Wann berichtet SRF korrekt – und wann nicht?
24.10.2019 Baselbiet, KulturAndreas Bitterlin
Herr Blum, sind Sie bei der Beurteilung von Sendungen Richter, Zensor oder Moralist?
Roger Blum: Eigentlich alles und nichts von diesen drei Möglichkeiten, wobei die beiden Versionen «alles» und «nichts» dieser Antwort nicht ...
Andreas Bitterlin
Herr Blum, sind Sie bei der Beurteilung von Sendungen Richter, Zensor oder Moralist?
Roger Blum: Eigentlich alles und nichts von diesen drei Möglichkeiten, wobei die beiden Versionen «alles» und «nichts» dieser Antwort nicht vollumfänglich zutreffend sind, sie müssen abgestuft und nuanciert interpretiert werden. Meine Aufgabe ist es, abzuwägen zwischen den Interessen und Anliegen des Publikums einerseits und der Medienfreiheit andererseits. Ich bin Anwalt des Publikums – aber nur in dem Masse, wie es die Medienfreiheit erträgt. Letztlich muss ich prüfen, ob das Publikum durch eine Sendung oder eine Publikation offensichtlich und bewusst manipuliert worden ist. Wenn das nicht der Fall ist, geht die Medienfreiheit vor. Das gehört zur Schweiz, in der die Medienfreiheit eine sehr wichtige Rolle spielt.
Ist Ihr Massstab bei der Beurteilung von Sittlichkeit, Sachgerechtigkeit und Diskriminierung allgemeingültiges Gedankengut? Inwiefern ist er von Ihrer subjektiven Wertvorstellung geprägt?
Das subjektive Empfinden spielt immer eine Rolle, aber das Radio- und Fernsehgesetz gibt Leitplanken vor. Sendungen müssen die Grundrechte beachten, sie dürfen nicht diskriminieren und nicht zu Gewalt aufrufen und sie müssen sachgerecht sein. Die Redaktionen dürfen nicht bewusst lügen und manipulieren. Diese Vorgaben des Gesetzes sind eine wichtige Hilfe bei der Entscheidungsfindung der Ombudsstelle. Es ist bemerkenswert, dass ich und mein Stellvertreter jeweils in ähnlich gelagerten Fällen zu denselben Schlüssen kommen wie meine Vorgänger, ohne dass wir deren Beurteilungen vor oder während unserer Arbeit konsultieren.
Welche gesellschaftliche Funktion haben Ihrer Meinung nach die Sendungen von SRF?
Die Bundesverfassung gibt Radio und Fernsehen einen breit gefächerten Auftrag. Sie sollen «zur Bildung und kulturellen Entfaltung, zur freien Meinungsbildung und zur Unterhaltung» beitragen. Die SRG soll zudem eine integrative Wirkung entfalten, insbesondere hinsichtlich verschiedener ethnischer Gruppierungen, Sprachregionen und Religionszugehörigkeiten. Diese Funktionen dienen letztlich der Demokratie. Es geht darum, dass die SRG insbesondere im Informationsbereich einen Beitrag dazu leistet, dass der Souverän in der Schweiz in der Lage ist, seine demokratischen Rechte wahrzunehmen und die Pflichten zu erfüllen.
Mehr als 400 Beanstandungen sind im Jahr 2018 bei Ihnen eingegangen. In 81 Prozent der Fälle hat die Ombudsstelle die Beanstandungen nicht unterstützt, in nahezu 20 Prozent mussten Sie den Klagenden aber vollumfänglich oder teilweise Recht geben. Wie beurteilen Sie im Kontext mit dieser Statistik die journalistische Qualität von SRF?
Ich sehe nur das, was beanstandet wird. Das ist keine objektive Ausgangslage. Es gibt schlechte Sendungen, die keine Beanstandungen auslösen, und es gibt hervorragende Sendungen, die Beanstandungen provozieren, weil Menschen verschiedene Aspekte unterschiedlich beurteilen. Der Ombudsmann ist kein endgültiger Indikator für die Beurteilung der Leistungen der SRG, aber ich stelle aus meiner Warte fest, dass die journalistische Arbeit mehrheitlich sehr professionell und gut ausgeführt wird. Der Anteil der gutgeheissenen Beanstandungen zeigt, dass es relativ selten vorkommt, dass grobe Fehlleistungen vorliegen.
Bei einer «Schawinski»-Sendung haben Sie eine Beanstandung aus dem Publikum unterstützt: Sie kritisierten den «leicht verächtlichen Tonfall» von Roger Schawinski im Gespräch mit der ehemaligen Prostituierten Salomé Balthus. Wie begründen Sie dieses Urteil?
Der «verächtliche Tonfall» war letztlich nicht das entscheidende Kriterium, das zum Befund geführt hat, dass die Menschenwürde von Salomé Balthus verletzt worden ist. Die Beurteilung des Tonfalls diente als Beschreibung der Sendung. Entscheidend für meine Beurteilung war die Art und Weise, wie Roger Schawinski seine Gesprächspartnerin überfallmässig konfrontiert hat mit der Frage, ob sie in der Jugend sexuell missbraucht worden sei. Die Abfolge der Fragen, die Dramaturgie und die Leitung des Interviews löste bei einem Teil des Publikums sogar die Verdächtigung aus, dass der Vater der Täter gewesen sei. Dieses Interview zur Privatsphäre beurteilte ich als Verletzung der Menschenwürde von Salomé Balthus.
War diese Gesprächsführung denn aussergewöhnlich bei Roger Schawinski, der ja bekannt dafür ist, dass er regelmässig angriffige und harte Interviews führt?
