«Wir fördern die Ausbildung, nicht den Sport»
09.01.2020 Baselbiet, Zeglingen, SportSebastian Wirz
Herr Beugger, was war Ihr Jahreshighlight 2019 als Leiter des Sportamts Baselland?
Thomas Beugger: Besonders gefreut hat mich, dass wir die ersten Jungleiterinnen und Jungleiter ausbilden konnten. Da waren 42 motivierte Jugendliche ...
Sebastian Wirz
Herr Beugger, was war Ihr Jahreshighlight 2019 als Leiter des Sportamts Baselland?
Thomas Beugger: Besonders gefreut hat mich, dass wir die ersten Jungleiterinnen und Jungleiter ausbilden konnten. Da waren 42 motivierte Jugendliche dabei, die sich zwei Tage lang ausbilden liessen. Es ist schön zu sehen, wie die Jungen motiviert sind, anderen Jugendlichen im Sport etwas zu bieten und in einem Verein Verantwortung zu übernehmen.
Was war das grösste Ärgernis?
Ich bin meistens mit positiven Gefühlen unterwegs, ärgere mich selten.
Bei der Regierung sind Sie derjenige, der mehr Geld für den Sport will. Bei den Sportlern sind Sie der Vertreter der Regierung, die nicht mehr ausgeben will. Wie lebt es sich in diesem Sandwich?
Da ich schon so lange dabei bin und Erfahrung habe, kenne ich die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Regierungsrat und Parlament geben das Budget vor, daran hat sich das Sportamt zu halten. Es gibt einfach anspruchsvolle Gespräche. Zum Beispiel, wenn wegen finanzieller Unterstützung angefragt wird und die bestehenden gesetzlichen Richtlinien diese nicht zulassen. Das wird nicht immer verstanden.
Mit wem haben Sie diese anspruchsvollen Gespräche?
Dabei geht es meist um Unterstützung bei Sportanlagen. Weil wir aktuell kein Kantonales Sportanlagenkonzept (Kasak) haben, werden Anlagen aus dem Swisslos-Sportfonds unterstützt. Swisslos legt jedoch fest, dass mindestens eine Jahrestranche als Reserve vorhanden sein muss, damit der Fonds ein schlechtes Jahr abdecken könnte. Wenn die Reserve unter diese kritische Grösse fällt, dürfen wir keine Gesuche von Gemeinden annehmen. Das ist aktuell der Fall. Wir wissen nie, wie gross der Reingewinn bei Swisslos ist. Wenn der Jackpot bei Euromillions oder Swisslotto pro Jahr mehrmals hoch ist, spielt die Bevölkerung mehr, hat die Lotterie einen höheren Jahresumsatz und wir erhalten damit grössere Beiträge.
Seit bald 100 Jahren werden Lotterie-Gewinne für den Sport verwendet. Wie würde das Baselbiet ohne den Sportfonds aussehen?
Es wäre für viele Vereine schwierig, die Finanzierung sicherzustellen. Vor allem beim Sportmaterial, das mit bis zu 50 Prozent subventioniert wird. Wenn ein Verein zwei zusätzliche Schulstufenbarren anschafft, ist einer schon bezahlt. Im Sportfonds haben wir 4 bis 4,5 Millionen Franken Budget, beim Sportamt 2,1 Millionen, das zeigt die Bedeutung. Diese Beitragsleistungen sind essenziell für die Sportförderung. Bei grösseren Projekten hat es ein Traktandum zudem an einer Gemeindeversammlung einfacher, wenn schon ein Beitrag vom Kanton vorgewiesen werden kann.
Sollten wir also alle mehr Lotto spielen und Lose kaufen?
Ich mag «Löösli» sowieso, da ist immer Spannung dabei. Aber ich kaufe die Lose auch gerne, weil ich weiss, dass sie den Sport unterstützen. Und es ist nicht Steuergeld, das investiert wird, es ist Spielgeld. Diese Unterscheidung ist wichtig.
Eine Kernaufgabe des Sportamts ist die Leistungssportförderung (LSF). Seit bald 20 Jahren gibt es eine Sportklasse auf Stufe Sek I. Später kam die Sekundarstufe II dazu.
Die Sportklasse war mein erstes grosses Projekt, als ich zum Sportamt kam. Die Entwicklung in diesen 20 Jahren ist immens. Am Anfang gab es das Nordwestschweizerische Kunstturnund Trampolinzentrum, heute haben wir mehr als 20 Stützpunkte, die professionell organisiert sind. Wir führen rund 200 Zielvereinbarungsgespräche mit Sportklässlern. Dazu kommen 100 Individuallösungen. Das beginnt bei der Abmachung, dass eine Schülerin 15 Minuten früher aus dem Unterricht gehen darf, um pünktlich im Training zu sein.
