Ferien für Kinder aus Basel-Stadt und Baselland
06.08.2019 Baselbiet, Bezirk Waldenburg, Bezirk SissachOberbaselbiet | Ferienkolonien ermöglichten Schülerinnen und Schülern erholsame Tage weg von zu Hause
Während Jahrzehnten wurden in den Sommerferien jeweils für drei Wochen Schulkindern aus Stadt und Land erholsame Ferientage auf dem Land angeboten. Ein Beitrag zur ...
Oberbaselbiet | Ferienkolonien ermöglichten Schülerinnen und Schülern erholsame Tage weg von zu Hause
Während Jahrzehnten wurden in den Sommerferien jeweils für drei Wochen Schulkindern aus Stadt und Land erholsame Ferientage auf dem Land angeboten. Ein Beitrag zur Geschichte der Basler und Baselbieter Ferienversorgung.
Heinz Spinnler
In Basel wurde im Mai 1878 die Kommission für Ferienversorgung armer und erholungsbedürftiger Schulkinder gegründet. Ziel der Ferienversorgung war die Hebung der Volksgesundheit, welche man durch die vielfach schlecht ernährten und in unzulänglichen Wohnverhältnissen aufwachsenden ärmlichen Familien gefährdet sah. Die ersten Ferienkolonien wurden bereits im Sommer 1878 organisiert. Sie dauerten anfänglich zweieinhalb, später drei Wochen. Lange Jahre wurden die infrage kommenden Kinder von ihren Lehrerinnen und Lehrern vorgeschlagen und anschliessend von Ärzten aus der Kommission auf ihren Gesundheitszustand hin untersucht.
Die ersten Kolonieorte lagen allesamt im Baselbiet. Die Kolonien waren in der Regel auf Bauernhöfen untergebracht und wurden von den Gastfamilien verköstigt. Einzelne Kolonieorte beherbergten mehr als 80 Jahre lang Ferienkinder.
Ferienversorgung in Baselbiet
Die Gründung der Baselbieter Ferienversorgung erfolgte im Jahr 1913. Sie wurde von der 1911 gegründeten «Basellandschaftlichen Liga gegen die Tuberkulose» initiiert. Man unternahm Anstrengungen zur Bekämpfung der Tuberkulose und die Idee war, durch das Organisieren von Ferienkolonien einen nützlichen Beitrag dazu leisten zu können.
In einem Brief an die Fürsorge-Kommissionen aus dem Jahre 1913 heisst es dazu: «Von dem Grundsatz ausgehend ‹Verhüten ist besser als heilen› hat sich die kantonale Liga wiederholt mit der Frage befasst, wie schwächliche und gefährdete Kinder gegen den Würgeengel der Tuberkulose gefestigt und widerstandsfähiger gemacht werden können und deshalb die Einrichtung einer Ferienversorgung an die Hand genommen.»
Im Jahr 1913 wurde bereits mit der Durchführung einer Ferienkolonie gestartet. 40 Knaben und Mädchen wurden in der Pension Bitterlin in Rünenberg untergebracht. Da man mit diesem Ferienort sehr zufrieden war, wurden auch in den folgenden Jahren jeweils in zwei oder drei Etappen für drei Wochen Kinder nach Rünenberg in die Ferien geschickt. In den Folgejahren stieg die Zahl der angemeldeten Kinder kontinuierlich. 1916 waren es 128, im Jahr 1921 bereits 250 angemeldete Feriengäste; die Zahl stieg bis über 450 in den 1930er-Jahren. Mit steigender Kinderzahl mussten auch neue Koloniestandorte gefunden werden. Das war gar nicht so einfach, hatten doch die Basler Ferienkinder 1898 bereits die 1000-Teilnehmer-Grenze überschritten und dadurch viele Häuser alljährlich in Beschlag genommen.
Den Bedürfnissen entsprechend wurden die Standorte ausgewählt. Im Vorfeld wurde genau observiert, ob sich ein Haus auch dafür eignet. Nur wenn genügend geeignete Räume für Schlafgelegenheiten vorhanden, die Ess- und Aufenthaltsräume hell und luftig waren sowie ausreichend Toiletten und Waschgelenheiten vorhanden waren, wurde ein Vertrag abgeschlossen.
Neue Koloniestandorte
Nach der «Pension zur Frohen Aussicht» in Rünenberg kam das «Jägerstübli» in Anwil zum Zuge, die «Post» und «Waldegg» in Rickenbach folgten. Später, als die Zahl der Ferienkinder weiter stieg, wurde der «Hoggen» in Reigoldswil, der «Ochsen» in Oltingen, «Schanz» und «Eden» in Waldenburg, der «Schützen» in Seltisberg, das «Rössli» und das «Bad» in Rothenfluh als Kolonieorte verpflichtet.
