«Wir wollen die Meinungsbildung fördern»
14.02.2020 Bauprojekte, Tenniken, Bezirk SissachKaspar Geiger leistet Widerstand gegen eine Überbauung des «Chilchachers»
Am kommenden Dienstag debattieren Kritiker über den Sinn einer Überbauung auf dem Tenniker «Chilchacher». Kaspar Geiger vom «Chilchacher»-Komitee erklärt, warum er um den «letzten schönen Flecken» im Dorf ...
Kaspar Geiger leistet Widerstand gegen eine Überbauung des «Chilchachers»
Am kommenden Dienstag debattieren Kritiker über den Sinn einer Überbauung auf dem Tenniker «Chilchacher». Kaspar Geiger vom «Chilchacher»-Komitee erklärt, warum er um den «letzten schönen Flecken» im Dorf kämpft.
Sebastian Schanzer
Herr Geiger, wann haben Sie das letzte Mal am «Chilchacher» Ruhe getankt?
Kaspar Geiger: Von meinem Wohnhaus schaue ich täglich direkt auf den «Chilchacher». Man bekommt den Eindruck eines eingerahmten Freiraums. Besonders die Topografie des Geländes hat es mir angetan: Wellen, kleine Hügel, unterschiedliche Hanglagen und der eingedolte Bach, der diesem Landschaftszug seine Form gibt. Der «Chilchacher» ist aber nicht einfach ein Ort der Kontemplation und Inspiration, sondern vielmehr ein gewachsener Raum, ein integraler Bestandteil des Dorfkerns. Er gehört – wie Kirche, Pfarrhaus und Pfarrscheune – zu dieser gewachsenen Einheit. Selbstverständlich ist er auch Naherholungsgebiet für die Dorfbevölkerung. Für mein privates Wohlbefinden brauche ich ihn nicht. Der Wald ist nahe und die sich ständig verändernde Geräuschkulisse der Autobahn hautnah und jederzeit hörbar.
Dennoch besteht der Verdacht: Eigentlich möchten Sie doch einfach Ihre schöne Wohnlage nicht mit anderen teilen.
Das ist nicht der Punkt, weshalb ich mich gegen die Überbauung einsetze. Das Haus, in dem ich wohne, haben meine Eltern gebaut. Im Lauf der Zeit ist rundherum ein neues Quartier mit hohen Häusern entstanden. Ich habe mich nie auch nur mit einem Ton dagegen gewehrt. In der heutigen Zeit muss man sich aber fragen, ob es sinnvoll ist, solche noch erhaltenen Freiräume – wie der «Chilchacher» einen darstellt – aus ökonomischen Gründen zuzubetonieren. Ich verstehe, dass man mir beim «Chilchacher» Eigeninteresse als Motivation unterstellt. Aber das trifft nicht zu.
An Ihrem Informationsabend vom Dienstag fehlt die Gegenseite auf der Bühne. Das Komitee weigerte sich auch, am Varianzverfahren teilzunehmen. Warum dieser harte Oppositionskurs?
Wir wollen einfach einmal unseren Standpunkt öffentlich kundtun. Dafür haben wir bisher keine Gelegenheit bekommen. Wir wollen nachweisen, dass wir uns differenziert und mit Fachleuten der Frage gestellt haben, welchen Sinn eine solche Überbauung für die Gemeinde überhaupt hat. Der Grund, warum wir ganz deutlich unsere Haltung kommunizieren, liegt darin, dass der Tenniker Gemeinderat von Anfang an in geheimen Sitzungen grünes Licht für die Pläne der Stiftung Kirchengut gab – ohne dass vorgängig Abklärungen stattgefunden haben, und ohne die Bevölkerung zu befragen. Der Stiftungsverwalter Martin Innerbichler hat mir dann angeboten, mich beim Quartierplanverfahren einzubringen. Die Frage, ob die Bevölkerung diese 50 bis 70 Wohnungen überhaupt will, wurde nie gestellt. Später haben 300 Personen innert kürzester Zeit unsere Petition gegen eine Überbauung unterschrieben.Aber darauf ist die Gemeinde gar nicht erst eingegangen.
Was hätten Sie denn von der Gemeinde erwartet?
Ich hätte erwartet, dass die Behörde Stellung nimmt zur eingereichten Petition und dass sie abklärt, welche Konsequenzen ein solcher Eingriff in die dörfliche Struktur mit sich bringt. Im Voraus abzuklären wäre auch, was auf die Gemeinde zukäme, wenn die Parzelle umgezont würde. All dies geschah nicht.
