«Wir mischen uns nicht in die Wahlen ein»
04.02.2020 Baselbiet, Wahlen, GemeindenGeorges Thüring über die Bedeutung und Zukunft der Bürgergemeinden
Am 9. Februar wählen auch die Bürgergemeinden ihre Exekutiven. Georges Thüring, Präsident Verband Basellandschaftlicher Bürgergemeinden, zeigt auf, wie sich diese Wahlen von denjenigen der Einwohnergemeinden ...
Georges Thüring über die Bedeutung und Zukunft der Bürgergemeinden
Am 9. Februar wählen auch die Bürgergemeinden ihre Exekutiven. Georges Thüring, Präsident Verband Basellandschaftlicher Bürgergemeinden, zeigt auf, wie sich diese Wahlen von denjenigen der Einwohnergemeinden unterscheiden.
Otto Graf
Herr Thüring, inwiefern ist der Verband Basellandschaftlicher Bürgergemeinden in die Gemeindewahlen vom 9. Februar involviert?
Georges Thüring: Unser Verband mischt sich generell nicht in die Wahlen ein. Die Bürgergemeinden und die Einwohnergemeinden nominieren ihre Kandidierenden autonom. Hin und wieder erteilen wir jedoch Auskünfte zu Sachfragen oder wir beantworten Fragen rechtlicher Art.
Gewisse Einwohnergemeinden haben Mühe, genügend Kandidierende für die Gemeinderäte zu finden. Wie ist die Situation bei den Bürgerräten? Wo mangelt es an Kandidierenden? Wo kommt es zu Kampfwahlen?
Kampfwahlen sind hier selten. Denn deren Organe funktionieren nicht politisch. Der Wahlprozess läuft gemächlicher ab als in den Einwohnergemeinden, was mit der relativ engen Bindung der Bürgerinnen und Bürger zum Wald, zum Brauchtum, zu den Einbürgerungen und zur Pflege der Traditionen zu tun hat. Man setzt auf Kontinuität. In Liestal hingegen wirft die Wahl des Bürgerrats heuer hohe Wellen, weil sie zum Politikum geworden ist (siehe Kasten). Als Verbandspräsident kann und will ich mich dazu aber nicht weiter äussern.
Wie hoch ist der Frauenanteil in den Bürgerräten, verglichen mit den Gemeinderäten?
Hier widerspiegelt sich die historische Entwicklung. Früher bestand die Hauptaufgabe der Bürgergemeinden im Bewirtschaften des Waldes, was Sache der Männer war. Heute nehmen die Kultur, die Integration, die Freizeitbeschäftigung und die sozialen Aktivitäten zunehmend Raum ein. Das sind Domänen, die auf die Frauen zugeschnitten sind. Folglich steigt die Zahl der Frauen in den Bürgerräten generell leicht an. Das Spektrum der Betrachtungsweise wird grösser. Der Verband begrüsst diese Entwicklung.
In vielen Gemeinden amtet der Gemeinderat zugleich als Bürgerrat. Was empfiehlt der Verband, wenn die Zahl der Ortsbürger im Gemeinderat in der Minderheit oder gar nicht mehr vorhanden ist?
Wie schon erwähnt, reden wir als Verband den Bürgergemeinden nicht drein. Wir «schulen» jedoch neu ins Amt Gewählte und machen diese mit den Gepflogenheiten der Bürgergemeinden bekannt, sofern dies überhaupt nötig ist. Wir halten uns dabei an das Leitbild des Verbands, das unter anderem zum Einhalten der Gesetze und Verordnungen verpflichtet. Die Behörden müssen den gesunden Menschenverstand spielen lassen, auch in den Einwohnergemeinden. Im Übrigen regelt das Gemeindegesetz das Verfahren genau, falls sich eine Bürgergemeinde, die bisher vom Gemeinderat geführt wurde, einen Bürgerrat zulegen will.
Welche sind die Hauptgründe des Rückgangs der Bürgergemeinden?
Oft sind es finanzielle und sachpolitische, seltener personelle Überlegungen, die zum Prüfen einer Vereinigung der Bürgergemeinde mit der betreffenden Einwohnergemeinde führen. Der Wald, einst eine sichere Einnahmequelle, wirft, wenn überhaupt, finanziell nur noch wenig ab. Bürgergemeinden ohne wesentliche Erträge aus Deponien oder Baurechten sehen sich oft mit finanziellen Problemen konfrontiert. Auch der Kostendruck der Einwohnergemeinden kann sich auf die Bürgergemeinden nachteilig auswirken, weil man dort den Hebel ansetzt, wo das Sparen am einfachsten ist.
Wie identifiziert sich heute eine Bürgerin oder ein Bürger mit seiner Heimatgemeinde? Findet eine gewisse «Entfremdung» statt?
Die Durchmischung der Bevölkerung aufgrund der Zu- und Abwanderungen hatte zur Folge, dass der Anteil der Bürger, die in ihrem Heimatort wohnen, stark zurückgegangen ist. Umso wichtiger ist es, dass die Bürgergemeinden die ihnen zugewiesenen Aufgaben selbstbewusst erfüllen. Ich denke dabei an Banntag, auch Waldputzete, Waldgänge, Bundesfeier oder Brennholzgant. Das sind Anlässe, an denen die Bürgergemeinde Flagge zeigen kann und die der Integration förderlich sind. Hier kommen sich Bürger und Nicht-Bürger näher.
Wie ist es überhaupt zur Aufteilung in Bürger- und Einwohnergemeinden gekommen?
Wir haben sie Napoleon zu verdanken. Nach dessen Einmarsch 1798 schuf er anstelle der untergegangenen Alten Eidgenossenschaft die Helvetische Republik, die jedoch 1803 bereits wieder zusammenbrach, wobei die Bürgerrechte «überlebten» und in die nachfolgenden Verfassungen aufgenommen wurden. Die Schweiz ist meines Wissens das einzige Land, das neben dem nationalen auch noch das kantonale und das kommunale Bürgerrecht kennt.
Wird es die Bürgergemeinde in 50 Jahren noch geben?
Die Kernaufgaben dieser Gemeinwesen, wie Heimatverbundenheit, Traditionen, Brauchtum und Einbürgerungen, lassen sich in einer liberalen und freiheitlichen Staatsform nicht eliminieren. Die Bürgergemeinden werden sich anpassen und folglich auch in 50 Jahren noch präsent sein.
Angriff auf bisherige Bürgerräte in Liestal
og. Anders als in den meisten Bürgergemeinden kommt es in Liestal zu einer Kampfwahl um die fünf Sitze im Bürgerrat. Sechs stadtbekannte und politerfahrene Bürger, darunter Jürg Holinger und Marc Lüthi, empfehlen den Stimmberechtigten, SVP-Einwohnerrat Beat Gränicher, SP-Stadtrat Franz Kaufmann, GLP-Einwohnerrat Domenic Schneider und den parteilosen Franz Thür junior in die Exekutive der Bürgergemeinde Liestal zu wählen. Als Gründe für seine Nominationen nennt das Komitee namentlich die Begehren des amtierenden Bürgerrats um das Erweitern der Deponie Höli, die Beteiligung der Bürgergemeinde an der Kellerei Siebe Dupf sowie die vom Bürgerrat beantragte, jedoch inzwischen von der Bürgergemeindeversammlung abgelehnte Erhöhung der bürgerrätlichen Finanzkompetenz ausserhalb des Budgets von 250 000 auf 2,5 Millionen Franken.