30 Jahre ohne Weltbewegendes von Bobby
04.02.2020 Baselbiet, KulturIm Februar 1990 starb der legendäre «Volksstimme»-Dichterkolumnist Ulysse Falconnier
Während Jahrzehnten erfreute Ulysse Falconnier – genannt Bobby – die Leserinnen und Leser der «Volksstimme» wöchentlich mit einem Gedicht. Diesen Februar sind es 30 Jahre her, dass er starb. Wir ...
Im Februar 1990 starb der legendäre «Volksstimme»-Dichterkolumnist Ulysse Falconnier
Während Jahrzehnten erfreute Ulysse Falconnier – genannt Bobby – die Leserinnen und Leser der «Volksstimme» wöchentlich mit einem Gedicht. Diesen Februar sind es 30 Jahre her, dass er starb. Wir erinnern den ganzen Februar hindurch in jeder Ausgabe mit einem seiner Gedichte an ihn. Zum Auftakt eine Würdigung seines Schaffens.
Hansruedi Hertig
Ach, warum denn auch so wichtig! Wir sind alle sterbepflichtig. Alle, auch die obern Klassen, müssen diese Welt verlassen. Und seien wir uns doch im Klaren: Wenn wir durchs Eisentörlein fahren, hat man uns genau gemessen, schon anderntags bereits vergessen.
Dieser etwas nachdenklich stimmende Bobby-Vers beinhaltet einen kleinen Fehler: Wer, der ihn zu Lebzeiten gekannt hatte, könnte ihn und seine berühmt gewordenen Freitagsgedichte in der «Volksstimme» und seine neun, mit dem Titel «Weltbewegendes vom Bobby» versehenen Büchlein vergessen? Das gleiche gilt auch für seine herrlichen, in Tusche gezeichneten Illustrationen.
Bobbys Taufname Ulysse – französisch für Odysseus, ausgesprochen: Üliss – war für viele Deutschschweizer unverständlich und deshalb angeblich dafür verantwortlich, dass zum Beispiel bei Schiessanlässen manchmal seine Stand-Blätter verschwanden und er deshalb nicht mehr zum Schiessen kam. Das hätte sich schlagartig gebessert, nachdem er sich selber den Vornamen «Bobby» zulegte! Seine Karriere als Verseschmied begann er 1937 – gerade einmal 25-jährig. Sein möglicherweise erstes Gedicht mit dem Titel «Dr Farnsberger-Bummel vo dr Wy-Versuechskommission» vom Karsamstag 1937 begann mit dem folgenden Vers:
Hütte s’is grad vierzäh Täg
dass dur die verschidene Wäg,
e paar Rammel wägem Wy
uf e Farnsbärg ufe si.
… etcetera
Mit der Versuchskommission waren zwei Mitglieder des Stammtisches im Restaurant «Bahnhof» Gelterkinden gemeint. Dieser Stammtisch nannte sich ab 1937 «Aerdbebe-Verein» – wills allwyl öppe g’ärdbebnet het! Der Verein zählte 12 bis 14 Mitglieder, darunter auch das Wirte-Ehepaar Christen und Emma Buess. Bobby war das «korreschpondierende Mitglyd» und schrieb etliche Male das «Protokoll» in Versform.Vor den legendären «Sitzungen» gab es meistens ein üppiges Essen, das Material dazu brachten einzelne Mitglieder manchmal selbst mit – «jeh no dr Johreszyt: Gizzi, Forälle, spanischi Niere, gwilderede Rehpfäffer, Chüngel, Chatze, Metzgede ezetera».Anschliessend wurden dann ausgiebig Sprüche geklopft und dem Bacchus die Ehre erwiesen.
Letzteres einmal – wie er es selbst erzählte – so intensiv, dass Bobby von seinen Kollegen heimgebracht werden musste, die ihn dann aber, statt zu Hause, in der Scheune des Nachbars auf der gegenüberliegenden Strassenseite deponierten. Da er vorher noch nie dort war, hatte er beim Erwachen einige Orientierungsprobleme. Die Aufzeichnungen mit den dazu gehörenden Illustrationen dieser Epoche übergab Bobby im April 1978, zusammen mit einem Brief in einem Mäppli mit der Aufschrift «Rund um Christe» an Hedi Bitterling-Buess, der Tochter und Nachfolgerin als Wirtin von Christen Buess.