Nun hat das Komitee ein Gutachten über den landschaftlichen Wert des «Chilchachers» erstellen lassen.
Das Gutachten wird am kommenden Dienstag vorgestellt. Es geht Fragen nach, die so bisher nicht gestellt wurden: Was bedeutet eine Überbauung für das Klima, was für den Verkehr? Was ist das Besondere an dieser Landschaft, welches ökologische Potenzial steckt in ihm? Inwieweit hat dieser Landschaftsteil identitätsstiftende Bedeutung? Inwieweit ist er ortsbildprägend? All das wollten wir von Fachleuten abklären lassen – mit offenem Ergebnis.
Zu welchen Erkenntnissen führt die Studie?
Sie zeigt, dass es praktisch keinen verantwortbaren Grund für eine Überbauung gibt in einem Dorf, dessen Bevölkerung eigentlich abnimmt – ausser, dass eine Stiftung damit Geld machen kann.
In einer Interpellation deutet die ehemalige Grünen-Landrätin Florence Brenzikofer an, die Stiftung sei gar nicht auf das Geld angewiesen. Die Regierung erwidert, die Stiftung habe trotzdem das Recht, ihr Grundstück gewinnbringend zu bewirtschaften. Haben Sie sich etwas anderes erhofft?
Ich bin der Meinung, dass eine Regierung auch eine politische Gestaltungsaufgabe hat und nicht nur in einem juristischen Korsett zappelt. Der neue Baudirektor Isaac Reber rief bei seinem Amtsantritt laut ins Land, man wolle die zunehmende Überbauung, die Verstädterung des Oberbaselbiets aufhalten und dort bauen, wo schon gebaut ist. In der Antwort der Regierung auf die Interpellation sieht man aber, dass die Argumentation der Regierung genau dieselbe ist, der auch die Stiftung folgt.
Nämlich?
Sie bezieht sich auf einen einzelnen Punkt im Tenniker Richtplan, der vorsieht, dass eine Zone für öffentliche Werke und Anlagen auch quartierplantauglich umgezont werden darf. Es gibt aber andere Vorgaben in demselben Richtplan, die diesem Punkt widersprechen. Etwa, dass die Gemeinde Biodiversität fördern, weniger Boden versiegeln, den Verkehr beruhigen oder mit natürlichen Ressourcen sparsam umgehen soll. Insofern bin ich sehr enttäuscht. Der Kanton müsste wahrnehmen, dass es Widerstand von der Bevölkerung gibt und sich fragen: Soll man die Pläne der Stiftung Kirchengut überhaupt unterstützen? Die Regierung wählt den Weg des geringsten Widerstands.
In der Antwort der Regierung ist auch zu lesen, dass die Wohn-, Mischund Zentrumszonen der Gemeinde zu 97,2 Prozent ausgelastet sind. Sie sind der Ansicht, es gäbe in noch genügend Raum zur Verdichtung.
Es gibt noch zwei Hektaren Bauland in Tenniken und ganz viele Industriebrachen, die zwar überbaut, aber ungenutzt sind. Anstatt diese zu nutzen, soll der letzte grüne Freiraum von Tenniken kaputt gemacht werden. Alle reden von Klimaproblemen und hier wird so getan, als wäre diese Überbauung ein Sachzwang.
Für den Kampf gegen die Überbauung hat das Komitee unter anderem eine eigene Website aufgeschaltet. Wie viel Geld stecken die Mitglieder in diesen Kampf?
Wir zahlen alles aus unserer eigenen Tasche. Wir haben inklusive Gutachten bisher rund 10 000 Franken reingesteckt. Dazu kommt die ganze Arbeit, die wir investieren.Auf der Gegenseite agiert ein Apparat mit eigenen Juristen, Fachleuten und Infrastruktur, der unseren Widerstand weitgehend ignoriert.
Es scheint Ihnen dennoch zu gelingen, eine gewisse Aufmerksamkeit zu erregen.
