Kirchenbücher, wie Krimis zu lesen
13.02.2020 Baselbiet, ZiefenDie Kirchenbücher von Ziefen sind die ältesten des Kantons Baselland. Seit Kurzem sind sie wie jene der übrigen Gemeinden digital für alle Interessierten öffentlich zugänglich. Rémy Suter hat sich bereits in Kirchenregister vertieft.
Elmar ...
Die Kirchenbücher von Ziefen sind die ältesten des Kantons Baselland. Seit Kurzem sind sie wie jene der übrigen Gemeinden digital für alle Interessierten öffentlich zugänglich. Rémy Suter hat sich bereits in Kirchenregister vertieft.
Elmar Gächter
Kirchenbücher? Eine total trockene Angelegenheit. Wer interessiert sich schon für diese Register mit ihren amtlichen Eintragungen über Taufen, Hochzeiten oder Todesfälle. Doch weit gefehlt. Wer sich wie Lokalhistoriker Rémy Suter vertieft mit diesen Werken auseinandersetzt, kommt zu einem anderen Schluss: Sie ermöglichen interessante, spannende und auch intime Einblicke in das Leben in unseren Dörfern, und dies zurück bis zur Zeit der Reformation.
Denn seit rund 500 Jahren führen die Pfarrpersonen jene meist dicken Schmöker, jeder geprägt von einer Handschrift so individuell wie seine Schreiber, mal in schönster Druckschrift, mal in jener, die eher der auf einem Arztrezept gleicht. Und das ganz Besondere: Jedem Verfasser stand es frei, seine Eintragungen mit Geschichten zu ergänzen.
Bis 1876 das eidgenössische Zivilstandswesen aus der Taufe gehoben wurde, war der Pfarrer Zivilstandsbeamter, ja er zog in gewissen Gemeinden sogar den Zehnten ein. «Er war praktisch der verlängerte Arm des Rathauses von Basel und eine hochgestellte Person», erklärt Rémy Suter. Die Kirchenbücher waren bis zum 17. Jahrhundert in einer Kanzleischrift, danach in deutscher Kurrentschrift geschrieben. Sie zu lesen, erfordert spezielle Kenntnisse. Heute sind diese Register aus allen reformierten Kirchgemeinden des Baselbiets digital vorhanden und online öffentlich einsehbar, die jüngsten aus Datenschutzgründen jedoch nur bis 1914. Die Bücher selber sind im Staatsarchiv Baselland angesiedelt.
Zum Schaudern und Schmunzeln
Die Reise durch die Jahrhunderte liest sich von nüchtern über erheiternd bis spannend. Rémy Suter nennt als Beispiel das Schicksal der Familie Buser-Graf aus Ziefen, das durchaus einem «Tatort»-Krimi als Vorlage hätte dienen können. Da vergiftete doch eine Anna Maria Graf aus Maisprach im Mai 1839 ihren Ehemann Heinrich Buser. Das Verdikt über die Täterin findet sich im Kirchenbuch Ziefen gleich unter dem Eintrag zum Ermordeten: «enthauptet in Liestal den 14t Mai 1840». Die «Drootzuugmüllere», wie Anna Maria Graf genannt wurde, war die letzte Person, die im Baselbiet hingerichtet wurde.
Zum Schmunzeln regt die Aufzeichnung von Heinrich Strübin, Pfarrer in Ziefen und Bubendorf, über eine Arboldswiler Doppelhochzeit im Januar 1600 an. Die Gesellschaften warteten in der Kirche voll Ungeduld auf das Erscheinen der zweiten Braut. «Als ich und übrige Zuhörer in grosser Kelte schier ein stundt lang uf dise 4 Personen gewarttet hatten, hies ich zusammen lütten, und als gsang und die predig us war, und beÿde brüttigam und nur ein brutt vors hl. tisch stundt, fragt ich den sigristen Hans Spiess, wo die ander brutt wäre, sagt er, sÿ sig nit phanden, ich und alle in der Kilchen erschrecken, und sag ich: ‹Gang Sigrist usen, lueg wo sÿ sÿg›, er gadt, kumpt wider und sagt, die brutt käme nicht, ursachen, man hab sÿ irem Vatter nit usen geheischen (1). Hierauf gipts in der Kilchen ein mucken, und bÿ etlichen ein gelächter. Des brütigams vatter ist angst, sagt er wölle sehen ob sÿ wöll kommen, ich segne die eine ehe inen und nach dem gsang spatzier ich schier ein viertell stundt im kor (2), gang zu letzt usen, und als ich gar nienen die andre brutt kann sehen, gang ich rächt uf Buebendorf zu, in dem kömpt des brütigams vatter laufen und s dorf aben, fast uf die grose matten (3), halt bÿ mir an und bitt, ich soll wider in die Kilchen ufen, er habe potten nach der brutt usgesendt, ich gang rächt mit im, und wartt aber zimlich lang, ehe sÿ kam, und heis den sigrist noch ein mall zusammen lütten, domit frömbde und heimsche us den warmen stuben wider in die kilchen kummen.
Die nächsten fründt bliben in der kilchen. Ich sägnen sÿ in, und sing nit, und sprich dem brütigam zu, er söll sich nit entgälten lassen. Als wir ins dorf aben kamen, schlugs 11 Uhr, also wärtts 3 stundt lang, in grosser grimmer Kelte. Und gab ein gross gelächter. aber der brutt vatter kam wägen Zorns (weil man sin dochter nit hatt usen geheischen) weder in die kilchen, noch zu imbismall. Und vergieng also dise Hochzitt bim grössten Haufen mit gelächter, bim gefründten aber uf brütigams sÿtten, mit heimlichem Zorn. Gott verlich Inen endlich allen sin Heiligen Geist, durch Jesum Christum, Amen.»
Auch heute noch sind die Kirchgemeinden verpflichtet, Kirchenbücher über Taufen, Hochzeiten und Todesfälle zu führen, inzwischen mit dem Konfirmandenregister ergänzt. Aber im Gegensatz zu früher bieten sie heute keinen Platz mehr für Geschichten, die so wirklichkeitsnah über das Leben und den Tod von Dorfbewohnern berichten. Eigentlich schade.
Die Kirchenbücher können über folgenden Link abgerufen werden: https://www. baselland.ch/politik-und-behorden/ besondere-behorden/staatsarchiv/ archivbestande/Kirchenbuecher