Schalkhaftes Denken
Bobbys Dichterarbeiten vor dem Zweiten Weltkrieg waren nur für einen kleinen, inneren Kreis bestimmt. Das änderte sich ab den späten 1940er-Jahren schlagartig – erst vereinzelt, dann aber erschienen jeden Freitag im Auftrag der «Volksstimme» auf Seite 3 seine beliebten und ungeduldig erwarteten, humorvollen Kommentare und Kritiken in Versform. Was seine Gedichte vor allem auszeichnete, war die Fähigkeit, sein schalkhaftes Denken in Reime umzusetzen und dies in Schriftsprache wie auch in Mundart. Seine Spezialität war auch, in Schriftdeutsch verfasste Verse Mundartausdrücke – und diese womöglich noch verdeutscht – einzubauen, ohne lächerlich zu wirken. Ein Beispiel: Im Herbst 1951 publizierte die Gemeinde Gelterkinden den Steuer-Rodel, was angeblich dazu führte – dies die Meinung von Bobby – dass in der Nacht nach Erscheinen der Schrift kein Mensch auf der Strasse anzutreffen war, weil alle die Angaben studierten und besprachen. Um die einsame Stille im Dorf zu dokumentieren, schrieb er im ersten Vers:
… all die vielen bunten Blätter
fallen von den Bäumen
und ein Hund bollt neumen …
Oder die Geschichte von den Vorfahren und dem Vorfahren (um 1950), in der das Schicksal eines Automobilisten beschrieben wird. In diesem Gedicht steigert er die Spannung, indem er die Silbenzahl von anfänglich 9 ab dem 4.Vers kontinuierlich auf 4 am Ende reduziert – «Orgelton» – «Kremation».
Köstlich auch seine Aufzählungen von unzähligem Inventar, zum Beispiel im stinkenden «Dorfbach» (um 1950):
… faule Aepfel ab der Hurt
rosaroter Damengurt …
Zu obigem Thema erdachte sich Bobby eine Aktion als Protest gegen das Entsorgen von unappetitlichem Unrat im Eibach. Er stellte auf den beiden Brückenköpfen beim ehemaligen Kiosk je einen Marktstand, bestückt mit Wäscheklammern, auf und montierte ein selbst gemaltes Plakat mit der «Betriebsanleitung» in Versform:
1959 landete sein Gedicht «Die Flöte im Fricktal» im Bundeshaus. In diesen Versen ging es um den schlechten Zustand der unbefestigten Naturstrasse vom Asp nach Wegenstetten:
Eine Flöte ist das noch und noch
denn es reiht sich Loch an Loch …
Eigentlich war die «Botschaft» in der «Volksstimme» an den Baudirektor des Kantons Aargau gerichtet, erreichte diesen dann aber auf dem Umweg via Aargauer Nationalräte. Wie Bobby erzählte, erhielt er von besagtem Regierungsrat ein Schreiben, worin er sich entschuldigt, dass er selbst nicht dichten kann, aber versichern könne, dass die Strasse nächstens asphaltiert werde, was dann auch bald darauf geschah.
1988 wurde Elisabeth Kopp mit nur 166 Stimmen für eine zweite Amtsperiode als Bundesrätin wiedergewählt. Das schlechte Wahlresultat ärgerte Bobby derart, dass er zum Trost von Frau Kopp in der «Volksstimme» den Freitagsvers mit dem Titel «Ein Weihnachtspäckli für Elisabeth» schrieb. Er erhielt dann ein Dankschreiben von ihr mit dem Vermerk, dass zahlreiche Baselbieter ihr dieses Päckli geschickt hätten und dass sie herausgefunden habe, wer sich hinter «Bobby» verbirgt.
500 Verse in der «Volksstimme»
Gegen 500 Geschichten und Kritiken in humorvoller Versform hat die «Volksstimme» – das letzte Mal im Dezember 1989, die meisten auch mit einem «Bildli» versehen – veröffentlicht. Darunter, zum Beispiel «Gelterkinden einst …» mit sage und schreibe 39 vierzeiligen Versen! Jeweils im Herbst entschuldigte sich Bobby bei der Leserschaft mit einem Telegramm in Versform, weil er für eine Woche bei Bärti Buess in «Maisprg» als Winzergehilfe tätig war und deshalb kein Freitagsgedicht schreiben konnte.
Auch erfreute er die Leserschaft mit seinen gezeichneten «Schlirgiwänden» mit Texten wie: «Wehret den Hunden, die überall pfunden» oder «z’Sissach freut si Gross und Chlei, as si ä Bahnhof-Abee hei».
