Umstrittene Rezepte für günstige Wohnungen
30.01.2020 Abstimmungen, Wirtschaft, Politik, GesellschaftDie Initiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» kommt am 9. Februar vors Volk
Auf dem Papier funktioniert der Wohnungsmarkt, in vielen Städten ist es trotzdem schwierig, eine erschwingliche Bleibe zu finden. Am 9. Februar kommt die Volksinitiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» zur Abstimmung, ...
Die Initiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» kommt am 9. Februar vors Volk
Auf dem Papier funktioniert der Wohnungsmarkt, in vielen Städten ist es trotzdem schwierig, eine erschwingliche Bleibe zu finden. Am 9. Februar kommt die Volksinitiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» zur Abstimmung, die den gemeinnützigen Wohnungsbau stärken will. Die Initianten erhoffen sich davon tiefere Mieten.
sda. Die Initiative des Mieterinnen- und Mieterverbands verlangt von Bund und Kantonen, dafür zu sorgen, dass gesamtschweizerisch mindestens 10 Prozent der neu gebauten Wohnungen im Eigentum gemeinnütziger Wohnbauträger sind. Dieses Ziel soll unter anderem dadurch erreicht werden, dass sich Kantone und Gemeinden ein Vorkaufsrecht an geeigneten Grundstücken einräumen könnten. Beim Verkauf von Grundstücken im Eigentum des Bundes oder bundesnaher Betriebe hätten sie in jedem Fall ein Vorkaufsrecht.
Satte Gewinne
Im gemeinnützigen Wohnungsbau sind die Mieten markant tiefer, weil nur die Kosten gedeckt, aber keine Gewinne erwirtschaftet werden müssen. Bei einer Dreizimmerwohnung beträgt der Unterschied im Durchschnitt 16,5 Prozent, was zwei Monatsmieten ausmacht. In den Kernstädten sind es sogar 26 Prozent. Bei einer Miete von 2000 Franken macht der Gewinn damit rund 500 Franken aus.
Dieses Geld fliesse in die Taschen der Spekulanten, argumentieren die Befürworterinnen und Befürworter, zu welchen auch SP und Grüne, Gewerkschaften, Wohnbau-, Studierenden- und Rentnerorganisationen gehören. «Spekulanten stoppen!», lautet einer der Slogans, mit dem sie für die Initiative werben. Ihrer Meinung nach ist der «Renditehunger» umso gravierender, als die Mieten in den vergangenen Jahren deutlich stärker gestiegen sind als die Löhne.
Heute gehören nur rund 4 Prozent der Wohnungen nicht gewinnorientierten Wohnbauträgern. In der Botschaft ans Parlament spricht der Bundesrat von einem «Randphänomen». Er anerkennt gleichzeitig, dass gemeinnützige Wohnbauträger gerade in den Städten, wo Wohnungen teuer sind, Wohnraum für wirtschaftlich weniger leistungsfähige Personen schaffen.
Indirekter Gegenvorschlag
Trotzdem sprechen sich die Regierung und mit ihr alle bürgerlichen Parteien, Hauseigentümer- und Wirtschaftsverbände gegen die Initiative aus. Ihrer Meinung nach genügt die heutige Wohnbauförderung.
Ein wichtiges Instrument ist der so genannte Fonds de Roulement, der gemeinnützigen Bauträgern zinsgünstige, rückzahlbare Darlehen gewährt. Im Durchschnitt unterstützte der Fonds bisher den Bau von rund 1500 Wohnungen pro Jahr. Doch nun ist das Geld weitgehend vergeben, es droht eine Finanzierungslücke.
Damit die Förderung etwa im gleichen Rahmen wie bisher weitergehen kann, hat das Parlament eine Aufstockung des Fonds beschlossen. Mit diesem indirekten Gegenvorschlag, der bei einer Ablehnung zum Tragen käme, würden insgesamt 250 Millionen Franken bereitgestellt. Diese könnten über die nächsten zehn Jahre hinweg zusätzlich als Darlehen vergeben werden. «Gut, aber nicht gut genug», sagen die Initianten, die mehr wollen als den Status quo.
Alle Darlehen zurückgezahlt
Die 10-Prozent-Quote hält der Bundesrat aber für unrealistisch. Er beziffert die Zusatzkosten auf 120 Millionen Franken pro Jahr. Die Initianten rufen jedoch in Erinnerung, dass der Bund Zinsen für die Darlehen erhält. In den letzten 15 Jahren habe keine Bürgschaft eingelöst werden müssen, alle Darlehen seien zurückgezahlt worden.
Das Vorkaufsrecht für Kantone und Gemeinden ist laut Bundesrat wettbewerbsverzerrend. Er hatte die Einführung eines Vorkaufsrechts selber erwogen, 2014 aber verworfen. Seither sei die Leerwohnungsziffer kontinuierlich gestiegen, schreibt er in der Botschaft.
Wohnungsnot in den Städten
Tatsächlich lag diese bei Einreichung der Initiative im Jahr 2016 bei 1,3 Prozent, inzwischen ist sie auf über 1,6 Prozent gestiegen. Ein Wert über 1,5 Prozent bedeutet, dass der Wohnungsmarkt funktioniert. Grund für die Entspannung sind die vielen Neubauten, die auf die tiefen Zinsen, die guten Immobilienrenditen und Änderungen des Raumplanungsgesetzes zurückgehen.
Die Leerwohnungsziffer gibt jedoch einen schweizweiten Durchschnitt an. In einigen Gegenden im Mittelland stehen tausende neue Wohnungen leer. In Huttwil im Kanton Bern etwa liegt die Leerwohnungsziffer bei 8,15 Prozent - jede zwölfte Wohnung ist nicht vermietet.
In den bevölkerungsreichen Städten und Agglomerationen zeigt sich ein anderes Bild. In Zürich betrug die Leerwohnungsziffer letztes Jahr 0,14 Prozent. Auf 10 000 Wohnungen standen in der Stadt also nur 14 leer. In Lausanne lag die Leerwohnungsziffer bei 0,35, in Bern bei 0,55 und in Genf bei 0,63 Prozent.
In den Städten und in vielen umliegenden Gemeinden herrscht also grosse Wohnungsnot. Mehr gebaut würde wegen der Initiative wohl nicht. Wird diese umgesetzt, könnten aber mehr Wohnungen mit der günstigeren Kostenmiete auf den Markt kommen.
Einschränkung für Sanierungen
Ein Nebenschauplatz ist das Thema energetische Sanierungen. Soweit dafür Subventionen fliessen, dürfen die Kosten ohnehin nicht auf die Miete geschlagen werden. Manchmal nutzt die Eigentümerschaft aber die Gelegenheit, allen Mieterinnen und Mietern zu künden, um das Haus aufwendig zu sanieren und dann die Mietzinse zu erhöhen.
Dem will die Initiative einen Riegel schieben: Programme der öffentlichen Hand zur Förderung von Sanierungen dürften nicht zum Verlust von preisgünstigen Mietwohnungen führen, heisst es darin. Die Initiantinnen und Initianten sprechen von einer «Unsitte». Die Gegner hingegen warnen, dass mit dem Verbot keine energetischen Sanierungen mehr getätigt würden.