«Meine Essen sind nicht einfach nur schön»
13.02.2020 Bezirk Sissach, BuusSandra Knecht bringt ihre Vorstellungen von Identität und Heimat mit Geschmäckern zum Ausdruck. Die exklusiven kulinarischen Happenings der in Buus lebenden Künstlerin sorgen im ganzen Land für Aufsehen.
Christian Horisberger
«Wie macht Essen glücklich?» Mit ...
Sandra Knecht bringt ihre Vorstellungen von Identität und Heimat mit Geschmäckern zum Ausdruck. Die exklusiven kulinarischen Happenings der in Buus lebenden Künstlerin sorgen im ganzen Land für Aufsehen.
Christian Horisberger
«Wie macht Essen glücklich?» Mit dieser Affiche lädt die Sissacher «Gmüeserei» heute zu einer Gesprächsrunde ein. Mit auf dem Podium: Sandra Knecht. Die Veranstalter beschreiben sie als «Künstlerin und Gastronomin». Genauso gut könnte es da aber «gefeierte Kulinarik-Künstlerin» heissen: Knecht hat sich in der Schweizer Kunstszene mit ihren einzigartigen Gastro-Events «Immer wieder sonntags» auf dem Basler Hafenareal einen Namen gemacht. Die Medien sind voll des Lobes; das renommierte Gastro-Magazin «Salz & Pfeffer» adelte sie mit einer Titelstory. Knecht kann es sich aussuchen, für welche Events sie aus Heimat und Gefühlen ihre einmaligen Menüs kreiert.
Wir treffen die 52-Jährige bei ihr zu Hause. Wie meistens in ihrer Freizeit trägt sie Latzhosen. Sie bittet uns in die kleine Küche, braut Kaffee, setzt sich an den Holztisch, die Kaffeetasse vor sich, das Notebook zur Seite geschoben, lehnt sich entspannt zurück. Das Fenster hinter Knechts Rücken gewährt einen Blick auf den Garten, die Nachbarhäuser, auf den Himmel über Buus. Vor sechs Jahren ist sie mit ihrer Lebenspartnerin ins Baselbiet gezogen, in ein «Kuhdorf» wie Sternenberg im Zürcher Oberland, wo sie aufwuchs, sagt sie. Aber aufs Land gehöre sie. Zwei Jahre habe sie in Zürich gelebt: «Nichts für mich.»
Von der Sozialpädagogik zur Kunst
Zürich sieht das anders. Mit der Aktion «Sous-vide», in der sie im Zürcher Szenelokal Kaufleuten 2017 ein Gallowayrind vor Publikum zerlegte und von Kopf bis Schwanz für die Gäste zubereitete, sorgte sie für grosses Aufsehen. Auch gearbeitet hat sie in Zürich. In ihrem Leben vor der Kunst. Sozialpädagogin Knecht betreute Drogenprostituierte vom Platzspitz sowie männliche Jugendliche mit Integrationsproblemen. Nach fast 25 Jahren stieg sie aus dem Job aus und absolvierte ein Studium an der Zürcher Hochschule der Künste. Das war 2011.
Jetzt also die Kunst und Buus. «Ich musste meinen Weg finden. Es war ein Herantasten, ein Herausfinden, wo ein Boden ist, auf dem ich mit der Kunst auch Geld verdienen kann.» Hier entwickelte sie das Kochen als künstlerische Ausdrucksform.
Eher zufällig: Ein einheimischer Jäger habe ihr einmal einen Maibock angeboten. Sie tat sich mit einer befreundeten Köchin und zwei weiteren Küchenprofis zusammen und verarbeitete für eine Tafel das ganze Tier «Nose to Tail» – von der Nase bis zum Schwanz. Aus dem Rückenfilet wurde ein Tartar mit Meertrübeli, es gab ein Voressen, das während Stunden köchelte, eine Suppe, oder frittierte Frühlingsrollen mit dünnen Fleischstreifen und Gemüse. Das war an einem Sonntag.
