«Die ohnehin schon tiefen Holzpreise brachen noch mehr ein»
24.12.2019 Baselbiet, LandwirtschaftNACHGEFRAGT | MARKUS LÜDIN, REVIERFÖRSTER ANWIL, HEMMIKEN, OLTINGEN, ORMALINGEN, ROTHENFLUH UND WENSLINGEN
Herr Lüdin, wie haben Sie als Revierförster den 26. Dezember 1999 erlebt?
Markus Lüdin: Wegen der starken Winde war es ein hektischer Tag. Etwa um zehn Uhr ...
NACHGEFRAGT | MARKUS LÜDIN, REVIERFÖRSTER ANWIL, HEMMIKEN, OLTINGEN, ORMALINGEN, ROTHENFLUH UND WENSLINGEN
Herr Lüdin, wie haben Sie als Revierförster den 26. Dezember 1999 erlebt?
Markus Lüdin: Wegen der starken Winde war es ein hektischer Tag. Etwa um zehn Uhr habe ich auf einem Schopf bei meinem Haus ein paar heruntergefallene Dachziegel nachgelegt. Dann kam der Alarm der Zivilschutzorganisation Gelterkinden. Unter anderem räumten wir im Park neben dem Altersheim ein paar Bäume weg. Gegen 15 Uhr, der Sturm war vorbei, war ich in Rothenfluh. Aus Sicherheitsgründen waren sämtliche Strassen und Wege in den Waldgebieten für den privaten Verkehr bereits gesperrt. Schnell war klar, dass es sich um ein grösseres Ereignis handeln musste. Um das weitere Vorgehen festlegen zu können, war ein Überblick über die Lage erforderlich. Da verschiedene Anläufe, die Schadengebiete motorisiert zu erreichen, scheiterten, rekognostizierte ich zu Fuss. Es bestätigte sich bald, dass der Forstbetrieb personell und materiell nicht in der Lage war, das Ereignis ohne Unterstützung von aussen zu bewältigen und insbesondere die Verkehrswege innert nützlicher Frist wieder zu öffnen.
Wie gestaltete sich das Aufräumen?
Das weitere Vorgehen geschah in Zusammenarbeit mit dem Kantonsforstingenieur und mit Kreisforstingenieur Ernst Spahr sowie mit weiteren verantwortlichen Stellen im Kanton. Angesichts des grossen Ausmasses der Schäden mussten die Aufräumarbeiten koordiniert werden. Es wurde entschieden, die Kantonsstrasse von Rothenfluh nach Wittnau weiterhin zu sperren und für das Wegräumen der Stämme schweres Material einzusetzen. So konnte während acht Wochen von der Ruepp AG ein 21-Tonnen-Bagger samt Personal zugemietet werden, womit die schweren Bäume Schicht für Schicht und vor allem sicher entfernt werden konnten.
Welche Gefahren lauerten dabei?
Viele Stämme standen unter grossen Spannungen, die sich beim Einsägen blitzartig lösen konnten. Dank dieser Praxis hatten wir keine nennenswerten Unfälle. In den Hängen transportierte ein Forstunternehmen das Fallholz mittels Seilkran ab. Die Basellandschaftliche Gebäudeversicherung entschädigte die Bürgergemeinde Rothenfluh für den Minderwert des Holzes und den zusätzlichen Aufwand für das Aufrüsten mit rund 250 000 Franken. Heute bekämen wir wegen der inzwischen geänderten Bedingungen vielleicht noch ein Viertel dieser Summe. Im 130 Hektaren haltenden Privatwald «Wischberg» passierte nicht viel. Auf dem Plateau gab es Streuschäden, wie sonst bei einem Starkwind.
Welche Lehren hat man aus «Lothar» gezogen?
Die grössten Schadflächen lagen in Gebieten mit überalterten Fichtenbeständen, die einst als Reinkulturen angelegt wurden. Die Forstbetriebe wurden verpflichtet, die Brachflächen möglichst rasch wieder aufzuforsten. In der Folge wurden Tausende standortgerechter Pflanzen aller Art eingebracht. Doch vieles würde man heute anders angehen und der Natur mehr Freiraum lassen. Das wäre wesentlich kostengünstiger. Denn die Natur hat für alle Ereignisse eine Lösung und braucht dazu den Menschen nicht. Nur der Mensch spricht von «Schäden». Heute haben wir die Auflage, 5 bis 10 Kubikmeter Totholz pro Hektare stehen zu lassen.
Wie wirkt «Lothar» heute noch nach?
Es sind nur noch wenige dürre Stämme vorhanden, die man damals aus Naturschutzgründen stehen gelassen hat. Auf den einstigen Kahlflächen ist dank des Lichteinfalls ein vitaler, artenreicher Wald herangewachsen. Einzelne Flächen in der Grösse von etwa 10 Aren werden bewusst freigehalten und sind mit Weichhölzern, wie etwa Linde und Weide, als Fegbäume für das Rehwild bestockt.
Wie hat sich «Lothar» wirtschaftlich ausgewirkt?
Die ohnehin schon tiefen Holzpreise brachen angesichts des Überangebots noch mehr ein. Die Forstbetriebe wurden deshalb angewiesen, die ordentlichen Holzschläge zurückzustellen. Im Wald wurden grosse Stammholzlager angelegt und mit Folien abgedeckt. So konnte das Nutzholz ohne wesentliche Qualitätseinbusse gelagert und dosiert auf den Markt gebracht werden. Die Sägereien in Hellikon und Zeglingen zeigten sich sehr kooperativ und nahmen grosse Mengen Nutzholz ab. Die Preise der meisten Sortimente verharrten über Jahre auf einem tiefen Niveau, zumal weitere Zwangsnutzungen als Folge von Trocken- und Hitzeperioden sowie Befall durch Schädlinge dazukamen. Zahlreiche Forstrechnungen schreiben seit Jahren rote Zahlen und sind auf das Abgelten der gemeinwirtschaftlichen Leistungen durch die Einwohnergemeinden angewiesen.