«Materie ist ersetzbar – Menschenleben nicht»
31.03.2020 BaselbietChristian Horisberger
Während eines Kriegs bestünde Bedarf an Hotelzimmern, ein Erdbeben würde nicht gleich all Ihre Betriebe treffen: Herr Suhner, ist eine Pandemie für einen Hotelier das schlimmste Szenario überhaupt?
Felix Suhner: Es ist eine ...
Christian Horisberger
Während eines Kriegs bestünde Bedarf an Hotelzimmern, ein Erdbeben würde nicht gleich all Ihre Betriebe treffen: Herr Suhner, ist eine Pandemie für einen Hotelier das schlimmste Szenario überhaupt?
Felix Suhner: Es ist eine Situation, die wir uns bis vor einem halben Jahr nicht vorstellen konnten. Ich bin seit langer Zeit in der Hotellerie und Gastronomie tätig und habe so etwas noch nie erlebt. Aber – und das sage ich aus tiefstem Herzen – für mich ist die Gesundheit unserer Mitarbeitenden und deren Familien das Wichtigste. Ich erinnere mich an einen Brandfall im Hotel Seerose in Meisterschwanden vor 20 Jahren. Der Sachschaden war erheblich, aber meine grösste Sorge galt einem Gast, der eine Rauchgasvergiftung erlitten hatte. Glücklicherweise erholte er sich rasch. Der wirtschaftlichen Schaden ist in so einem Fall zweitrangig. Materie ist ersetzbar. Ein Menschenleben nicht. Aber ja: Wir haben riesige Umsatzeinbussen, wir müssen schauen, dass wir irgendwie über die Runden kommen und das Beste daraus machen.
Haben Sie keine Existenzängste?
Das habe ich nicht gesagt. Wirtschaftlich gesehen muss man halt wieder aufstehen. Unternehmertum ist Risiko. Unternehmertum braucht Mut. Die Situation ist brutal, und wir müssen nun bestmöglich damit umgehen. Beruhigend ist, dass Bund und Kantone so rasch gehandelt haben und dass die Kurzarbeit zügig anerkannt worden ist. Ich habe noch nie Kurzarbeit beantragt, seit ich unternehmerisch tätig bin, auch nicht während der Euro-Krise. Jetzt haben wir das nötig. Mit dieser Unterstützung können die Betriebe in der Branche, die einigermassen gut dastehen, im Normalfall überleben.
Trifft das auch für Sie zu?
Ich würde sagen ja. Gefährlich kann es für Unternehmen werden, die in einer Expansionsphase stecken und sich etwa für Neu- oder Umbauten stark verschulden. Wir haben das Glück, dass grosse Erweiterungsbauten einige Jahre hinter uns liegen. Wir haben vor sechs Jahren stark in die «Seerose», unser grösstes Hotel, investiert und rasch und viel amortisiert, was einer unserer Grundsätze ist. Dadurch stehen wir auf gesunden Füssen. Andererseits verfügen wir über ausreichend liquide Mittel, um die kommenden zwei, drei Monate sicher überbrücken zu können. Das trägt auch zur Beruhigung bei.
Ins Bad Ramsach hat Ihre Gruppe in den vergangenen Jahren ebenfalls investiert, es neu positioniert: Genuss und Kur. Was bedeutet die Zwangspause für das Hotel?
Wir haben in den vergangenen Jahren beträchtliche Summen in das Bad Ramsach gesteckt: Das ganze Erdgeschoss wurde neu gemacht, die Fassade erneuert; die Lüftungsanlage und die Küche sind auf dem neuesten Stand und auch in der Umgebung haben wir viel verändert. Wir sind jetzt auf Umsatz angewiesen, um die Investitionen zu amortisieren, damit der Betrieb selbsttragend wird.
Hier sieht es im Moment aber düster aus.
Wäre das Bad Ramsach in der aktuellen Situation nicht Teil unserer Gruppe, die es nun stützen kann, müsste es vermutlich schliessen. Als eigenständiger Betrieb hätte es das Hotel auf dem falschen Fuss erwischt.
Welche Sanierungsschritte stehen noch an?