«Malen» mit Geschmäckern
Darauf bauten die kulinarischen Anlässe im «Chnächt» auf dem vom Verein Shift Mode bespielten Basler Hafenareal auf. Hier lud Knecht von 2016 bis 2019 monatlich, «immer wieder sonntags», ein, um wiederum jeweils konsequent ein ganzes Tier zu verarbeiten und zu servieren. Das Lokal, eine Scheune, hatte sie für 1 Franken ersteigert und vom Kanton Jura nach Basel schaffen lassen, am Hafen wiederaufgebaut und mit einer Gastroküche ausgestattet. Das Konzept kam an. «Die Events für jeweils 30 Personen waren anfangs innert zwei Stunden nachdem ich sie ausgeschrieben hatte ausgebucht», erzählt Knecht.
Ihr Antrieb damals sei es gewesen, über ihre Kreationen Identität zu vermitteln, sagt Knecht. Und Heimat: Die Tiere, die im «Chnächt» auf den Tisch kamen, stammten aus der Region. Das Gemüse kaufte die kochende Künstlerin bei Bauern ein, Wildkräuter sammelte sie in Feld und Wald. Der Wein, den sie zu den Gerichten servierte, wuchs auf heimischem Terroir. Knecht hatte im Kochen ihre künstlerische Ausdrucksform gefunden und weiterentwickelt. «Die Werkzeuge eines Malers sind Farben, meine sind Geschmäcker, die ich nach meiner subjektiven Wahrnehmung anwende.»
Das Kochen hat Knecht nicht wie andere Töchter bei ihrer Mutter gelernt, sondern bei Bäuerinnen in ihrem Dorf und im Landdienst. Ihre Mutter war Veganerin, bei den Knechts kam nur makrobiotische Kost auf den Tisch. Als Schulmädchen habe sie beim Bäcker ausgeholfen und in der Dorfmetzgerei gearbeitet: In der Nacht von Freitag auf Samstag wurde gewurstet und am Mittwochnachmittag ausgebeint. Als 20-Jährige machte sie bei McDonald’s Erfahrungen in der Systemgastronomie und ihr Kunststudium finanzierte sie sich mit einem Job als Küchenchefin in einem Stadtzürcher Restaurant.
Das «Chnächt» in Basel nahm ein unschönes Ende. Vandalen hatten das Gebäude und die Küche mehrfach heimgesucht und sinnlos verwüstet. Als Knechts Versicherung nicht mehr mitmachte und die Betreiber des Areals keine Bereitschaft zeigten, auf dem Gelände für Sicherheit zu sorgen, schloss die Künstlerin ihr Lokal. Da hatte sie ihren Wirkungskreis bereits erweitert: Veranstalter von Kultur-Events wurden durch das «Chnächt» auf sie aufmerksam und baten die Künstlerin, für sie ein Menü zu kreieren. So kam es auf Einladung von «Betty Bossy» zum «Sous-vide»-Projekt. Die Mobiliar Versicherung bot der Buusnerin an, für das Filmfestival in Locarno an elf aufeinanderfolgenden Abenden ihr Koch-Happening zu veranstalten. Knecht sagte zu. Anders als in Basel brachte sie nicht ein ganzes Tier auf den Teller, sondern versuchte, gesellschaftliche Strömungen, bezogen auf das Filmfestival, in Geschmack umzuwandeln. «Ich versuche, komplizierte, intellektuell herausfordernde Themen auf den Teller zu bringen. So, dass es über den Geschmack gefühlsmässig nachvollziehbar ist, was ich mit einem Gericht sagen will.»
Die «Orange von Locarno»
An einem Beispiel veranschaulicht sie ihre Philosophie: In Locarno gab es eine Retrospektive zum internationalen «Black Cinema». Knecht hat darauf Bezug genommen, indem sie ein Zitat der schwarzen Sängerin Beyoncé Knowles interpretierte. Die Pop-Diva hatte bei der Präsentation ihres Albums «Lemonade» ihre Grossmutter zitiert, der sie das Werk widmete: «Gibt dir das Leben Bitterkeit, mach Limonade daraus.» Die Kulinarik-Künstlerin legte eine Orange für zwei Stunden auf Kohlen, bis nur noch ganz wenig Fleisch und Flüssigkeit übrig war. Dazu kochte sie Vogelbeeren in Birnel ein. Der Gang war ein Löffel von der Orange zusammen mit fünf der Beeren – im Geschmack zunächst sehr bitter, dann folgen die süssen, fruchtigen Noten. Eine Steilvorlage für interessante Gespräche der Gäste.
