«Es bitzeli räuchne muess es»
12.09.2019 Bezirk Sissach, Buckten, LandwirtschaftThomas Nebiker macht Hofkäse – traditionell über dem offenen Holzfeuer
Im Käsen hat Thomas Nebiker seine Berufung gefunden. In der selber gebauten Käserei auf dem Birchhof produziert der Buckter milde «Mutschli» und den kräftigen «Wisenberger» im traditionellen Stil, wie er es ...
Thomas Nebiker macht Hofkäse – traditionell über dem offenen Holzfeuer
Im Käsen hat Thomas Nebiker seine Berufung gefunden. In der selber gebauten Käserei auf dem Birchhof produziert der Buckter milde «Mutschli» und den kräftigen «Wisenberger» im traditionellen Stil, wie er es auf der Alp gelernt hat.
Christian Horisberger
Der Galgen ächzt laut unter dem Gewicht des Kupferkessels. Thomas Nebiker schwenkt das randvoll mit Milch gefüllte Gefäss über das offene Feuer in der Ecke einer kleinen Hütte. Mit «Tannigem», weil es schnell und heiss verbrennt, sagt der Mann, der eine weisse Gummischürze trägt, die fast bis zum Boden reicht. Thomas Nebiker ist Käser. In seiner Hofkäserei verarbeitet er einen Teil der Milch des elterlichen Hofs Birch in Buckten. Nach wenigen Minuten lecken die Flammen am russgeschwärzten Kessel. Die Säule im Thermometer in der Milch klettert erst langsam, und wenn das Kupfer richtig heiss geworden ist, immer rascher in die Höhe. 51 bis 52 Grad warm muss der Inhalt werden.
Bevor der Prozess in die heisse Phase ging, hatte der Käser den 300 Litern Rohmilch 42 Milliliter Kälberlab zugegeben. Ungefähr eine Stunde dauerte es, bis die Substanz das Eiweiss in der Milch gebunden und sie in eine gallertartige Masse umgewandelt hat. Mit der Käseharfe, eine Art langgezogener Eierschneider mit Stahlsaiten, zerteilte Nebiker die eingedickte Milch erst zum groben «Bruch» und dann mit weiterem gemächlichen Rühren der Harfe im Kessel den «Bruch» zum feinen «Korn».
Rührwerk mit Antrieb aus Auto
Als die Stückchen im Kessel die Grösse von Hüttenkäsekörnern hatten, legte Nebiker die Harfe weg und setzte das elektrische Rührwerk auf den Kessel. Angetrieben wird der Propeller, der die Wärme gleichmässig im Kessel verteilt, von einem Scheibenwischermotor aus einem alten Subaru, sagt Nebiker mit dem Anflug eines Lächelns. Den Strom liefern zwei hintereinander geschaltete Autobatterien. Das Rührwerk habe er gekauft und optimiert, das Häuschen, in dem er einen Teil der Hof-Milch verarbeitet, mit der tatkräftigen Unterstützung seines Vaters und Bruders gebaut – mitsamt Wasseranschluss und Rauchabzug. Weder der Boden noch die Wände sind gekachelt, man sieht dem Häuschen das Prädikat Eigenbau an. Es sollte möglichst günstig sein, kommentiert Nebiker. Er habe anfangs ja nicht gewusst, ob es ein Hobby bleiben oder er das Käsen professionell betreiben würde. Aber es ist alles da, was es zur Käseherstellung braucht, und das kantonale Lebensmittelinspektorat hat der Buckter Hofkäserei die Betriebsbewilligung ausgestellt.