Wie fällt Ihr Fazit aus?
Wir fördern nicht direkt den Sport, sondern schaffen Rahmenbedingungen, dass junge Sportler auch in der schulischen und beruflichen Ausbildung weiterkommen. Der grösste Erfolg ist, dass fast 100 Prozent der Schüler, die in den Klassen Leistungssport betrieben haben, auch einen beruflichen Abschluss machen konnten. Es gibt ganz wenige Fussballer, die so früh Profi geworden sind, dass sie die Ausbildung nicht beendet haben. Bei einem Millionen-Vertrag überlegt es sich ein 17-Jähriger nun mal, ob er diese zwei Jahre Ausbildung noch abschliessen will.
Was bestimmt darüber, ob ein Schüler in einer Sportklasse gefördert wird?
Das Hauptkriterium ist die Perspektive für mindestens eine nationale, eher sogar eine internationale Laufbahn. Nicht zu unterschätzen ist aber auch die intrinsische Motivation, der eigene Antrieb. Alle wollen Profi oder Olympiasieger werden. Aber die Begeisterung, mit der sie dieses Ziel formulieren, wenn sie zum ersten Mal zu uns kommen, ist für mich ein Gradmesser, ob jemand in die Sportklasse kommt. Ich erinnere mich an den 11-jährigen Yann Sommer. Als ich fragte, was sein Ziel sei, glänzten seine Augen. «Erster Goalie beim FC Basel», war die Antwort. Und wir sehen, wohin es ihn gebracht hat.
Wenn es darum geht, dass Sportler Profis werden und davon leben können, dürfte die LSF nur Fussballer, Eishockeyaner und vielleicht Tennisspieler unterstützen.
Viele Ex-Sportklässler haben steile Karrieren ausserhalb des Sports gemacht. Ich behaupte, das hätten sie ohne Leistungssport nicht so geschafft. Denn sie haben gelernt zu planen, zielgerichtet durchs Leben zu gehen, effizient zu lernen, fokussiert auf etwas hinzuarbeiten. Diese Qualitäten hat ihnen der Sport neben Toleranz und Respekt mitgegeben.
Die meisten werden aber nicht über Jahre erfolgreiche Sportler mit nationalen Top-Platzierungen.
Einige haben es im Aktivsport geschafft, andere nicht. Aber alle haben profitiert. Auch die Sportklasse hat aus ihnen Persönlichkeiten gemacht. Nicht jeder Architekt wird Stararchitekt. Es setzen sich immer nur die wenigsten an der Spitze durch. Ein guter Architekt ist doch aber auch etwas, es muss nicht immer ein Stararchitekt sein. Den kann man sich sowieso nicht leisten. Und man darf nicht all die ehemaligen Sportklässler vergessen, die der Region als Trainer oder als Vorstandsmitglieder in den Vereinen erhalten geblieben sind.
Im neuen Trailer der LSF heisst es: «Wir helfen dir, deinen Traum zu verwirklichen.» Wie sagt man einem 11-Jährigen, dass man seinen Traum nicht erfüllen kann?
Die Tür ist nicht zu, wenn ein Kandidat einmal abgewiesen wird. Man kann sich immer wieder bewerben und wir suchen immer eine gute Lösung. Wenn ein Kind alle Kriterien für die Sportklasse erfüllt und sich einfach beim Selektionsprozess gegen andere Kandidaten nicht durchsetzt, nehmen wir uns seiner immer an. Beispielsweise mit einer Individuallösung. Die Selektion macht nicht das Sportamt, sondern der Sport: Wenn sich vier Fussballer bewerben, muss der FCB sagen, wer Priorität 1, 2, 3 und 4 ist. Wir hatten vergangenes Jahr in der Sek I zehn Neuaufnahmen in zehn Sportarten. Der jeweilige Stützpunkt musste entscheiden, wen wir nehmen. Die Plätze in den Sportklassen sind gegeben. Es gibt pro Jahrgang eine Sek-Klasse mit 25 Plätzen in Muttenz und jeweils eine mit je 16 Plätzen an der WMS in Reinach, am KV in Liestal sowie am Gymnasium. Daran müssen wir uns halten.
2017 reichte der Saal für die Info-Veranstaltung für die Matur-Sportklassen wegen der vielen Interessierten nicht mehr aus. Am Ende gab es eine zusätzliche Sportklasse.
