Mehr Verantwortung für Lehrpersonen
14.01.2020 BaselbietDer Baselbieter Bildungsrat hat die neuen Lehrmittellisten beschlossen. Wie von Kritikern schon im Vorfeld befürchtet, konnte für das umstrittene Frühfranzösisch-Lehrmittel «Mille feuilles» noch keine Alternative gefunden werden.
Sebastian Schanzer
Ab dem ...
Der Baselbieter Bildungsrat hat die neuen Lehrmittellisten beschlossen. Wie von Kritikern schon im Vorfeld befürchtet, konnte für das umstrittene Frühfranzösisch-Lehrmittel «Mille feuilles» noch keine Alternative gefunden werden.
Sebastian Schanzer
Ab dem kommenden Schuljahr haben Lehrpersonen der Primar- und Sekundarschule im Baselbiet die Wahl, mit welchen Lehrmitteln sie ihren Stoff den Schülern und Schülerinnen vermitteln wollen. Ihnen stehen neu in allen Fächern Listen von kantonal geprüften Lehrmitteln zur Verfügung. Alternativen zum bestehenden Angebot sind in einem ersten Schritt aber erst für die Fremdsprachenfächer Französisch und Englisch beschlossen worden (siehe Kasten), wie Beat Lüthy, Leiter des Amts für Volksschulen (AVS) gestern vor den Medien sagte. Für die weiteren Fächer sollen alternative Lehrmittel nun sukzessive geprüft und genehmigt werden. Je nach Angebot des Lehrmittelmarkts können künftig alle Listen weiter ausgebaut werden.
Seit vergangenem Freitag sind die aktuellen Lehrmittellisten auf der Website des Kantons aufgeschaltet. Die aufgeführten Lehrmittel werden unterteilt in obligatorische, fakultative und solche, die aktuell geprüft werden. Obligatorische Lehrmittel müssen als roter Faden von den Lerpersonen verwendet, können aber durch die fakultativen ergänzt werden. Im Zentrum des Unterrichts sollen aber nicht die Lehrmittel, sondern die Lehrpersonen stehen. «Es ist eine Stärke der neuen Lehrmittelstrategie, dass das Lehrpersonal an Freiheit, aber auch an Verantwortung gewinnt», so Lüthy.
Beschlossen hat die Listen der Bildungsrat, nachdem eine eigens dafür einberufene Arbeitsgruppe während eineinhalb Jahren mögliche Lehrmittel evaluiert hatte. Beraten wurde der Bildungsrat zusätzlich von der neu zusammengesetzten Lehrmittelkommission, die aus Lehrpersonen, Schulleitungsmitgliedern, Vertretern des AVS und der Bildungsdirektion und zusätzlichen Fachpersonen besteht.
«Mille feuilles» bleibt vorerst
Die neuen Listen gehen auf die Anfang Jahr in Kraft getretene Totalrevision der Lehrmittelverordnung sowie den Entscheid des Stimmvolks vom 24. November 2019 zurück. 85 Prozent der Baselbieter Bevölkerung sagten Ja zur Einführung der geleiteten Lehrmittelfreiheit an der Volksschule. Sie stimmten damit dem Gegenvorschlag der Regierung zu einer Initiative des Komitees Starke Schule zu. Die zurückgezogene Initiative forderte ein Verbot von gewissen Lehrmitteln für den Fremdsprachenunterricht, etwa des von vielen Lehrpersonen stark kritisierten «Mille feuilles».
Gerade hier zeigt sich allerdings ein Schönheitsfehler der neuen Lehrmittelstrategie des Kantons. Es ist der Arbeitsgruppe bisher nicht gelungen, eine Alternative für «Mille feuilles» für die dritte und vierte Primarschulklasse zu finden. Das Lehrmittel, gegen das die Initiative der «Starken Schule» ursprünglich gerichtet war, wird also auch im kommenden Schuljahr obligatorisch unterrichtet werden. «Das ist in der Tat unschön. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir bis im Schuljahr 2021/22 ein alternatives Lehrmittel gefunden haben werden», sagt Lüthy. Die Gründe, warum keine Alternative für «Mille feuilles» gefunden werden konnte, sieht Lüthy darin, dass lediglich die sechs «Passepartout»-Kantone bereits ab der dritten Klasse Fremdsprachen unterrichten. Das Lehrmittel-Angebot sei entsprechend klein.
Schon im Vorfeld der gestrigen Medienorientierung kritisierte die «Starke Schule» beider Basel, dass mit «Léo et Théo» des italienischen Verlags Eli sehr wohl eine Alternative vorliege, der Bildungsrat diese aber ignoriert habe. Warum es «Léo et Théo» letztlich nicht auf die Liste geschafft hat, vermag auch AVS-Leiter Beat Lüthy nicht zu beantworten. «Der Bildungsrat führte ein mehrstufiges Selektionsverfahren durch. Das Lehrmittel ‹Léo et Théo› schied dabei aus mir unbekannten Gründen früh aus.»
«Kein Wildwuchs zu befürchten»
Davor, dass es in Zukunft zu weiteren kontroversen Diskussionen über die Lehrmittellisten kommen wird, fürchtet sich Lüthy indes nicht. Lehrpersonen haben nun die Möglichkeit, ein gewünschtes Lehrmittel, das sich nicht auf der Liste befindet, im Rahmen eines Pilotprojekts im Unterricht einzusetzen. Mit dem entsprechenden Antrag bei der Lehrmittelkommission verpflichten sich die Antragsteller, am Ende des Projekts einen Evaluationsbericht mit einer Empfehlung zu schreiben. Fällt ihr Bericht positiv aus, entscheiden Lehrmittelkommission und Bildungsrat anschliessend, ob dieses Lehrmittel neu auf die Lehrmittelliste gesetzt wird.
Auch die Befürchtung, jede Lehrperson arbeite künftig mit anderen Lehrmitteln, was etwa den Klassenwechsel eines Kindes erschweren könnte, vermag Lüthy nicht zu beunruhigen. Er gehe davon aus, dass die Lehrpersonen verantwortungsvoll handelten und sich bei der Wahl ihrer Lehrmittel miteinander absprechen, um für eine gewisse Kontinuität zu sorgen. Ein Wildwuchs sei nicht zu befürchten. Darüber hinaus: «Die Leitplanken für den Unterricht an unseren Schulen bildet der Lehrplan. An dessen Ziele orientieren sich unsere Lehrer und Lehrerinnen – egal, mit welchem Lehrmittel.»
Die obligatorischen Fremdsprachen-Lehrmittel
ssc. Französisch: «Mille feuilles» (3. bis 6. Klasse); «Ça bouge» (5. und 6. Klasse); «dis donc!» (5. und 6. Klasse, sowie Sekundarschule); «Tous ensemble» (Sekundarschule); «À toi» (Sekundarschule); «Clin d’oeil» (Sekundarschule)
Englisch: «New World» (5. und 6. Klasse sowie Sekundarschule); «More» (5. und 6. Klasse); «English Plus» (5. und 6. Klasse sowie Sekundarschule); «Th!nk» (Sekundarschule); «English in Mind» (Sekundarschule); «Solutions» (Sekundarschule); «Beyond» (Sekundarschule)