Mit den bisher ausgeführten Arbeiten sind wir im Jetzt angekommen. Wir haben dem Hotel ein attraktives Gesicht gegeben, mit dem wir die Gäste begeistern können. Nun kommt es auf den Geschäftsgang an. Sobald das Ramsach in den schwarzen Zahlen ist, gehen wir die nächsten Etappen an: die Renovation des gesamten Bad- und Wellnessbereichs und ein Facelifting der Hotelzimmer. Längerfristig sind eine Vergrösserung des Wellnessbereichs sowie die Neugestaltung weiterer Hotelzimmer vorgesehen. Wir haben im Ramsach mit seinem riesigen Umschwung ein enormes Potenzial, das auch in 20 Jahren noch nicht ausgeschöpft sein wird.
Das Bad Ramsach ist eines von fünf Hotels Ihrer Gruppe, hinzu kommen die «Mürset-Restaurants» in Aarau. Wie viele Mitarbeitende hat die Balance-Gruppe? Für wie viele von ihnen haben Sie Kurzarbeit beantragt?
Wir haben 230 Vollzeitstellen und einen sehr grossen Anteil Aushilfen. Insgesamt sind es gegen 500 Mitarbeitende. Für die meisten Festangestellten haben wir Kurzarbeit angemeldet. Davon ausgenommen sind unsere Hoteliers und Gastgeber sowie die Mitarbeitenden in einem gekündigten Arbeitsverhältnis und die Lernenden. Diese gewährleisten den Notbetrieb unserer Häuser und deren Löhne gehen voll auf unsere eigene Rechnung.
Auf den Notbetrieb mussten Sie Knall auf Fall umstellen. An einem Sonntag verfügte die Baselbieter Regierung die Schliessung der Hotels und Restaurants. Wie erlebten sie den Shutdown?
Das Bad Bubendorf und das Bad Ramsach erfuhren am Sonntagnachmittag um 16 Uhr, dass sie am Montagmorgen um 6 Uhr schliessen müssen. Das war schon ein Schock. Die Situation warf diverse Fragen auf: Dürfen wir die Hotelgäste, die einchecken wollen, überhaupt bei uns übernachten lassen? Müssen wir sie früh am Morgen aufwecken und rauswerfen? Oder können wir den Checkout regulär am Morgen vollziehen?
Haben Sie Gäste tatsächlich aus dem Bett geklingelt und um 6 Uhr auf die Strasse gestellt?
Nein, das nicht. Wir haben die Gäste am Sonntagabend informiert, dass sie am Montag abreisen müssen. Viele waren es nicht mehr, da es von Sonntag auf Montag ohnehin generell eher weniger Gäste hat und schon vorher viele Geschäftskunden und Seminarveranstalter ihre Buchungen storniert hatten.
Die Hotels müssen auf vielen Lebensmitteln sitzen geblieben sein.
Die Schliessung galt zunächst nur für den Kanton Baselland. Roland Tischhauser, Verwaltungsrat der Balance-Gruppe und langjähriger Gastgeber im Bad Bubendorf, hat die Ware der beiden Baselbieter Betriebe noch am Sonntagabend eingepackt und in andere Hotels unserer Gruppe ausserhalb des Baselbiets gebracht. Allerdings machte der Bundesrat am Montagnachmittag bekannt, dass auch die anderen Betriebe faktisch geschlossen werden müssen. Deshalb mussten wir trotzdem Ware wegwerfen.
Sie sagen «faktisch geschlossen». Was meinen Sie damit?
Die Situation ist etwas speziell: Es ist eigentlich nicht verboten, ein Hotel offen zu halten. In der Praxis ist das jedoch nicht möglich: Der Tourismus und die Geschäftstätigkeit sind zusammengebrochen, zudem wäre es völlig unrealistisch, in einem Hotelbetrieb die vorgeschriebenen Abstandsregeln einzuhalten. Ausserdem: Gäste des Bad Ramsach oder der «Seerose» am Hallwilersee, ein Vier-Sterne-Haus mit Wellness und Gastronomie, möchten sich verwöhnen lassen. Wellness und Gastronomie wurden aber verboten. Wir hätten den Gästen nicht mehr die von uns erwartete Dienstleistung anbieten können. Das wäre auch für die Gäste kein Zustand: 95 bis 98 Prozent der Buchungen sind storniert worden.
Das bedeutet, dass seit dem 17. März all Ihre Hotels und Restaurants geschlossen sind?
Ja, mit Ausnahme des Bad Bubendorf, das einen kleinen Notbetrieb hat. Es beherbergt Ärzte und Pflegepersonal, die in der Umgebung tätig sind. Zudem betreiben wir eine Kantine für Mitarbeitende einer Bank. Das läuft nicht mehr unter Hoteldienstleistung, sondern unter Notunterbringung zur Krisenbewältigung.
