Panzersperren werden zu Oasen der Natur
31.03.2020 BaselbietOtto Graf
Vor 80 Jahren erstellten Soldaten im Zuge der Grenzsicherung auch in der Nordwestschweiz zahllose Feldbefestigungen und Bunkerlinien. Bis weit in den Kalten Krieg hinein warnten Schilder, es sei verboten, diese Anlagen zu fotografieren. Der Kalte Krieg ist ...
Otto Graf
Vor 80 Jahren erstellten Soldaten im Zuge der Grenzsicherung auch in der Nordwestschweiz zahllose Feldbefestigungen und Bunkerlinien. Bis weit in den Kalten Krieg hinein warnten Schilder, es sei verboten, diese Anlagen zu fotografieren. Der Kalte Krieg ist Geschichte. Vieles wurde abgebrochen. Aber zahllose Geländeverstärkungen ziehen sich namentlich in ländlichen Gegenden bis heute durch die Landschaft.
Besonders markante Kampfbauten werden von der Infanterie-Stiftung Baselland, von der Infanterie-Vereinigung Baselland sowie von weiteren Organisationen und Privaten als Zeitzeugen der damaligen Bedrohungslage gepflegt und der Nachwelt erhalten. Ein grosser Teil der Anlagen liegt brach – ein Glücksfall für die Natur und die Naturschutzvereine. So hat der Nuvra, der Natur- und Vogelschutzverein Rothenfluh-Anwil, bereits im Jahr 2011 von «Armasuisse», dem Kompetenzzentrum des Bundes, das auch für die Liegenschaften zuständig ist, einige Parzellen mit ehemaligen Infanteriebunkern und Panzersperren in Rothenfluh erworben.
Während die Bunker zu «Residenzen» für die Fledermäuse umgerüstet worden sind, dienen die einstigen Sperrlinien aus Beton und Stacheldraht heute vielen Kleinsäugern, Reptilien, Vögeln, Insekten und Pflanzen als Lebensraum.
Verein in der Pionierrolle
«Wir waren wohl die Ersten in der Region, die sich für das konsequente Umnutzen der früheren militärischen Objekte zugunsten der Natur eingesetzt haben», sagt Nuvra-Präsident Bruno Erny. Dass für das Fördern der Artenvielfalt im Landwirtschaftsgebiet mit vergleichsweise geringem Aufwand viel zu erreichen ist, haben auch Pro Natura Baselland und Solothurn erkannt. «Wir sind dem Nuvra für seine Pionierrolle dankbar», würdigt Urs Chrétien, bis 2018 Geschäftsführer von Pro Natura Baselland, die Aktivitäten in Rothenfluh.
Vergangenes Jahr haben die beiden Organisationen das sich über zehn Jahre erstreckende Projekt «Hase & Co» mit dem Zweck lanciert, in enger Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft die Kulturlandschaft ökologisch aufzuwerten. Neben dem Baselbiet umfasst das Aktionsgebiet die Solothurner Bezirke Dorneck, Thierstein und Thal. Dabei geht es hauptsächlich um das Sichern und Fördern von ökologisch wertvollen Grenzertragsflächen, die sich nur mit grossem Aufwand bewirtschaften lassen und deshalb oft gar nicht mehr genutzt werden. Folge dieser Entwicklung: Die produktiven und ertragreichen Flächen werden intensiver genutzt, während die übrigen Flächen vernachlässigt werden. Sie verarmen ökologisch und verwalden zusehends.
Der Blick auf die Statistik unterstreicht die Bedeutung der Aktion.Von 2005 bis 2017 nahm die Fläche der Naturwiesen im Baselbiet um 554 Hektaren ab. Gleichzeitig legte der Privatwald um 389 Hektaren zu. Der Wald überzieht, begünstigt durch den Kostendruck und den Personalmangel in der Landwirtschaft, immer mehr die ertragsarmen extensiven Wiesen und Weiden. Deshalb ist die Natur- und Landschaftspflege als akzeptierter und geachteter Betriebszweig der Landwirtschaftsbetriebe zu verstehen.
Die Naturschutzorganisationen sind personell und materiell nicht in der Lage, die Pflegemassnahmen, auch das Unterhalten von Hecken, in eigener Regie sicherzustellen. Denn Pro Natura hat kürzlich in Hemmiken, Langenbruck, Läufelfingen und Ormalingen von «Armasuisse» für rund 6000 Franken zahlreiche nur wenige Meter breite Parzellen mit den einstigen Panzersperren erworben, mit dem Ziel, die bestehende ökologische Vernetzung zu sichern und sie mit der Pflanzung von weiteren Hecken in Zusammenarbeit mit den benachbarten Landwirten noch zu verbessern.
Direktzahlungen reichen nicht
«Wir wollen etwas machen, das der Landwirtschaft und der Natur dient», hebt Chrétien hervor. Inzwischen habe man mit mehreren Bäuerinnen und Bauern entsprechende Pachtverträge abschliessen können, wie die ertragsarmen Flächen zu nutzen sind. Damit sich der Aufwand für den Landwirt lohnt, hat Pro Natura eine ganze Palette an Aktivitäten aufgegleist, wie der Website www.pronatura-bl.ch entnommen werden kann. Neben dem Vermitteln von Maschinen und Weidetieren bietet die Organisation unter anderem Kurse an und vermittelt über einen Pool temporäre Arbeitskräfte zum Bearbeiten unrentabler Restflächen.
Wohl versuchen Bund und Kanton mittels Direktzahlungen an die Landwirte und Landwirtinnen, die Pflege der oft steilen Flächen sicherzustellen. Finanzielle Unterstützung genügt aber nicht, es braucht auch technische Hilfe.
Pro Natura vermittelt zusammen mit dem Ebenrain-Zentrum über die Website www.hang-bl.ch moderne Hangmäher für den überbetrieblichen Einsatz, mit denen sich die steilsten Wiesen schonend und effizient bewirtschaften lassen. In verbuschten Flächen, in denen der Mäher nichts mehr ausrichten kann, empfiehlt Pro Natura den Einsatz von Ziegen oder robuster Rinderrassen.
Urs Chrétien spricht beim Projekt «Hase & Co» von einem rollenden Prozess, der laufend den aktuellen Begebenheiten angepasst werde und bei den Betrieben auf offene Ohren stosse. Er erwähnt insbesondere die «Baselbieter Wiesenmeisterschaft 2020» mit der gemeinsamen Trägerschaft Bauernverband beider Basel, Baselland Tourismus und Pro Natura Baselland. Dieser Anlass ist für die Teilnehmenden kostenlos und wird mit einem Preisgeld honoriert.
Er wird in Zusammenarbeit mit dem Ebenrain-Zentrum für Landwirtschaft, Natur und Ernährung durchgeführt und vom Swisslos-Fonds Baselland und der Fondation Sur-la-Croix finanziell unterstützt. Chrétien schätzt, dass bis zum Auslaufen des Projekts «Hase & Co» rund 3 Millionen Franken in die Natur investiert sein dürften.