Er hed esoo gschriibe, wien er gschwätzt hed
07.11.2019 Bezirk Sissach, OltingenHans Gysin war ein feinfühliger Mensch und genauer Beobachter. Seine Mundarttexte in «Oltigerdütsch» sind geprägt von treffsicheren und farbigen Wortbildern. Sie sind der poetische Niederschlag seines bäuerlichen Schaffens und des Dichtens.
Heiner Oberer
Für ...
Hans Gysin war ein feinfühliger Mensch und genauer Beobachter. Seine Mundarttexte in «Oltigerdütsch» sind geprägt von treffsicheren und farbigen Wortbildern. Sie sind der poetische Niederschlag seines bäuerlichen Schaffens und des Dichtens.
Heiner Oberer
Für Verena Burri-Gysin (59) war ihr Grossvater sehr wichtig. Burris Grossvater Hans Gysin-Gysin (1882–1969), der am 10. November vor 50 Jahren nach kurzer Krankheit verstorben ist und von dem die Enkelin heute sagt: «Er hat mich geprägt. Mit seinen Geschichten und seiner Liebe. Mit seiner unaufgeregten Ruhe, die er ausgestrahlt hat.» Beim Archivieren und Durchsehen der zahlreichen handgeschriebenen Dokumente fühlt sie sich ihm auch heute noch nahe.
D Liebi
D Liebi isch vrständliger as dr Verstand.
D Liebi gseet meer as d Auge.
Si ghöört besser as d Oore. Und isch beredter as d Zunge.
D Liebi cha reeden am rächten Oort.
D Liebi cha schwyge und säit käs Woort.
D Liebi goot für e Fründ duur s Füür.
D Liebi cha roote, wo guete Root tüür.
D Liebi git gäärn e lindi Stroof. D Liebi het ganz e lyse Schloof.
D Liebi isch ganz e guete Chooch. D Liebi vrstoot e jedi Sprooch.
Wir sitzen in der Stube von Verena Burris Wohnhaus in Wenslingen. Die Nachbarskatze begrüsst die fremden Gäste mit einem wohlwollenden Blick durch die Verandatüre. An der Wand steht ein Klavier. «Das hat meinem Grossvater gehört. Er konnte zwar nicht Klavier spielen, hat aber einfache Melodien für einzelne seiner Gedichte komponiert.»
Hans Gysin war ein begnadeter Geschichtenerzähler. «Als Kind war ich von Grossvaters Erzählungen fasziniert. Speziell wenn er von seiner Jugendzeit erzählt hat», erinnert sich Verena Burri. Dann sei sie mucksmäuschenstill neben ihm auf dem Kanapee gesessen und habe gespannt seinen teils wahren, aber auch erfundenen Geschichten gelauscht.
E billige Mooler
Mr häi hüt znacht dr Mooler ghaa. Gäll, das isch doch e braave Maa? Er het is d Pfääschter gmoolet, früsch Und s lit kä Rächnig uf em Disch. Das isch jo enzig uf dr Wält: Dää schaffet nid um s läidig Gält! Still, wen er choo isch, isch er ab, Mr häin is au verwunderet drab. En andere hät is gwüss versoolt, Hät nit vrgääbe d Schybe gmoolt. Wenn äin set öppis z moole haa, So rootenem dää Mooler aa!
Hans Gysin, «Metzgerhans», geboren am 14. April 1882, hat sein ganzes Leben in Oltingen verbracht. In der «Sandgrube» (Haus 79) am Dorfrand Richtung Schafmatt und zeitweise auf dem Nebenhof Barmen. Wie seine Vorfahren war Gysin ein Leben lang Bauer. Das mit Herz und Seele. Am 14. Juni 1923 heiratet er Katharina Gysin aus der Nachbarschaft und wird Vater von fünf Kindern. Sein Leben war geprägt von Arbeit. Angesprochen auf seine Ausbildung, so Verena Burri, habe er immer gesagt: Er habe die Hochschule des Lebens besucht.
Der Landwirt und Bauerndichter Gysin hat neben der Schriftsprache vorwiegend in der speziellen Mundart seines Dorfs geschrieben. Er legte Wert darauf, in reinem «Oltigerdütsch» zu schreiben. Er hat Tausende von handschriftlichen Gedichten verfasst und Hunderte Kurzgeschichten geschrieben. Er hat die Bibel in Baselbieter Mundart übersetzt und Krippenspiele und Theaterstücke verfasst.
Mit Freunden und Bekannten stand er in regem Briefwechsel. Hat Lesungen und Vorträge weit über die Kantonsgrenze hinaus gehalten. Einem breiteren Publikum wurde er auch durch Ausstrahlungen am Radio bekannt.
Schwyge
Es git Lüt, die chönne in frönde Sprooche rede,
Aber i dr äigene nit schwyge!
Es git meer Redner as Schwyger! Es git meer Läärmer as Gyger!
E männge cha rede zu jeder Zyt. Aber schwyge – schwyge chan er nid.
Es isch allwääg e gscheiti Frau! Worum? I ha se scho ghöört schwyge.
Für daas, wo geschter isch verheit, Do sy mer allwääg hüt jo gscheit. Aber doch ämänd vilicht Nit für daas, wo hüt verbricht.