Die Sicherheit und Präzision der Handgriffe Nebikers und das lückenlose Protokollieren des Produktionsprozesses deuten auf Routine hin. Weit gefehlt. Bis vor wenigen Jahren kannte der gelernte Polymechaniker Käse nur vom Zmorge und vom Znacht. Nach der Lehre heuerte der heute 30-Jährige sofort bei einem Transportunternehmen als Chauffeur an, nebenbei arbeitete er auf dem elterlichen Hof mit, wo er noch immer lebt. Im Sommer 2016 entschied er sich für einen Tapetenwechsel, etwas Neues: Er verbrachte einen Sommer auf der Alp.Von Mitte Juni bis Ende September trieb er mit einem Helfer 30 Kühe hoch über Grindelwald von Bergweide zu Bergweide. Die gemolkene Alpmilch wurde jeden Tag zu Käse verarbeitet. Zuvor hatte sich der Unterländer in einem Alpsennenkurs für die gut 100 Tage in den Bergen vorbereitet.
«Das kann nicht jeder»
Während jenes Sommers ist Nebiker nicht nur jeder Handgriff in Fleisch und Blut übergegangen. Das traditionelle Handwerk hat ihn richtiggehend gepackt. «Es ist etwas Besonderes, das kann nicht jeder», sagt er mit einem Anflug von Stolz. Die rasch verderbliche Milch mit dem Verkäsen haltbar zu machen, das fasziniere ihn. Ausserdem sei die Wertschöpfung für die Hofmilch höher. Sein Vater, der letzte Milchbauer Bucktens, erhalte von den Verarbeitern pro Liter um die 50 Rappen, er bezahle ihm für die Milch 80.
Noch produziert Nebiker relativ kleine Mengen. Dreimal pro Woche macht er in der kleinen Hofkäserei Feuer unter dem «Chessi». Daraus ergeben sich jeweils 25 bis 30 Kilogramm Käse. Beim Besuch der «Volksstimme» fabriziert er seinen harten «Wisenberger» – im Stil des Bergkäses, den er auf der Alp im Berner Oberland gemacht hatte. «Dafür müssen die Körner besonders fein sein, damit viel Flüssigkeit austreten kann», erklärt der Fachmann, «je weniger Flüssigkeit, desto härter der Käse.» Anschliessend reift der Wisenberger bei zwölf Grad sechs bis zehn Monate. Die optimale Reife hat er nach zwölf Monaten, «je älter, desto besser». Da er aber noch kein so grosses Lager habe, müsse er den Käse leider schon vor seiner optimalen Reife in den Verkauf geben.
Bereits nach einem bis zwei Monaten für den Verkauf bereit sind Nebikers crèmige «Mutschli»: nature, mit Chili, Schnittlauch oder Pizza-Kräutern. Ausserdem tüftelt er an einer Sorte, die dem Gruyère, seinem persönlichen Favoriten, nahekommt. Raclette-Käse hat er bereits im Sortiment, aber so richtig zufrieden ist er damit noch nicht. Hier sei es die Kunst, ihn so hinzubekommen, dass er beim Schmelzen nicht ausölt. Um seinen Raclettekäse zu perfektionieren, will er sich bei einem Käserei-Berater Tipps holen. Denn: «Beim Raclette sind die Leute besonders heikel.» Nebikers Ehrgeiz, seine Gewissenhaftigkeit und sein Geschäftssinn gebieten ihm, dem Anspruch der Konsumenten gerecht zu werden.
Regio-Käse gefragt
Käse aus dem Baselbiet ist rar. Der Buckter weiss von aktuell fünf weiteren Produzenten: der Regio-Molkerei beider Basel in Frenkendorf, dem «Dietisberg» sowie von drei weiteren Kleinproduzenten in Eptingen, Reigoldswil und Liesberg. Nebiker ist der einzige im Bund, der über dem offenem Feuer käst. Manche seiner Kunden fänden, der Käse habe davon ein leichtes Räucher-Aroma, sagt Nebiker. Er selber schmecke es nicht mehr. «Ich habe inzwischen wohl zu viel Rauch abbekommen.» Die offene Feuerstelle ist einerseits ein Verkaufsargument. Andererseits gehört für den Buckter zum Käsen ganz einfach kein Gas-, sondern ein Holzfeuer unters «Chessi». So hat er es auf der Alp gelernt. So ist es Tradition.
