«Erst beim Lesen wurde mir klar, wie viel ich verdränge»
30.04.2020 Region, SportSebastian Wirz
Frau Hafner, vor der Veröffentlichung von «Vorbild und Vorurteil» war Ihre sexuelle Orientierung in der Öffentlichkeit nicht bekannt. Wie wurden Sie überhaupt für die Mitarbeit am Buch angefragt?
Sabina Hafner: Ich kenne Jeannine ...
Sebastian Wirz
Frau Hafner, vor der Veröffentlichung von «Vorbild und Vorurteil» war Ihre sexuelle Orientierung in der Öffentlichkeit nicht bekannt. Wie wurden Sie überhaupt für die Mitarbeit am Buch angefragt?
Sabina Hafner: Ich kenne Jeannine Borer, die den Text aus meiner Sicht geschrieben hat, schon aus jugendlichen Leichtathletik-Tagen. Sie wusste wohl von mir und meiner Partnerin und hat mich angerufen. Am Telefon hat sie aber ganz offensichtlich rumgedruckst und traute sich nicht, zur Sache zu kommen. Sie wollte mir wohl nichts unterstellen und wusste nicht mit Sicherheit, wie ich zu Homosexualität stehe. Ich habe dann den Satz für sie beendet – und dann wurde das Telefonat recht lustig und locker.
Sie gaben für den Text sehr viel Persönliches preis, nicht zuletzt Ihre sexuelle Orientierung und die Geschichte Ihrer Beziehung. Fiel es Ihnen leicht, der Autorin diesen Einblick zu gewähren?
Ich hätte gerne so ein Buch gehabt, als ich noch jünger war. Wenn jemand mit so einer tollen Idee kommt, dann muss man einfach mitmachen. Das war mir sofort klar. Für mich geht es nur am Rand darum, dass es sich um lesbische Athletinnen handelt. Es erzählen 28 Spitzensportlerinnen aus ihrem Leben, richtige Geschichten, die das Leben tatsächlich geschrieben hat. Keine Geschichten von Prinzessinnen und Prinzen. Ich finde, das Buch ist der Hammer, auch wenn ich sonst nicht viel lese. Nun sagen alle, wir seien mutig, dass wir unsere Geschichte erzählen. Ich sage: Es ist eine Ehre, dass ich meine Geschichte erzählen darf.
Sie haben in Ihrer Aktivzeit nicht öffentlich gemacht, dass Sie lesbisch sind. Nicht zuletzt aus Angst, Sponsoren zu verlieren und Probleme mit dem Verband zu haben, da es sich bei Ihrer Partnerin auch um Ihre damalige Mitfahrerin handelte. War Ihr sportliches Umfeld wirklich so steif?
Ich bin mir sicher, dass mir meine Sponsoren treu geblieben wären. Aber ich wollte sie gar nicht in die Situation bringen, dass sie hätten Kunden verlieren können. Es gab und gibt schliesslich viele Menschen, die Mühe haben mit der Homosexualität. Zudem war ich ganz einfach der Meinung, dass es niemanden etwas angeht. Die Rückmeldung von ehemaligen Funktionären im Verband auf das Buch fand ich spannend. Einer schrieb mir, er sei also nicht so konservativ gewesen. Ein anderer fand es spannend, die Situation rund um die Nichtselektion meiner Partnerin vor Olympia in Turin mal aus meiner Sicht zu lesen. Ich mache dem Verband keinen Vorwurf. Der Text zeigt einfach meine subjektive Wahrnehmung der Situation – ich denke, jeder Sportler ist mit der Selektion seines Verbands unzufrieden, wenn sie sich nicht mit der eigenen Erwartung deckt.
Sie geben Einblick in die Gefühlswelt einer Spitzensportlerin. Es geht nicht primär um Ihr Outing. Sie erzählen im Buch von Rückschlägen in Ihrer Karriere, von Hindernissen und Kämpfen.
Ich habe selber gestaunt, als ich den Text zum ersten Mal gelesen habe. Wir Sportler sind es uns gewohnt, positiv zu denken, nach vorne zu blicken. Wenn ich nun diesen Text lese, sind schon sehr viele schwierige Situationen und negative Erlebnisse darin zu finden. Erst beim Lesen wurde mir klar, wie viel ich davon verdränge. Ich habe meine Bobkarriere genossen, aber ja, es gab schwierige Zeiten. Wir müssen aber auch ehrlich sein: Keine Sportlerkarriere verläuft linear. Da bin ich keine Ausnahme.