Neben seiner Schreibtätigkeit für die Zeitung war er als Autor tätig. Für die Aufführung am Kirchenbasar der Kirchgemeinde Kirchberg-Zeglingen-Rünenberg im August 1968 in Rünenberg schrieb er einen Einakter mit dem Titel «Chilleturmpolitik». Für die Einweihung der Turnhalle Ormalingen 1964 kreierte er eine historische Beschreibung des Dorfes mit 30 Versen, wobei natürlich die «Zigeunerin» nicht fehlen durfte, die vor zwei Jahren wegen des Abbruchs eben dieser Halle Furore machte.
Ein gefragter Mann
Selbstverständlich war auch die Fasnacht ein Thema. Für «Guschti» Schaub mit Anhang schrieb er jeweils den Sissacher Schnitzelbank, auch war er mit seinen Beiträgen an den Zeitungen «Glöggeliwage» und «Gälterchinder Wüschete» massgeblich beteiligt. Neben alledem wurde Bobby zu Autorenlesungen eingeladen, er wurde zum gefragten Mann. Die vielen Anfragen um ein Gedicht für Privatanlässe wurden ihm mit der Zeit aber zu viel. Er forderte, natürlich auch in Versform, das Publikum auf, selber Verse zu schreiben.
Ende Dezember 1989, also etwas über einen Monat vor der Erlösung von seinem schweren Krebsleiden, schrieb er sein letztes Gedicht und zeichnete das letzte «Bildli» , darauf ist ein Stallbesen zu sehen. Es ging um die Armee-Abschaffungs-Initiative, die zwar abgelehnt wurde, aber mit über einer Million Ja-Stimmen für Aufsehen sorgte. Für dieses Resultat machte Bobby die Politiker wegen des Dienstverweigererproblems verantwortlich, sein letzter Vers lautet:
Mit obgezeigtem Instrument,
das man vom Hof und Stall her kennt
kehre man im Bundeshaus
endlich einmal richtig aus!
Selbst an der Abdankung durch Pfarrer Preiswerk in der Ormalinger Kirche wurde Bobbys subtiler Humor mit Schmunzeln und einem Lacher verdankt.
Hansruedi Hertig (86) ist Stiftungsrat der Ortssammlung Gelterkinden und ein guter Kenner von Ulysse Falconniers Werk. Den ganzen Februar hindurch drucken wir in jeder «Volksstimme»-Ausgabe ein Bobby-Gedicht, ausgesucht von Hansruedi Hertig.
Ulysse Falconnier
hhe. Wer war Bobby Falconnier? Wir zitieren aus dem Nekrolog, niedergeschrieben vom Gelterkinder Hans «Johnson» Buess:
Geboren am 6. April 1912 am Badweg in Gelterkinden als erstes Kind der Eltern Gustave Falconnier aus dem Waadtland und der Flora Buser aus Gelterkinden. Verstorben am 3. Februar 1990 in Ormalingen und dort am 8. Februar bestattet. Die sechs Primarschuljahre absolvierte er in Gelterkinden, anschliessend besuchte er drei Jahre lang die Bezirkschule Böckten. Nach einem Welschland-Aufenthalt begann er 1927 bei der schweizerischen Reederei in Basel eine dreijährige Lehre als Kaufmann und nach Abschluss derselben wirkte er dort als Angestellter bis 1950. Um 1943 heiratete Ulysse Bertha Bruderer aus Wald, Appenzell Ausserrhoden, die Ehe blieb kinderlos. Während der Grenzbesetzung 1939–1945 leistete er über 1000 Diensttage als Wachtmeister bei der Grenz-Füsilier-Kompanie III/243. Bis 1956 war er Preisüberwacher der Kontrollstelle Baselland. Anschliessend betätigte er sich, hauptsächlich für die Romandie zuständig, während 16 Jahren bei der Loyal Wäschehandel AG als Aquisiteur. Zum Schluss seiner beruflichen Laufbahn war er bis zu seiner Pensionierung noch Geschäftsführer bei der Weinhandlung Buess AG in Sissach. Nebenberuflich betätigte er sich in den 1950er-Jahren als Jungschützenleiter der Schützengesellschaft Gelterkinden. Auch war er Vorstandsmitglied des Verkehrs- und Verschönerungsvereins. Kurz bevor das Ehepaar Falconnier 1962 den Wohnsitz in ein Eigenheim in Ormalingen verlegte, beantragte und bekam Bobby das Bürgerrecht von Gelterkinden. Der Grund dafür sei, wie er meinte, dass es in seinem angestammten, welschen Bürgerort keine einzige Beiz gäbe!