«Ich will nicht einfach ein nächstes Album»
09.01.2020 Bezirk Liestal, KulturMichèle Degen
Ira May, wie werden Sie das Jahr 2019 in Erinnerung behalten?
Ira May: Ich habe das Gefühl, dass es sehr kurz war. Vor einem Jahr habe ich wieder eine Stelle im Detailhandel angenommen. Daneben habe ich geplant, wie es musikalisch ...
Michèle Degen
Ira May, wie werden Sie das Jahr 2019 in Erinnerung behalten?
Ira May: Ich habe das Gefühl, dass es sehr kurz war. Vor einem Jahr habe ich wieder eine Stelle im Detailhandel angenommen. Daneben habe ich geplant, wie es musikalisch weitergehen soll. Ich habe eine Single rausgebracht und mit meiner Band wenige Konzerte gegeben. Dass es nicht so viele Auftritte waren, ist mir entgegengekommen, weil ich daran bin, neue Sachen zu machen.
Sie waren also froh, dass Sie die Zeit für die Arbeit hinter den Kulissen nutzen konnten?
Ja, obwohl ich sie dann nicht wirklich so nutzen konnte wie geplant. Ich arbeite wieder 60 Prozent und das hat mich doch ziemlich vereinnahmt. Die Kreativität kam ein bisschen zu kurz.
In einem Interview haben Sie Anfang des Jahres gesagt, Sie seien an einem grösseren Projekt, das ganz anders werden soll als Ihre bisherigen Alben. Das ist demzufolge noch nicht sehr fortgeschritten?
In meinem Kopf schon. Ein Problem ist, dass ich ohne Label arbeite. Universal hat die Option für das zweite Album nicht gezogen. Für mich bedeutet das einerseits grosse künstlerische Freiheit, andererseits keine Finanzen. Bisher fehlt also auch einfach das Geld, um ein neues Album zu produzieren. Der erste Schritt im neuen Projekt ist deshalb, mit Anfragen an Sponsoren und Stiftungen Geld zu generieren.
Wie läuft das bisher?
Wir sind noch nicht sehr weit. Ich warte derzeit auf den Bescheid von einem grösseren Investor. Es ist nicht so einfach, weil es zwar viele Stiftungen in Richtung Musik gibt, aber 90 Prozent davon auf klassische Musik ausgerichtet sind. Es ist also sehr schwierig, etwas zu finden. Wir haben zum Beispiel einen Beitrag vom Rockförderverein (RFV) Basel erhalten. Sie haben aber sehr viele Künstleranfragen und möchten möglichst viele unterstützen. Für die Produktion eines Albums ist das dann eher ein kleiner Zustupf.
Was kostet es, ein Album zu produzieren?
Mit der Promo, einem Video und allem Drum und Dran sprechen wir sicher von 45 000 Franken. Für die Albumproduktion alleine, würde ich sagen, so um die 25 000 Franken. Zumindest für ein Album in der Grössenordnung, wie ich es machen möchte.
Mit einem neuen Projekt möchten Sie sich also mit einem Knall zurückmelden?
Schon, es soll aber vor allem so klingen, wie ich es gerne hätte. Und das ist gar nicht so einfach, da ich abhängig von anderen Leuten bin. Ich muss die richtigen Personen finden, die verstehen, was ich meine, und das umsetzen können. Das ist eine Herausforderung. Auch, weil Soul eine Nische ist, gerade in der Schweiz. Ich überlege mir deshalb, mit Produzenten aus England oder den USA zusammenzuarbeiten. Aber das ist noch nicht spruchreif.
Welche Vorteile hätte das?
In England oder den USA gibt es viel mehr Leute, die in diese Musikrichtung arbeiten. Ich könnte schon noch einmal ein Album mit Produzenten aus der Schweiz oder Deutschland realisieren. Aber ich habe das Gefühl, um als Künstlerin zu wachsen, muss ich einmal einen Schritt raus aus der Region machen und mit anderen Personen zusammenarbeiten. Wenn ich den Aufwand betreibe für ein neues Projekt, stellt sich mir jetzt die Frage, ob ich dann nicht lieber aus meiner Komfortzone heraustrete. Denn ich will nicht einfach ein nächstes Album, ich will mein Album.