War man mit dem Angebot nach einer Feriensaison nicht zufrieden, hatte das einen Abbruch weiterer Ferienplanungen zur Folge. So geschehen in den 1920er-Jahren mit dem «Alpbad» in Sissach, wo man mit der Verpflegung über zwei Jahre nicht zufrieden war. Das «Rössli» in Wintersingen wurde als ungeeignet eingestuft, weil das Dorf zu sehr in einem Talkessel gelegen war. Man legte Wert auf höher gelegene, gut erreichbare Orte.
Mädchen und Knaben
Von Anfang an hat man Ferienkolonien für Knaben und Mädchen durchgeführt. Dafür mussten separate Schlafräume zur Verfügung stehen. Später hat man aber nach Geschlechtern getrennte Ferienorte ausgewählt. So waren im Jahr 1934 im «Rössli» Rothenfluh die Knaben, im «Bad» Rothenfluh die Mädchen untergebracht. Auch die vorhandenen Fotos beweisen, dass die Kolonien oft nach Geschlechtern getrennt geführt wurden. Über die Jahre gerechnet waren im Durchschnitt etwas mehr Mädchen als Knaben in den Ferienkolonien. Ab dem Jahr 1917 waren Mädchen vom 1. bis 7. Schuljahr zugelassen, Knaben vom 1. bis 6. Schuljahr. Später hat sich in der Praxis die Wahl von 8- bis 14-jährigen Kindern etabliert.
Die Ferienkolonien wurden durch die Eltern (falls diese dazu in der Lage waren), durch die Turbekulose- Liga, durch Beiträge von «Pro Juventute Baselland», durch Kirchenkollekten, von Gemeinden, Firmen, Vereinen und Privaten sowie ab 1925 durch Beiträge des Kantons Basel-Landschaft finanziert.
Die Auswahl der Koloniekinder
Die Auswahl der Ferienkinder erfolgte durch die Verantwortlichen der Fürsorgebehörde in den Gemeinden, die eine gute Übersicht über die sozialen und gesundheitlichen Verhältnisse besassen. Auch die Lehrerschaft der Schule, der Pfarrer oder politische Persönlichkeiten konnten Vorschläge für Ferienkinder einreichen. Dazu gab es einen Fragebogen der Ferienversorgung, der auch Aufschluss über die Verhältnisse gab. Die Armutsfrage war ein Teil bei der Beurteilung für die Zulassung. Ein weiteres Kriterium war, «dass die Kinder charakterlich nicht ‹verdorben› waren, sich also bereits in der Schule sozial, sittsam und brav verhielten und somit den Ferienkoloniebetrieb voraussichtlich nicht stören würden».
Geleitet wurden die Ferienkolonien von fähigen Lehrern, manchmal in Begleitung ihrer Ehefrauen, oder von Lehrerinnen, damals «Fräuleins» genannt. Standen nicht genügend Lehrpersonen als Leiter zur Verfügung, wurden andere fähige Personen damit beauftragt. Am Ende der Ferienwochen musste ein detaillierter Bericht abgegeben werden. Darin war für jedes Ferienkind ein Eintrag über das Alter, Wohnort, das Körpergewicht vor und nach den Ferien enthalten. Weiter wurden die Mahlzeiten detailliert dokumentiert, auch enthielten die Aufzeichnungen die täglichen Aktivitäten wie Wanderungen, Spiele, Gottesdienstbesuch oder «Karten schreiben». Ein einziges dieser Tagebücher aus dem Jahr 1934, von der Kolonie «Rössli» Rothenfluh, ist im Staatsarchiv Baselland erhalten geblieben.
Grössere und kleinere Probleme
Wie bei allen Veranstaltungen, wo viele Menschen zusammen sind, war auch das Leben in den Ferienkolonien damals nicht immer nur eitel Freude. Ein Problem waren die zu dieser Zeit noch weit verbreiteten Kopfläuse. Dies scheint bei den Mädchen das grössere Problem als bei den Knaben gewesen zu sein. Die Knaben kamen kurz geschoren in die Ferien. Wohl dürfte auch das eine oder andere Kind von Heimweh geplagt worden sein, auch gab es bei den Knaben hie und da «Bettnässer».
In den Anfangsjahren war auch die Konfession der Kinder ein Problem. Jedenfalls beklagten sich die katholischen Geistlichen, dass für die Kinder im Oberbaselbiet kein Gottesdienst mit einer Messe veranstaltet werden konnte. Ob das die Kinder so sehr gestört haben mag? – Die Reformierten konterten, dass die Katholiken nicht in der Lage waren, bei ihren Gottesdiensten eine Kollekte zugunsten der Ferienkinder zu ermöglichen.
Eines ist sicher: Für die Kinder, die an den Ferien im Oberbaselbiet teilnehmen konnten, war es eine einschneidende Erfahrung. War doch schon die Anreise mit der Eisenbahn, der Transport mit Pferden und Wagen oder Postauto für die meisten Kinder damals ein einmaliges Erlebnis. Und dann die drei Wochen – jeder Tag eine neue Überraschung und jeweils genügend gutes Essen.