Wir nehmen durchaus wahr, dass die Stiftung unseren Druck spürt und darauf reagiert. Das Varianzverfahren für einen Quartierplan wurde nur in Angriff genommen, weil man merkte, dass es nicht ganz so einfach wird, wie man sich das vorgestellt hatte. Zudem werde ich von ganz vielen Personen auf unser Engagement angesprochen. Sie ermutigen uns und freuen sich darüber, dass sich jemand getraut, sich dieser Stiftung zu widersetzen. Klar, wir haben weitaus weniger Mittel als unsere Gegner. Aber über die Medien und unsere Anlässe finden wir Gehör beim Volk und auch bei Institutionen. Dass die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz unseren Auftrag eines Gutachtens überhaupt angenommen hat, zeigt, dass unserem Thema viel Relevanz beigemessen wird, die über das Regionale hinausgeht. Am Informationsabend spricht auch Vera Weber. Sie führt die Franz-Weber-Stiftung, Urheberin der im Jahr 2012 angenommenen Zweitwohnungs-Initiative.
Ein Quartierplan müsste von der Gemeindeversammlung abgesegnet werden. Rund die Hälfte der Stimmberechtigten hat Ihre Petition unterschrieben. Worüber sorgen Sie sich überhaupt? Sie haben wahrscheinlich die Mehrheit des Dorfs auf Ihrer Seite.
Wir machen uns keine Sorgen. Wir wollen lediglich einen Prozess zur freien Meinungsbildung lancieren. Wir möchten exemplarisch aufzeigen, wie man über Freiräume in Siedlungsgebieten diskutieren soll. Wir wollen einen demokratischen Prozess überhaupt passieren lassen. Denn der passiert sonst nicht. Und wenn ein Quartierplan erst einmal vorliegt, wird es schwierig, diesen noch zu stoppen. Wir mussten so früh wie möglich Öffentlichkeit herstellen. Das bringt die Diskussion erst ins Rollen.
Wie beurteilen Sie die Rolle der Evangelisch-reformierten Kirche in dieser Diskussion?
Man sagt immer, die Kirche und die Stiftung hätten nichts miteinander zu tun. Aber: Im Stiftungsrat sitzt auch der Präsident des Kirchenrats, von Amtes wegen. Es sitzen auch zwei Pfarrer in diesem Stiftungsrat. Es ist unehrlich von der Kirche, zu behaupten, sie hätte nichts zu tun mit der Stiftung. Das empört mich. Denn gerade von der Kirche könnte man erwarten, dass sie sich nicht wie eine Immobiliengesellschaft aufführt. Viele Leute sagen mir: «Wenn diese Wohnungen gebaut werden, trete ich aus der Kirche aus.»
Sie sind Theater-Regisseur. Haben Sie sich schon einmal überlegt, die «Chilchacher»-Geschichte in ein Theaterstück zu verwandeln?
Ja, langsam reizt es mich, das kann ich nicht von der Hand weisen. Aber im Moment arbeite ich noch an anderen Projekten.
Öffentliche Diskussion im Gemeindesaal
ssc. Seit die Pläne der Stiftung Kirchengut bekannt sind, die «Chilchacher»-Wiese an einen Investor zur Überbauung abzugeben, wehrt sich eine stattliche Anzahl Einwohner dagegen. Das «Chilchacher»-Komitee reichte vor eineinhalb Jahren eine von fast 300 Personen unterzeichnete Petition ein. Das Komitee, bei dem unser Interviewpartner Kaspar Geiger federführend mitwirkt, will die Pfarrmatte entgegen den Plänen der Stiftung in die Landwirtschaftszone überführen. Die Parzelle ist heute der Zone für öffentliche Werke und Anlagen zugeteilt und wird landwirtschaftlich genutzt. Eine allfällige Überbauung bedingt deshalb einen von Gemeindeversammlung und Regierung abgesegneten Quartierplan. Die Stiftung Kirchengut will mit der Massnahme benötigtes Geld für den Erhalt der Kirchengebäude generieren.
Der Tenniker Gemeinderat unterstützt das Vorhaben der Stiftung grundsätzlich. In einem Varianzverfahren – unter anderem mit Mitgliedern der Stiftung und des Gemeinderats – wird derzeit nach einem mehrheitsfähigen Überbauungskonzept gesucht.
Aber auch die Gegenseite ist nicht untätig geblieben. Das Komitee gab bei der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz ein Gutachten zur landschaftlichen Bedeutung des «Chilchachers» für das Dorf in Auftrag. Die Studie wird am Dienstag in Tenniken präsentiert und diskutiert. Zusätzlich sprechen die Grünen-Landrätin Laura Grazioli, Hansjörg Stalder vom Heimatschutz und Vera Weber, Leiterin der Fondation Franz Weber, zum Thema.
«Chilchacher» – wie weiter: öffentliche Informationsveranstaltung des «Chilchacher»-Komitees Tenniken: Dienstag, 18. Februar, 19.30 Uhr, Gemeindesaal Tenniken