Der «Gurlifiengger» – bunt und bös seit einem Vierteljahrhundert
28.02.2020 Baselbiet, FasnachtSeit einem Vierteljahrhundert kommt der «Gurlifiengger», die Fasnachtszeitung der «Volksstimme», so zuverlässig wie der Schnee im Winter. Oder noch viel zuverlässiger. Eine Festschrift.
Von Sapperlott
«Bunt und böse.» Mit diesem Titel kündigt die ...
Seit einem Vierteljahrhundert kommt der «Gurlifiengger», die Fasnachtszeitung der «Volksstimme», so zuverlässig wie der Schnee im Winter. Oder noch viel zuverlässiger. Eine Festschrift.
Von Sapperlott
«Bunt und böse.» Mit diesem Titel kündigt die «Volksstimme» auf ihrer Titelseite vom 23. Februar 1996 ihr neues Produkt an. Da lesen wir: «Pünklich zur Fasnacht erscheint mit der heutigen ‹Volksstimme› auch die erste Ausgabe der jährlich erscheinenden Fasnachtszeitung ‹der Gurlifiengger›.» Worum es geht, steht da ebenfalls: «Das neue Druckerzeugnis ist politisch unabhängig und nimmt kein Blatt vor den Mund.» Aha. Das passt zum Zeitungstitel: «Gurli» bedeutet in der Mundart Gurgel, «fiengge» heisst fegen oder putzen. Der «Gurlifiengger» ist also einer, der jemandem gehörig die Meinung sagt. Dieses Substantiv hat es zugegebenermassen auch in früheren Zeiten nie geben. Die Wortschöpfung zeigt, wie übermütig die damalige Redaktion zu Werke gegangen ist.
Damals, anno 1996, war dieses Versprechen zur Herausgabe einer Fasnachtszeitung noch kein High-Risk-Vorhaben. Denn es gab noch recht viel Inserate (zwei ganze Seiten für die Erstausgabe), die solch publizistische Experimente beförderten. Und das Internet und Social Media waren auch noch nicht omnipräsent.
Und doch: Der einst so farbenfrohe Fasnachts-Blätterwald war schon damals markant dünner als Jahrzehnte zuvor. Tatsache: Allein in der Stadt Basel gab es in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts noch gut ein Dutzend fasnächtliche Titel, wie etwa «D’Schnuure», «Basler Lälli», «S’Gülle-Fass», «Schorsch-Gaggo», «Dr Löli», «Dr Gluggsi», «Dr Gaifer-Lälli» oder «Dr Dilldapp». Verdrängt wurden sie unter anderem von Lokalradio, TV und vor allem durch die Zeedel.
Reiche Fasnachtszeitungskultur
Dass sich damals im ausgehenden Jahrtausend ausgerechnet in Sissach und Umgebung eine reichhaltige Fasnachtszeitungskultur etablierte, mag auf den ersten Blick erstaunen. Immerhin gab es damals neben dem Urgestein «Dr Glöggeliwagä» (seit 1938 und älter als die Fasnachtsgesellschaft Sissach) und dem in Gelterkinden hergestellten «Dr Batze-Chlemmer» noch bis Mitte der 1990er-Jahre das «Büchel-Grätsch» aus dem Bücheldorf Zunzgen.
Und jetzt also, zum ersten Mal am Freitag, 23. Februar 1996, der «Gurlifiengger». Das heutige 25-Jahre-Jubiläum rechtfertigt es, das fasnächtliche «Altpapier» in Form der bereits erschienenen Ausgaben nochmals zur Hand zu nehmen und etwas genauer anzuschauen. Zu dieser kleinen Zeitreise möchten wir Sie nun einladen. In Zahlen bedeutet das: Ohne die heutige Nummer sind es total 216 bunte und böse Zeitungsseiten.
5-Punkte-Rezeptur
Schon 1996 – bei der Erstausgabe – kamen jene fünf Hauptingredienzien zur Anwendung, die fortan in jedem «Gurlifiengger» mehr oder minder eine Rolle spielen sollten:
1. Das Nennen von Namen (neudeutsch «namedropping») in Verbindung mit Ereignissen (stattgefunden oder gut erfunden). Meistens sind diese Namen verklausuliert, aber mit etwas Fantasie noch immer lokaler Prominenz, Originalen und Schlagzeilenlieferanten zuordbar. Wir stellen fest: Das Zeitgeschehen ist immer an bekannt-berühmt-berüchtigten Köpfen aufgemacht.
2. Wahlen und Beizen als Themen sind immer interessant und wichtig. 3. Das Karikieren (entweder mit gezeichneten Karikaturen oder mit mehr oder weniger unvorteilhaften Fotos) eignet sich zur Visualisierung.
4. Und, ganz wichtig: die Nähe! Schliesslich sollten die Leserinnen und Leser möglichst auf Anhieb erkennen, wer, was und weshalb da durch den Kakao gezogen wird.