Verena Burri hat als Nachlassverwalterin die über tausend handbeschriebenen Blätter, Zettel und Notizbücher von ihrem Grossvater fein säuberlich archiviert. «Sobald ich alles geordnet habe, werde ich den Nachlass dem Staatsarchiv Baselland übergeben.» Sie werde beim Archivieren allerdings immer wieder abgelenkt, wenn sie auf Geschichten oder Gedichte stosse, die sie nicht mehr loslassen, sagt sie. Dabei fallen ihr immer wieder die genauen Beschreibungen von Menschen, der Natur und Tätigkeiten in Haus und Feld auf. «Für ihn war alles eins: Bauer, Dichter und Privatmensch. Nur so lässt sich die enorme Fülle seines literarischen Schaffens erklären.»
Auf der Dichtertafel im Heimatmuseum Oltingen-Wenslingen-Anwil zu Ehren von Hans Gysin wird das Schaffen des Bauerndichters unter anderem wie folgt beschrieben: «Gysin war ein sehr genauer Beobachter und feinfühliger Mitmensch, was sich niederschlug in treffsicheren und farbigen Wortbildern. Thematisch kreiste sein Schreiben, fein und oft mit einer Prise Humor gewürzt, um Natur, Heimat, das menschliche Wesen, Glaube und Demut und das Weltgeschehen.»
Dr Wäägwyser
Wenn d Möntschhäit ame Chrüzwääg stoot,
Und nümm rächt wäiss, wos aane goot,
So set si halt e Wyser haa,
Äin, joo, churz gsäit: e Maa!
Äin, joo, wo d Wooret kennt und säit
Und nit si i den Angle dräit,
Nodäm, as grad dr Wind hüt wäit!
Gysin wollte, dass seine Gedichte und Geschichten gelesen werden: «Er wollte wohl etwas bewirken. Die Menschen zum Denken anregen», sagt seine Enkelin. Er sei sehr hartnäckig gewesen. Wenn zum Beispiel ein eingereichter Text von einer Zeitung zurückgeschickt worden sei, habe er sich nicht entmutigen lassen, sondern es mit weiteren Gedichten und Texten probiert. Gysin war gläubig, aber nie frömmlerisch. «Der Glaube an Gott hat ihm über manchen Schicksalsschlag hinweggeholfen.»
Hans Gysin hat in einer kleinen Welt gelebt. In Oltingen, wo das Leben tagein, tagaus seinen gewohnten Gang genommen hat. «Man hat sich nach den Jahreszeiten gerichtet», sagt Burri. Jacques Schaub-Erny schrieb in der «Volksstimme» vom 10. November 1989 zum 20. Todestag von Hans Gysin: «… was er schrieb (Gysin), war der poetische Niederschlag seines bäuerlichen Schaffens und des Dichtens und Denkens eines grundehrlichen Christenmenschen, der, wie er einmal schrieb, schon als Bub die ganze Bibel durchgelesen hat, obwohl er lange nicht alles verstand …»
I bii bi diir
«I bii bi diir!» Isch das nid gnue?
Und drücken is au d Wanderschue,
So wüsse mr: Er goot halt ue,
Dr Wääg, dr Wääg im Himmel zue.
«I bii bi diir!» We duet das guet, We git das Chraft, we git das Muet. Isch männgisch schwach au Fläisch und Bluet: Dr Gäischt ischs joo, wo Wunder duet!
«I bii bi diir!» Mr holtes fescht, Das isch vo allem Guete s Bescht. Wenns noo stürmt us Oscht und Wescht: Käi Sturm gits, wo das Liecht verlöscht!
Zum Schluss eine Anekdote, an die sich eine Wenslingerin (1945), die anonym bleiben will, erinnern kann: «Am Erntedankfest im Gemeindesaal um 1955 mussten wir Lieder vortragen. Dazwischen trug Gysin Gedichte vor. Er setzte sich jeweils gerade hin, musterte uns über die Brillengläser, was dazu führte, dass die ganze Klasse, zum Missfallen des Lehrers, zu kichern begann. Mit klarer Stimme begann der Dichter»:
Bscheideheit
Bscheideheit? Jojo, die isch guet,
Aber wyters chunnt, wär anderscht tuet,
S gschwule git und z vorderscht vüre stoht,
Nit em Schicksal alls grad überlot!
Wär am Läbesmärt gar z bscheiden isch, Jo, dä wüscht me halt grad undre Tisch; Und es chräit keis Güggeli drno,
Er blybt dunde, wird nümm vürecho!
Mit dr Gablen ässen isch en Ehr,
Mit em Löffel, do vrwütscht me mehr!
Mit den Elleböge macht me Bahn;
Wird drfür elleig im Chorb dr Hahn!
«Nicht gerade Gedichte, die 11- bis 13-jährige Mädchen und Buben von den Bänken gerissen hätten», fährt die Gewährsfrau fort. «Liest man die Gedichte und Geschichten von Hans Gysin heute, wird einem allerdings immer wieder bewusst, dass sie nichts von ihrer Weisheit und Feinfühligkeit verloren haben.»
Zwei Veranstaltungen
hob. Zum Gedenken an Hans Gysin finden zwei Veranstaltungen statt:
Sonntag, 10. November, 10.30 Uhr, Kirche Oltingen, Matinee und Lesung mit anschliessendem Apéro. Dieser Anlass wird von den Enkelkindern Verena Burri-Gysin, Johannes Schaub und Pfarrer Christian Bühler gestaltet.
Dienstag, 12. November, 19.30 Uhr, Dichterund Stadtmuseum, Liestal, «Unvergessene Worte in Prosa und Poesie». Museumsleiter Dr. Stefan Hess unterhält sich mit Verena Burri-Gysin und Hans Dähler. Dazwischen gibt es Lesungen, Originaltoneinspielungen und Liedbeiträge.