kommt es eben zu den erwähnten Liquiditätsengpässen. Wenn diese Phase länger dauert, wird es auch zu massiven Verlusten kommen. Diese können dazu führen, dass ein Unternehmen nicht mehr auf die Beine kommt und schliessen muss.
Erwarten Sie viele Konkurse?
Wir müssen damit rechnen, dass es im Herbst oder spätestens Anfang kommenden Jahres Konkurse geben wird. Man muss bedenken, dass das Wiederaufnehmen der wirtschaftlichen Aktivitäten nicht von null auf hundert funktioniert. Es braucht immer eine Anlaufzeit, bis man als Unternehmen wieder Fuss fassen kann. Dazu braucht es wieder Vorfinanzierungen. Das Unternehmen muss zuerst leisten und Material einkaufen, dann die Rechnung stellen und dann warten, bis der Kunde zahlen kann. Da ist jeder in derselben Situation. Nach meiner Überzeugung werden die 40 Milliarden Franken des Bundes nicht reichen. Es wird einen zweiten Schub brauchen, um eben auch den Wiederanlauf finanzieren zu können. Es gibt halt viele Unternehmen, welche die Reserven nicht haben, die es bräuchte, um drei bis vier Monate Ausfall überstehen zu können.
Genau dies liest man in diesen Tagen öfter in den Kommentarspalten des Internets: «Eine gut geführte Firma muss zwei bis drei Monate an Reserven haben.»
Das ist bei kleineren Unternehmen nicht die Realität. Ein Restaurant, selbst wenn es gut läuft, verdient nicht allzu viel und lebt häufig von der Hand in den Mund. Gibt es einen Monat lang keine Einnahmen, können Ende Monat schon die Löhne nicht mehr bezahlt werden.
Firmen können jetzt auf unbürokratische Weise Kredite beantragen. Welche Rolle spielen Sie dabei als Treuhänder?
In erster Linie geben wir Auskunft über das Vorgehen, um an die Mittel der Notpakete zu gelangen. Dann geht es auch um die Frage der Verschuldung. Inwieweit ist diese für eine Firma tragbar oder eben nicht? Bei Krediten über 500 000 Franken, bei denen der Bund nur noch 85 Prozent des Risikos trägt und der Rest die Bank, wird eine Kreditprüfung vorgenommen, wenn auch in diesem Fall eine vereinfachte. Dort unterstützen wir die Firmen mit einem Planungstool, um die dafür nötigen Grundlagen und Dokumente für das Kreditgesuch zu schaffen.
Was raten Sie der Wirtschaft generell in dieser Krise?
Man muss jetzt miteinander reden und einander helfen, indem man zum Beispiel gegenseitig Zahlungsfristen verlängert. Alle sitzen letztlich im gleichen Boot. Die Wirtschaft ist eng verzahnt, zum Beispiel Mieter und Vermieter von gewerblichen Räumlichkeiten. Nur mit Rechtsansprüchen alleine lässt sich eine solche Krise nicht bewältigen. Es braucht ein solidarisches Zusammenwirken. Jeder muss im Rahmen seiner Möglichkeiten einen Beitrag leisten.