Seit drei Jahren mischt der Oberbaselbieter nun im Käsegeschäft mit. Das enorm grosse Angebot in den Kühlregalen der Detaillisten habe ihn nicht davon abgehalten, einzusteigen. «Es gibt sicherlich nicht zu wenig Käse auf dem Markt, aber zu wenig aus der Region», sagt Nebiker selbstbewusst. Seine Produkte sind in verschiedenen Oberbaselbieter Volg-Filialen erhältlich, im Bergladen des «Dietisberg» in Sissach, im Käseladen in Gelterkinden und direkt auf dem Hof Birch.
Das Thermometer im «Chessi» zeigt nach knapp 40 Minuten über dem Feuer 51 Grad an. Nebiker schwenkt den Galgen mit dem «Chessi» weg von der Feuerstelle. Die Konstruktion ächzt, als wolle sie sagen, ein Grad fehle noch. Der erhitzte Kessel werde die Temperatur noch um ein weiteres Grad erwärmen, erklärt der Käser, während er mit einem Sieb eine Handvoll Körner aus der Molke fischt und sie in der Faust zusammenpresst. Er nimmt von dem Klumpen ein Stück in den Mund und kaut darauf herum. «Knirscht die Masse stark zwischen den Zähnen, ist es so weit», sagt er «jetzt ist es noch etwas zu früh.» Drei Minuten später der zweite Knirschtest. Jetzt nickt der Käser.
Auf eine glatte Arbeitsfläche hat Nebiker vier kreisrunde Formen gelegt, die den Käselaibern ihre charakteristische Form geben werden. Die so genannten Järb sehen aus wie Springformen zum Kuchenbacken und können fast nach Belieben verkleinert oder vergrössert werden. Da kommt der Käse hinein. Jetzt nimmt der Käser ein grosses Tuch zur Hand und wickelt eine Seite um einen flachen, biegsamen Metallstab. Die vier Ecken des Tuchs fasst er mit Händen und Zähnen und zieht es durchs «Chessi». Auf diese Weise fischt er jeweils fünf bis acht Kilogramm der Körner aus dem Gefäss. Die tropfenden Bündel setzt er in die Formen. Der Jungkäse wird jetzt mithilfe von Brettern und schweren Steinen ausgepresst. Er soll Flüssigkeit verlieren – so viel, dass ein Hartkäse daraus wird. Würde der Käser heute die weicheren Mutschli machen, würde er weniger Molke auspressen.
Ist die Masse nach 20 Stunden fest genug, werden die Laibe einen bis anderthalb Tage in eine Salzlake eingelegt und anschliessend im klimatisierten Reiferaum gelagert – je nach Sorte und Typ während einem bis zu 24 Monaten.
Molke ins Gülleloch
In der Feuerstelle liegt noch etwas Glut, überzogen von weisser Asche. Drei Stunden sind vergangen, seit der Käser die Milch von einem Chromstahl-Container in den Kupferkessel gepumpt und mit Kälberlab vermischt hat. Nun liegen auf der Arbeitsfläche vier Käselaibe.
Das «Chessi» ist immer noch zu drei Vierteln voll. Die Flüssigkeit – Molke, Schotte, Sirte oder Käsemilch – wandert ins Gülleloch. «Leider», sagt Thomas Nebiker. «Auf der Alp haben wir sie an die Schweine verfüttert», erzählt er. Im Frühsommer nahmen die Sennen zehn Ferkel mit hoch und trieben sie nach der Sömmerung zusammen mit den Kühen wieder hinunter ins Tal. «Die gemästeten Schweine waren alle schon reserviert.» Für die eigene Käserei habe er sich darüber auch schon Gedanken gemacht, es sei doch schade, die nährstoffreiche Schotte wegzuschütten. Aber er produziere für die Schweinezucht nicht regelmässig genug. Noch nicht. Man könnte der Flüssigkeit auch Essigsäure beigeben, sie auf 90 Grad erhitzen, sagt Nebiker. So entstehe Ricotta oder Ziger. «Aber dafür traue ich dem 100-jährigen ‹Chessi› nicht.»
Somit bleibt es bei «Mutschli», Wisenberg- und Raclette-Käse – zumindest vorläufig.
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