5. Der Wiedererkennungswert. Dazu gehören auch der Sport und die Zunzger.
Die erste Nummer setzt diesbezüglich Massstäbe. So finden wir auf der Titelseite den «Brief aus der Heimat». Hier schreibt ein gewisser Traugott dem Vreneli vom Guggisberg, was im Verlauf des abgelaufenen Jahrs alles so passiert ist im Oberbaselbiet und der Welt. Diesen Brief aus der Heimat wird es bis zur Ausgabe 2008 alljährlich geben (siehe Punkt 4), bis er 2009 einem Relaunch zum Opfer fällt.
Traugott schreibt seiner Freundin 1996 zum Beispiel, dass der Joscheli als Sissacher Gemeinderat vom Wahlvolk abgewählt worden ist. Wir stellen fest: Wahlen – auf Gemeinde- und Kantonsebene insbesondere – sind immer «Gurli»-würdig.Auf der fraglichen Titelseite sehen wir viele Köpfe abgebildet, die zur damaligen Zeit zu reden und zu lästern gaben: Gemeinderäte, Ortspolizisten, Mundartautorinnen, Dorforiginale und dergleichen (Punkt 1). Noch etwas ist interessant aus heutiger Sicht: Glaubt man dem Chronisten, gab es damals allein in Sissach noch den Bölchen-, den Linden-, den Sonnen-, den Stöppli- und den Verdi-Stammtisch.
Wegweisendes Gesellschaftsspiel
Es ist ein Vergnügen, in der Erstausgabe des «Gurlifienggers» zu schneuggen. Da vernehmen wir zum Beispiel in der «Chrgl-Saga» Wissenswertes um den damalig hoch angesehenen Titterter Politiker Christian Miesch. Und – siehe Punkt 5: der «Gurli» bringt auf Seite «Schall und Rauch» ein seitenfüllendes Spiel: Unter dem Titel «Der kleine Verkehrsplaner» kann man als Mitspieler am Beispiel der Gemeinde Sissach «lernen, natürliche und technische Verkehrshindernisse auf sinnvolle Weise einzusetzen». In der Einführung heisst es: Besonders lustig sei es, das «pädagogisch wertvolle» Gesellschaftsspiel mit Leuten aus verschiedenen Parteien zu spielen. Übrigens: Gewonnen hat jener Spieler, der es mit dem geringsten Aufwand an Verkehrshindernissen schafft, das grösste Chaos zu verursachen.
Es sei an dieser Stelle verraten: Dieses buchstäblich wegweisende Spiel zum aktiven «Mitgestalten statt Verwalten» wird auch in den nächsten Ausgaben des «Gurli» so oder ähnlich angeboten. Zum Beispiel: «Der ultimative kleine Verkehrsplaner» (1998), «Wir basteln ein Gemeindezentrum» (1999), «Der kleine Strichcodeplaner» (2002), «Wie werde ich Regierungsrat?» (2003) oder «Ich werde Music-Star!» (2004).
Der «Gurli»-Schnelldurchlauf
Ohne nun alle 24 bisherigen Ausgaben im Detail zu sezieren, präsentieren wir hier im Schnelldurchgang die Highlights der letzten Jahre. Okay?
1997 Zum ersten Mal fallen die Karikaturen auf der Titelseite auf. Zunächst zaghaft, dann immer dominanter verdrängen diese bitterbösen Zeichnungen die Fotos. Die meisten Werke stammen vom Zeichner Jacques «Tschägg» Mader aus Zeglingen – bis heute.
1998 Damals macht der «Bär von Tecknau» Schlagzeilen und vor allem, dass sich später herausstellt, dass ein Oltinger Jäger der Öffentlichkeit damit nur einen Bären hat aufbinden wollen. In diesem Jahr erfährt eine weitere Tradition ihren Anfang: Die «Gurli»-Redaktion verulkt lokale Promis, indem sie ihre Köpfe in ein Bild einkopiert. So müssen unter anderem Astrid Van der Haegen als «Poison Blondy», Hanni Haidvogel als «Spicy Haidy» und Maya Graf, alias Maya G., als Mitglieder der Girlgroup «Politi Gritty» (in Anlehnung an die «Spice Girls») herhalten.
1999 Diese Ausgabe ist Zunzgenlastig: von der Titelgeschichte über die Bastelseite («Wir basteln ein Gemeindezentrum») bis zum bitteren Ende müssen sich die Büchelbewohner so einiges bieten lassen.
2000 Uns fällt die Geschichte um den «Milleniumsbriefkasten» auf, den ein ortsansässiger Beizer und Unternehmer tatsächlich propagiert hat. Der «Gurlifiengger» rätselt, was man denn in 222 Jahren da so alles finden werde: Etwa die wahren Umstände zum Brand im «Cheval bleu» zu Zunzgen? Oder die Protokolle des Bürgerrats? Oder eine alte Brille von Petra Schmidt, seinerzeit Gemeindepräsidentin von Sissach? Oder die Fotosammlung von «Sexi Hugi», einem einstigen Dorforiginal? Auch in dieser Ausgabe finden wir wieder eine Fotomontage: Lokalprominente sind als Chippendales-Verschnitt «Magic Machos» veräppelt. Lustig.