Wer sich bei einem Knecht-Happening an den Tisch setzt, muss darauf gefasst sein, dass sein Gaumen nicht nur mit lieblichen Geschmäckern umschmeichelt, sondern auch mit Bitterem, Saurem oder Erdigem herausgefordert wird. «Manche Gäste erwarten, dass ein Essen bei mir einfach nur schön ist. Aber die Essen bei mir sind definitiv nicht einfach schön», sagt Knecht. Sie lege grossen Wert darauf, dass die Gerichte gut gekocht sind. «Aber wenn ich zu einem Thema wie ‹Gewalt gegen Schwarze› ein Gericht kreiere, kann das unmöglich einfach das Wohlbefinden bedienen.» Auch eine Kreation zum Thema Sterblichkeit und der Angst der Menschen davor, könne unmöglich nur tröstend sein.
Die «Orange von Locarno» war etwas Einmaliges. Wie jedes Gericht, das Knecht kreiert. Was immer sie in Geschmäcker und Düfte ummünzt, es wird nicht wiederholt. Vergehen beim hartnäckigen Recherchieren und Entwickeln einer Idee, beim Herausfinden,Tüfteln und Kombinieren in der Küche noch so viele Stunden – erlischt das Feuer im Herd und ist der Dessertlöffel abgeleckt, ist ein Projekt abgeschlossen. Endgültig. Eine Wiederholung würde die Künstlerin langweilen. Lieber wendet sie sich einer neuen Fragestellung zu.
Sie kann es sich leisten. «Ich bin die Erste und Beste auf diesem Gebiet in der Schweiz», sagt Knecht und lacht sofort laut heraus: «Ich weiss, wie überheblich das jetzt klingt, aber es gibt nun einmal nicht viele Künstlerinnen, die sind wie ich.» Auch mache sie bei Anfragen keine Konzessionen, nie, egal, wie bedeutend und reich ein Kunde auch sein möge. Entweder, sie kreiert, was und wie sie will, oder sie verzichtet. Diese Konsequenz legt sie auch bei der Exklusivität ihrer Gerichte an den Tag. Die Rezepte, die sie entwickelt hat, gibt sie nicht heraus, selbst dann nicht, wenn ihr dafür Geld geboten wird, wie das bei einem Tonic Sirup der Fall gewesen sei. Einmalig. Ihres.
Essen mit Widerhaken
Stolz ist die Stadtzürcher Bürgerin auf ihren Burgermeister, den Ur-Baselbieter Kräuterschnaps. «Ich wollte als Zürcherin den besseren machen als die Baselbieter», sagt sie mit einem Augenzwinkern. «Ich habe dafür sehr lange die Kräuter rezeptiert und für den Brand die besten Früchte gesucht.» Nach dem Urteil ihrer Gäste sei ihr ein sehr guter Schnaps gelungen, wie sie sagt. Diesen Burgermeister reicht Knecht immer als Abrundung eines Koch-Events – denn der letzte Eindruck sei wichtig. Ein versöhnlicher für den Gaumen. Die Eindrücke, die sie mit ihren Kreationen in den Köpfen der Tafelgäste hinterlässt, dürfen hingegen durchaus länger wirken: «Ich wünsche mir, dass die Essen wie Widerhaken sind, die eindringen und dann immer ein bisschen stören.»
Wie hält es Sandra Knecht persönlich mit dem Essen? Muss alles auf ihrem Teller vor Bedeutsamkeit triefen? Sie lacht: Sie gönne sich gerne hin und wieder ein Cordon bleu – am liebsten in der «Blume» in Magden. «Ich bin nicht päpstlicher als der Papst. Purer Genuss darf auch einmal sein.»
«Wie macht Essen glücklich?», Podiumsdiskussion mit Sandra Knecht, Simon Aeberhard, Fred Frohofer und Rolf Wirz, Moderation: Matthias Scheurer. Donnerstag, 13. Februar, 19 Uhr, Obere Fabrik, Sissach.