Wenn Schawinski Politiker befragt, konfrontiert er sie mit deren Aussagen, mit ihrem Verhalten im politischen Leben – aber nicht mit dem Privatleben. Beim Politiker ist das Sexualleben weit weg von der politischen Tätigkeit. Bei einer Prostituierten sind das Privatleben und das Berufsleben nahe verwandt. Aber auch jemand mit diesem Beruf hat Anspruch auf Privatheit. Das ist der Punkt. Bei anderen Gästen hat Schawinski – soweit ich das beurteilen kann – nie derart die Grenze zwischen Privatem und öffentlichem Tun unzulässig überschritten.
Sie haben den Ausdruck «Transen» in der Satiresendung «Giacobbo-Müller» kritisiert. Warum?
Es ging um dasselbe wie bei Frau Balthus, nämlich um Diskriminierung. Es ist äusserst schwierig herauszufinden, was in einer Satiresendung unzulässig ist. Grundsätzlich sollte man der Satire einen weiten Spielraum zugestehen. Aber es gibt Bereiche, in denen grösste Vorsicht geboten ist. Ich umschreibe meine Überzeugung an einem Beispiel: Es ist legitim, einen jüdischen Mitbürger zu kritisieren, weil er in seiner Tätigkeit als Anwalt einen Fehler begangen hat. Hierfür darf man ihn satirisch auf die Schippe nehmen. Aber ihn zu verspotten, weil er Jude ist, das ist unzulässig. Dasselbe gilt für Behinderte oder Transgender. Religiöse oder sexuelle Orientierungen, Angeborenes oder Krankheiten sind dem Spott entzogen. Das war der entscheidende Punkt, warum ich die Beanstandung bei der Transgender-Thematik unterstützte.
Sie hatten kürzlich eine Beanstandung aus dem Baselbiet zu bearbeiten. Die Juso-Präsidentin Ronja Jansen aus Frenkendorf monierte, dass sie in der Satiresendung «LateUpdate» als «Miss Juso» und als «heiss» bezeichnet wurde. Dies sei sexistisch. Warum unterstützten Sie diese Beanstandung und beurteilten diese Form der Satire als unzulässig?
Wiederum, weil die Satire nicht äusserliche Eigenschaften, sondern das Handeln der Menschen verspotten sollte. Ich taxierte die Bemerkung des Satirikers Michael Elsener in seiner überspitzt gespielten Rolle als unvorbereiteter deutscher Reporter als diskriminierend. Wobei ich zugeben muss, dass sie eigentlich den interviewten SP-Präsidenten Christian Levrat provozieren sollte, nicht die Juso-Präsidentin. Aber letztlich war sie die Verletzte.
Sie waren als Landrat des Kantons Baselland Politiker, als Mitglied der Chefredaktion des «Tages-Anzeigers» Journalist und als Professor an der Universität Bern Medienwissenschafter. Wie flossen diese drei unterschiedlichen Attitüden in Ihre Arbeit als Ombudsmann ein?
Die Medien liegen mir am nächsten, aber ich kann alle meine beruflichen Erfahrungen und Kenntnisse einsetzen. Dazu kommt auch noch mein Geschichts- und Staatsrechtsstudium. Es gibt Sendungen, bei denen für das Verständnis Kenntnisse der Geschichte und der Schweizer Politik hilfreich sind.
Sie waren von 1971 bis 1978 im Landrat – welche Beziehung haben Sie heute, über 40 Jahre danach, noch zum Baselbiet?
Ich habe eine intensive und emotionale Beziehung zum Baselbiet. Am meisten ärgerte mich jüngst, dass in einem Beitrag von «Schweiz aktuell» über die Baselbieter Ständeratswahlen als Eingangsbild der Baslerstab und nicht das Baselbieter Wappen gezeigt worden ist. Ich bin nach wie vor Baselbieter. Ich habe Freunde und Verwandte im Kanton und bin bis vor einigen Jahren auch regelmässig am Liestaler Banntag mitmarschiert, was jetzt wegen einer Knieverletzung nicht mehr möglich ist.
2020 geben Sie Ihr Amt als Ombudsmann von SRF Deutschschweiz ab. Ist das Interesse an den Medien nach Ihrer langen Karriere erloschen?
Nein, überhaupt nicht. Ich bleibe wach und Medienkonsument. Mit dem Alter nimmt aber der Ehrgeiz, an der wissenschaftlichen Forschung und an Tagungen intensiv teilzunehmen, ab. Es ist ja auch anstrengend, sich dauernd einem Wettbewerb in der Fachwelt zu stellen. Ich verfolge aber die Medienforschung sicher weiter und werde Medienentwicklungen mit Interesse weiter beobachten.
Zur Person
abi. Der 1945 geborene Roger Blum wuchs in Liestal auf und studierte in Basel Geschichte und Staatsrecht. Seine Dissertation galt der «politischen Beteiligung des Volkes im jungen Kanton Baselland (1832–1875)». 1971–1978 gehörte er als FDP-Mitglied dem Landrat an. Dort initiierte er die Baselbieter Beteiligung an der Universität Basel. Danach ging er vollberuflich in den Journalismus, zuerst bei den «Luzerner Neusten Nachrichten», dann beim «Tages-Anzeiger», wo er auch in der Chefredaktion sass. 1989 wurde er als Professor für Medienwissenschaft an die Universität Bern berufen. 1991–2001 präsidierte er den Schweizer Presserat, 2008–2015 die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI), seit 2016 ist er Ombudsmann für die SRG Deutschschweiz. Seit 2010 lebt er in Köln, wo seine Frau eine Professur für Journalistik innehat. Als Frucht seiner medienwissenschaftlichen Forschungen publizierte er 2014 das Buch «Lautsprecher und Widersprecher. Ein Ansatz zum Vergleich der Mediensysteme».