WELTENBUMMLERIN
31.01.2020 GesellschaftGib Gas, China
Gerade noch einmal davongekommen. Vor Weihnachten verliess ich China, nach drei aufregenden Jahren. Damals hatte es bereits die ersten Krankheitsfälle des neuartigen Coronavirus gegeben, in der 11-Millionen-Stadt Wuhan. Noch wusste niemand davon. Heute ...
Gib Gas, China
Gerade noch einmal davongekommen. Vor Weihnachten verliess ich China, nach drei aufregenden Jahren. Damals hatte es bereits die ersten Krankheitsfälle des neuartigen Coronavirus gegeben, in der 11-Millionen-Stadt Wuhan. Noch wusste niemand davon. Heute beherrscht die mysteriöse Lungenkrankheit die internationalen Schlagzeilen. Die zwei Verdachtsfälle im Zürcher Triemlispital haben sich als unbegründet herausgestellt, den drei Coronavirus-Erkrankten in Frankreich geht es gut. Wieso riegelt China quasi eine ganze Provinz, über 50 Millionen Menschen, ab? Die Reaktion scheint überzogen für eine etwas stärkere Grippewelle.
So ähnlich dachte ich auch, bis ich für eine Reportage mit Betroffenen in Wuhan sprach. Am Telefon berichtete mir die 29-jährige Mutter eines Säuglings von der gespenstischen Realität vor Ort: Die Strassen seien wie ausgestorben. Man verschanze sich drinnen, mit Vorräten für vier Wochen, und messe jeden Tag die Temperatur. Die Spitäler seien überlaufen vor Kranken, die mangels freier Betten nach Hause geschickt werden. Test-Kits, um die Krankheit nachzuweisen, seien schon lange ausgegangen. Ärzte und Krankenpfleger würden 24 Stunden arbeiten, ohne ihre Kleidung zu wechseln, Handschuhe und Masken gebe es keine mehr. Busse, Züge, Flughäfen und Autobahnen seien gesperrt, und inzwischen sei es auch verboten, mit dem privaten Auto unterwegs zu sein. Eine Art Hausarrest in der Gefahrenzone.
Nach solchen Gesprächen, die mir die Haare zu Berge stehen liessen, dachte ich an meinen Mann, Yuze. Er war noch immer in Peking. Meine Schwiegereltern hatten wenige Tage zuvor gemeinsam mit den Grosseltern, den Onkeln, Tanten und Cousinen das chinesische Neujahr gefeiert: Teigtaschen, Brettspiele und im Hintergrund die an die DDR erinnernde bunte und laute Neujahrsgala am Fernsehen. Doch Feststimmung wollte nicht recht aufkommen, kaum jemand zündete um Mitternacht Feuerwerk.
Auch in Peking waren inzwischen über 50 Krankheitsfälle bekannt. Alle öffentlichen Parks, Kinos und Karaoke-Bars waren geschlossen. Als Yuze am nächsten Morgen zu einem Skiresort über 100 Kilometer ausserhalb Pekings fuhr, fand er es geschlossen vor, auf morgendliche Weisung der Behörden. Am selben Tag wurden die Autobahnen und Busbahnhöfe geschlossen.
Da wusste er: Vielleicht würde auch Peking bald unter Quarantäne gestellt. Er kaufte sich ein Einwegticket in die Schweiz.
Somit hat China eine Schweizerin weniger und die Schweiz einen Chinesen mehr. Ich bin China dankbar, dass es mir eine zweite Familie geschenkt hat, eine hochkomplexe Sprache lernen und die raffinierteste Küche der Welt schätzen liess. Ich wünsche China gute Besserung und bin sicher, dass das Land die Epidemie in den Griff bekommt. Wie die Chinesen sagen würden: Jia you! Gib Gas, China!
Dies ist die letzte China-Kolumne von Katrin Büchenbacher. Die Autorin möchte sich bei den Leserinnen und Lesern für die zahlreichen Rückmeldungen bedanken. Sie absolviert nun bei der NZZ ein Volontariat, bleibt der «Volksstimme» aber als Kolumnistin erhalten.