Möchten Sie sich in einem Werk musikalisch komplett neu erfinden?
Nein, es soll sich einfach sehr von dem abheben, was ich bisher gemacht habe. Vor allem, was den Sound betrifft. Es soll anders und es soll besser werden, aber es ist keine Neuerfindung.
Es könnte also noch etwas dauern, bis Ihre Fans etwas davon hören.
Ein Album ist ein riesiger Aufwand, wenn man es richtig machen will. Es braucht Zeit und Energie. Und man kann es nicht erzwingen. Wenn man das versucht, scheitert es. Ich will nicht einfach etwas veröffentlichen, damit etwas draussen ist.
Haben Sie keine Angst, als Musikerin in Vergessenheit zu geraten?
Nein, gar nicht. Auch aus dem Grund, weil es noch so viele Leute gibt, die mich nicht kennen. Es spielt also keine Rolle. Das neue Album soll in einem natürlichen Prozess entstehen. Und dafür musste ich im vergangenen Jahr zuerst meinen Kopf freischaufeln und mich von meiner Anfangskrise erholen. Da hatte ich noch vieles aufzuholen. In den vergangenen Monaten habe ich gemerkt, dass alles wieder einen natürlicheren Fluss hat und auch die Freude zurückkehrt. Das möchte ich nicht pushen. Ich bin froh, dass kein Druck dazu besteht. Auch nicht von einem Label.
Welchen Anspruch soll Ihr neues Album erfüllen?
Ich möchte nicht eine Platte machen, nur, um damit Erfolg zu haben. Mein Ziel ist es, ein Album zu machen, das ich komplett durchhören kann und einfach nur gut finde. Das ist auch das, was ich am Anfang mit der Band gemacht habe, ganz ohne Druck. Und weil wir das gemacht haben, was wir selbst gut fanden, kam es wohl auch gut an. Deshalb möchte ich weg von dem Druck, dass die Musik kommerziell funktionieren muss. Bisher gab es immer Kompromisse und das war okay. Aber jetzt möchte ich wieder etwas machen, das zu 100 Prozent ich bin.
Eine andere Einkunftsquelle, wie Sie sie nun im Detailhandel haben, hilft sicher, diesen Druck zu nehmen.
Ich bin sehr froh um den Job. Ich denke auch darüber nach, noch eine zweite Ausbildung zu machen.
In welche Richtung?
Ich könnte mir Eventmanagement vorstellen. Ich plane gerne Projekte und setze sie um. Was mich auch interessieren würde, wäre etwas in Richtung Komplementärmedizin. Allerdings ist das auch ein unsicherer Berufszweig und ich möchte nicht zwei Standbeine haben, die unsicher sind. Finanziell gab es jetzt lange Zeit eine Vermischung durch mich als Privatperson und als Künstlerin. Das ist schwierig. Deshalb wünsche ich mir, dass ich nicht auf das angewiesen bin, was ich mit der Musik verdiene. So würde auch wieder ein gewisser Druck verschwinden, was ich schön fände.
Sie haben es bereits erwähnt: Soul ist eine Nische im Schweizer Musikmarkt. War das schon immer so oder nahm er einmal mehr Platz ein?
Der Soul hatte in den Nuller-Jahren mit Amy Winehouse und Duffy ein Revival. Das ist heute nicht mehr so stark, kommt aber bestimmt wieder. In England ist der Markt viel grösser und wird mehr wertgeschätzt. Die Schweiz ist einfach klein und in der Musik spürt man das. Das ist nichts Schlimmes, aber es lässt einen darüber nachdenken, ob man es vielleicht einmal an einem anderen Ort versuchen sollte. Ich kann mir vorstellen, dass mich eine kleine Tour durch verschiedene Pubs in England glücklicher machen würde, als einzelne grössere Konzerte in der Schweiz. Ich habe das Gefühl, die Wertschätzung für die Musik selber wäre grösser. In der Schweiz wird meine Musik vor allem auf meine Stimme bezogen und weniger auf den Sound.
Machen die Leute tatsächlich einen Unterschied zwischen der Stimme und der Musik?