Ja, vor zwei Jahren ging das. Das war eine Ausnahme, weil wir weit über 30 Kandidaten für das Gymnasium hatten, welche die Kriterien erfüllt haben.Das war ein ausserordentlicher Jahrgang. Und bei einem ausserordentlichen Jahrgang versuchen wir auch eine ausserordentliche Lösung zu finden.
Hat der Regierungsrat entschieden, das Budget der LSF zu erhöhen?
Die Finanzierung ist viel komplexer. Ob Sportklasse oder nicht: Die Kinder müssen in die Schule.Vielleicht braucht es gar keine zusätzliche Klasse. Wenn von 30 auch ohne LSF 16 ans Gymnasium Liestal gegangen wären, hätte man so oder so eine Klasse bilden müssen. So war es halt eine Sportklasse. Wenn dann noch ausserkantonale Athleten dabei sind, aus Büren oder dem Fricktal beispielsweise, dann bezahlen deren Kantone mit. Dies generiert Einnahmen und es ist nicht einfach eine Klasse, die man zusätzlich berappen muss. Mit fünf Ausserkantonalen ist die Klasse schon fast zur Hälfte finanziert.
Kann man beziffern, was die Sportklassen im Jahr kosten?
Nein, dieses Budget ist Bestandteil der Schulbudgets. Bei der Sek I haben wir zusätzliche Stellenprozente, weil Niveau A, E und P in einer Klasse geführt werden. Das Lernbegleitteam hat weniger Lektionen, muss aber denselben Stoff vermitteln. Wenn es auf Stufe Sek II keine zusätzliche Klasse gibt, löst die LSF kaum Zusatzkosten aus. Die Schüler haben ein Jahr länger, aber am Ende genau gleich viele Lektionen wie die Regelschüler.
Seit einiger Zeit haben Sie eine neue Aufgabe abseits des Sportamts: Sie sitzen als Vizepräsident im OK des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfestes (Esaf) 2022. Was lösen die Bilder von Zug 2019 bei Ihnen aus?
Immer noch grösstenteils Vorfreude. Aber auch Respekt vor der Aufgabe. Wir haben andere Rahmenbedingungen, nicht dasselbe Festgelände, sind keine Stadt mit den Möglichkeiten von Zug. Unser Fest wird in kleineren Dimensionen ablaufen, wir haben 5000 Sitzplätze weniger.
Die Arena in Pratteln ist mit 50 900 Plätzen kleiner, einverstanden. Aber um das Stadion herum haben Sie keine Kontrolle: Das Esaf ist aktuell derart im Trend, dass die Leute einfach hinströmen. Dagegen können Sie nichts tun.
Wir wollen die Besucherinnen und Besucher selbstverständlich nicht davon abhalten, zu uns zu kommen. Wir freuen uns auf sie und wollen ihnen ein grossartiges Fest bieten. Auch punkto Finanzierung der Veranstaltung ist das Festwochenende mitentscheidend.
Das OK hat das Baselbiet als traditionsbewusste Region präsentiert. Jodler, Trachten, Alphörner, Schwinger – davon haben wir objektiv betrachtet sehr wenig. Ist es nicht paradox, eine Folklore zu verkaufen und danach den «Tag der lebendigen Traditionen» zu gründen, um diese Folklore überhaupt am Leben zu halten?
Das Fest ist eine Chance, die Traditionen zu zeigen und zu stärken. Uns ist bewusst, dass es die Jodler-, Trachtenund Schwingervereine nicht einfach haben. Sie sollen durch das Esaf einen Aufschwung erleben. Das Fest dauert ein Wochenende lang, aber dabei soll es nicht bleiben. Das Baselbiet soll eine bleibende Wirkung spüren. Die Identifikation mit dem eigenen Land ist nirgends so stark wie beim Schwingen. Ein Nationalspiel, das es nur bei uns gibt. Unsere Region ist nur alle 45 Jahre als Esaf-Organisator dran. Fast drei Jahre vor dem Fest hatten wir diesen Sommer bereits 800 Menschen, die sich für einen Helfereinsatz eingetragen haben. Das gäbe es bei keinem anderen Anlass.
Zur Person
wis. Der Zeglinger Thomas Beugger (54) ist seit 2001 Leiter des Sportamts Baselland. Das Baselbiet war 1991 der erste Kanton, der sich ein Sportgesetz gab. Dieses sowie das Bundesgesetz über die Sportförderung legen die Grundsätze für das Handeln des Sportamts. Die Kernaufgaben umfassen unter anderem die Ausbildung von Leitenden und Fortbildung von Sportlehrpersonen, das Veranstalten von Breitensportanlässen und die Beratung von Gemeinden, Vereinen oder Einzelpersonen in Sportfragen. Das Sportamt stellt die Verwaltung des Swisslos-Sportfonds Baselland sicher.