Wer behält den Betrieb in Bubendorf aufrecht?
Im Einsatz stehen hauptsächlich Mitarbeitende in gekündigtem Arbeitsverhältnis – für die gibt es keine Kurzarbeitsentschädigung – sowie Praktikanten und Lernende.
Als der Bundesrat ein Machtwort gesprochen hatte, was war zu tun?
Einen Vollstopp reissen, die Fäden in die Hand nehmen, wie es auch der Bundesrat getan hat: Ich habe die Richtlinien umgehend an alle Führungsteams weitergegeben – sofortiger Einstellungsstopp, sofortiger Einkaufsstopp – und definiert, welche Mitarbeiter auf Kurzarbeit gesetzt werden. Die Betriebe mussten heruntergefahren werden.
Sind Ihre Hotels nun vollständig ausgestorben oder werden Unterhaltsarbeiten erledigt, Gärten gepflegt?
Wir haben alles auf Notbetrieb gesetzt. Wenn im Garten etwas gemacht werden muss, wird der Gärtner punktuell eingesetzt, ansonsten ist er auf Kurzarbeit. Voll gearbeitet wird in der Mitarbeiteradministration, die sehr stark gefordert ist. Die Gastgeber vor Ort organisieren den Notbetrieb mit dem verbliebenen Personal. Für Rezeption, Anlässe und Verwaltung haben wir einen Telefondienst. Wir haben aber auf die üblichen Bürozeiten umgestellt.
Raphael Wyniger vom «Teufelhof» Basel, der ein Jahr vor Ihnen Schweizer Hotelier des Jahres wurde, schreibt in einem Brief an seine Gäste, Corona habe ihn «mit Wucht und schmerzlich getroffen». Er bietet ihnen eine Guthabenkarte an, um Liquidität zu beschaffen. Beziehen Sie Ihre Gäste ebenfalls in die Krisenbewältigung ein?
Ich könnte mir vorstellen, dass für ihn der Shutdown nach einer grossen Expansionsphase im vergangenen Jahr besonders ungelegen kommt und seine Liquidität stark strapaziert ist. Ich finde, dieser Aufruf ist ein guter Schritt von ihm. Es passt zu seiner Kultur einer ausgeprägten Bindung zu den Gästen. So eine Aktion ist für uns aktuell kein Thema. Wir können mit der Liquidität noch leben. Wir machen uns aber schon Gedanken darüber, wie wir unsere Gäste einbinden, indem wir ihnen aufzeigen, in welcher Situation wir uns befinden und wie wir sie meistern. Konkretes liegt noch nicht vor. In den ersten Tagen waren wir voll und ganz mit der Notbremse beschäftigt.
Sollte sich die Pandemie über eine längere Zeit hinziehen und Sie wären gezwungen, Betriebe zu schliessen: Wogegen würden sie sich eher entscheiden? Gegen Hotels oder Restaurants?
In der Gastronomie wird seit 20 Jahren von einer Strukturbereinigung gesprochen, passiert ist beinahe das Gegenteil. Im Durchschnitt machen alle Schweizer Gastrobetriebe 2,5 Prozent Verlust, wenn man die Eigenkapitalverzinsung und den Unternehmerlohn einrechnet. In der Hotellerie hat hingegen ein Strukturwandel stattgefunden, hin zu weniger, aber grösseren Betrieben. Hotels mit einer gewissen Grösse erzielen eine höhere Wertschöpfung als Restaurants. Auch diese brauchen eine gewisse Grösse, damit man sie einigermassen erfolgreich betreiben kann. Unsere «Mürset Restaurants» in Aarau mit rund 20 Mitarbeitenden sind dafür gerade gross genug.
Können Sie der aktuellen Situation auch etwas Gutes abgewinnen?
Es kann nicht immer nur aufwärts und aufwärts gehen. Irgendwann braucht es einen Einschnitt, eine Lektion. Vielleicht trägt die Notsituation dazu bei, dass die Menschen auf den Boden geholt werden und sich auf die wesentlichen Werte zurückbesinnen. Wir setzen uns in der Balance-Familie damit schon lange auseinander. Balance bedeutet für uns die Ausgeglichenheit von materiell und immateriell, von Körper und Seele. Wir werden das auch in der jetzigen Situation leben. Es steht den Menschen nun gut an, ein wenig Demut zu zeigen.