Unbewusst. Das ist zumindest mein Eindruck. Es gibt die Personen, welche die Musik sensationell finden. Häufig gefällt den Leuten die Tatsache, dass ich als Schweizerin gut singe aber besser, als die Musik an sich. Auch der Markt in der Schweiz ist schwieriger für mich, weil die Leute zwar stolz darauf sind, jemanden zu haben, der gut singen kann, aber die Musik selbst besetzt eine Nische, sodass ich immer in einem Twist stecke. Ich möchte, dass meine Musik kommerziell funktioniert, doch die Community für diese Musikrichtung ist in der Schweiz extrem klein. Ich würde gerne in einen Kreis hineinkommen, in dem diese Musik gelebt wird. Damit meine ich nicht, dass ich eine grössere Fanbase will, ich möchte einfach einmal das Gefühl haben, dass ich am richtigen Ort bin. Das habe ich im Moment nicht.
Wie kommen Sie zu diesem Eindruck?
Ich fühle mich auf dem Schweizer Musikmarkt einfach nicht wohl.Zum Beispiel, wenn ich an irgendwelchen Preisverleihungen bin, habe ich das Gefühl, nicht so richtig reinzupassen. Und das hat nichts mit den anderen Künstlern zu tun.
Wie gut kann man in der Schweiz davon leben, Künstler oder Künstlerin zu sein?
Wenn man regelmässig Konzerte gibt, geht das in der Schweiz. Wenn ich beispielsweise zu meinem Lohn im Detailhandel noch jeweils ein bis zwei Konzerte im Monat gehabt hätte, wäre das absolut okay gewesen. Jemand, der regelmässig auftritt, kann sehr wohl davon leben. Das hängt natürlich von den Ansprüchen an den eigenen Lebensstil ab. Die Konzerte sind das Einzige, mit dem man noch wirklich Geld verdient.
Sie hatten im vergangenen Jahr aber nur sieben Auftritte, sofern ich richtig gezählt habe. Warum, wenn nur das Geld bringt?
Sieben? Das könnte hinkommen. Das liegt aber einerseits daran, dass ich seit 2016 nichts Neues mehr veröffentlicht habe und ich nicht mehr ganz so viele Anfragen habe. Und es gibt auch Konzerte, die ich nicht machen kann, weil ich draufzahlen würde.
Sie werden aber auch in diesem Jahr auf der Bühne zu sehen sein?
Ich werde auch 2020 wieder Konzerte geben, einige stehen bereits in der Agenda. Ich freue mich darauf, wenn ich dann mit den neuen Sachen auftreten kann. Irgendwann hat man die Lieder vom letzten Album gehört. Und ich merke auch, dass ich sehr gerne im Hintergrund arbeite. Vielleicht ändert sich das wieder, wenn ich mit neuen Songs auf die Bühne kann. Aber im Moment ist mir wohl dabei, dass ich nicht so häufig in der Öffentlichkeit stehe.
Was haben Sie sich sonst für das neue Jahr vorgenommen?
Im Januar oder Februar sollte eine Single rauskommen. Wieder ein Feature mit dem Produzenten Shuko. Musikalisch ist es nochmals etwas ganz anderes als das, was ich bisher gemacht habe. Danach möchte ich die Dinge weiterverfolgen, die ich 2019 angegangen bin. Mein Ziel ist es eigentlich, dass ich in einem Jahr mit der Musik bereit bin und das Album vielleicht 2021 veröffentlichen könnte.
Wir hören also doch bald etwas Neues von Ihnen.
Ja, doch der Veröffentlichungstermin ist noch nicht ganz klar. Wir werden die Single nicht speziell bewerben, es soll einfach wieder einmal ein Lebenszeichen von mir sein.
Zur Person
md. Ira May, die mit bürgerlichem Namen Iris Bösiger heisst, ist in Gelterkinden aufgewachsen und wohnt heute in Liestal. 2014 schaffte die gelernte Detailhandelsfachfrau mit ihrem Debütalbum «The Spell» den Durchbruch und kletterte direkt auf Platz eins der Schweizer Charts. Über Nacht wurde die heute 32-Jährige berühmt. Nach dem Höhenflug folgte jedoch der Fall: Ira May litt unter Panikattacken und zog sich für ein Jahr zurück. 2016 erschien dann ihr zweites Album «Eye of the Beholder». Es hielt sich mehrere Wochen in den Top 10.