2001 Grosses Thema ist das grössenwahnsinnig aufgezogene Festival «Uf dr Wiise», von dem vor allem Regen sowie grössere Abfall- und Schuldenberge in Erinnerung bleiben.
2002 Wieder einmal sind die Wahlen das dominierende Thema. So ist etwa die Rede vom Sprengkandidaten Ernst «Bomber» Gysin. Ebenfalls Thema: der Einbruch des Kienbergtunnels. Titel im «Gurli»: «Plötzliche Erscheinung in Sissach: Januarloch im Februar aufgetaucht».
2003 Wieder sind Wahlen Thema. Gezeigt wird Regierungsratskandidat Isaac Reber (wahlweise Isi oder Easy genannt) als junger Pfadfinder nackt im Waschzuber. Ein Blickfang! Und selbstverständlich Tratsch und Klatsch rund um die sich wandelnde Beizenszene.
2004 Besonders gut hat uns in dieser Ausgabe mit Schwerpunkt Wahlen (Urs Wüthrich wurde Regierungsrat) ein Kreuzverhör mit Sissachs Gemeindeoberin Schnittchen Petra (Petra Schmidt) gefallen:
Frage: Was ist Ihr Coiffeur von Beruf?
Antwort: Hahaha.
Frage: Und wann macht er fertig? Antwort: Hahaha. Frage: Wir würden sonst einen guten Anwalt kennen. Antwort: Hahaha. Frage: Warum waren Sie nicht am letzten Banntag? Hahaha.
Wer nicht erwähnt wird …
Wir konstatieren nach diesen ersten bald zehn Ausgaben «Gurlifiengger»: Vorab die lokalen Politikerinnen und Politiker müssen hart im Nehmen sein. Gleichzeitig wissen sie: Schlimmer als im «Gurli» an die Kasse zu kommen ist nur eines: Nämlich wenn man sich auf den fasnächtlichen Seiten nicht mit richtigem oder verdrehtem Namen findet! Eben.
So sind wir bei unserem staubigen Job im «Gurli»-Archiv bereits im Jahr
2005 angelangt. Es ist eine Nummer, die alles irgendwie «behandelt», was offizielle oder inoffizielle Schlagzeilen gemacht hat: vom Reiter, der mit seinem Gaul nicht mehr von der Fluh herunter wollte, über die Bauarbeiten im Chienbergtunnel bis hin zum Beizentratsch. Besonders gefallen hat uns eine Liste jener Orte, wo man noch rauchen darf. Zum Beispiel auf dem eigenen WC, im Cabriolet, im «Stöppli» und an der «Chluuri»-Verbrennung.
2006 Heuer muss die FGS selber dran glauben mit ihrer «Furzidee» einer Fasnacht im Sommer.
2007 Der Umfahrungstunnel ist offen, Sissach plötzlich (fast) autofrei. Daneben bietet der Donnschtigjass in Gelterkinden Angriffsfläche und die Sissacher «Bahnhofsschyssi».
2008 Wir erschrecken über die aufgedeckten «Gurli»-Pläne für einen «Strichcode» mit Hochhäusern und die Pläne, das «Läufelfingerli» (einmal mehr) einzumotten. Zum letzten Mal schreibt Traugott seinen «Brief aus der Heimat».
2009 So neu die Gestaltung des «Gurli», so abenteuerlich ist die Farbgebung des heutigen Raiffeisenbankgebäudes in Sissach. Ins Auge sticht uns eine Story unter dem Titel «Hilfe! Die Frauen kommen!». Da ist die Rede von der «Achse des Bösen», weil fast unmerklich alle wichtigen Gemeinden in den Händen von Gemeindepräsidentinnen sind (Sissach, Zunzgen, Gelterkinden, Diegten). Und auch beim Gewerbe sei das weibliche Geschlecht auf Expansionstour, schreibt der «Gurli» und bezieht sich auf die neue Gesi-Chefin Daniela Schneeberger. Nur im Bürgerrat herrsche noch Ordnung. Und am Banntag.
Wahlkarussell, Kunsti, Metzgete
Halt! Wer soll dieses Geschreibsel über fasnächtliches Altpapier überhaupt lesen? Eben. Deshalb sei das letzte Jahrzehnt, das uns allen ja noch gut in Erinnerung ist, nur summarisch einem Fazit unterzogen worden. Es sind meistens die bekannten Köpfe und Namen. Und die Allzeitthemen Kantonsfusion, Kultur, und Kunsti, Wahlen und Metzgete.
Und ganz zum Schluss sei Ihnen ein 4-Zeiler aus der letzten Ausgabe, der einen Namen bringt, der auch immer wieder vorkommt: Dr Schneider Floh liebt s Baselbiet Und dichtet drum s erscht Chiirsi-Lied. Doch Chiirsi schetz i numme flüssig Und s Lied isch, schetz i, überflüssig.
Der «Gurlifiengger» im zweiten Bund.