Quellen: Staatsarchiv Basel-Landschaft; Die «Basellandschaftliche Ferienversorgung», von René Egloff, 2004; Staatsarchiv Basel-Stadt.
Kolonieorte für Basler Kinder:
«Hägler» Bärenwil; «Alt-Bechburg» bei Langenbruck; «Löwen» Waldenburg; «Schlief» bei Arboldswil; «Mühle» Reigoldswil; «Hoggen» Reigoldswil; «Post» Rickenbach; «Farnsburg» Ormalingen; «Schlüssel» Ormalingen; «Stelli» Ormalingen; «Hirschen» Rothenfluh; «Jägerstübli» Anwil; «Ochsen» Wenslingen; «Rössli» Zeglingen; «Hirschen» Zeglingen; «Untere und Obere Laufmatt» Eptingen, «Ferienheim» Hemmiken.
Kolonieorte für Baselbieter Kinder:
«Pension Bitterlin» Rünenberg; «Ochsen» Oltingen; «Asp» Rothenfluh; «Rössli» Rothenfluh; «Bad» Rothenfluh; «Waldegg» Rickenbach; «Post» Rickenbach; «Schützen» Seltisberg; «Hoggen» Reigoldswil; «Schanz» und «Eden» Waldenburg; «Rössli» Wintersingen; «Alpbad» Sissach.
Es gab noch viele weitere Ferienorte im Oberbaselbiet.
FERIENKINDER SCHREIBEN POSTKARTEN
Meine Lieben nach Basel
Ich bin gut angekommen in Buus. Es gefällt mir sehr gut. Aber wir hatten schon am ersten Tag Regenwetter. Ich lachte aber gleich wieder. Wir durften schon am 2ten Tag baden, aber ich konnte nicht, denn ich hatte den Schnupfen. Herr Lehrer Niethammer wog uns am Dienstag, da wog ich 33 kg. Schicke mir doch das Jäcklein, denn uns fror es, als es regnete. Jetzt will ich schliessen. Viele Grüss und Küsse von Alice Schaub
«Aufgent» Buus 1936
Liebe Eltern nach Basel
Wir sind verregnet mit dem Heuwagen nach Rotenfluh gekommen. Wir sind schon spazieren gegangen. Was macht die Mama? Viele Grüsse von Robertli
«Hirschen» Rothenfluh 1937
Liebe Eltern nach Basel Wir sind gut angekommen. Get es euch allen gut? Ist Emil gut angekommen. Wir waren von der Bahn mit dem Leiterwagen abgeholt. Viele Grüsse von Ruth.
«Hirschen» Rothenfluh 1933
Liebe Eltern nach Basel
Ich bin gut angekommen. Es gefällt mir gut. Schicke mir bitte das Buch und das Diedi und Wolle und Stricknadel. Musst aber keine Schoggi schicken. Viele Grüsse von Nelly
«Laufmatt» Eptingen 1930
Liebe Eltern. nach Pratteln
Ich habe das Paket mit Freuden erhalten. Ihr könnt mir noch eine Schachtel Schuhwichse und eine Anstreichbürste schicken. Es gefällt mir sehr gut, ich habe keine lange Zeit. Viele Grüsse von Max
«Ochsen» Oltingen 1925
Liebes Fräulein Ableggen! nach Basel
Hier oben gefällt es mir gut. Nach dem Mittagessen haben wir zwei Stunden Liege, dann darf ich Klavierspielen und die Mädchen machen Rythmische Tänze dazu. Ich bin froh dass ich so schöne Klavierstücke gelernt habe. Jetzt kann ich sie brauchen. Wie geht es ihnen? Hoffentlich gut. Herzliche Grüsse von Yvonnli
«Farnsburg» Ormalingen 1932
Max Nägelin, Lausen, war 1934 in der Kolonie Rothenfluh mit dabei
spi. Vor 85 Jahren war Max Nägelin, Jahrgang 1928, als 1.-Klässler in der Ferienkolonie im «Rössli» in Rothenfluh dabei. Im einzig erhalten gebliebenen Tagebuch der Ferien vom 10. Juli bis 8. August 1934 wird Max aufgeführt. Sein Körpergewicht war vor den Ferien 19 kg, nach den drei Woche wog er 1,5 kg mehr.
Max Nägelin ist in Lausen aufgewachsen. Sein Vater arbeitete als Hilfsarbeiter in einer Fabrik für Zementwaren in Muttenz. Jeden Tag fuhr er von Lausen mit dem Velo nach Muttenz und abends wieder zurück. Die Familie Nägelin hatte drei Kinder. Später zügelte die Familie nach Frenkendorf, so war der Arbeitsweg für den Vater etwas kürzer.
Max besuchte mindestens zwei Mal eine Ferienkolonie, 1934 im «Rössli» in Rothenfluh, eine reine Knabenkolonie, und 1935 auf dem «Hoggen» in Reigoldswil, dies war eine gemischte Kolonie, Mädchen und Knaben.
Die Erinnerungen an die Ferienkolonien sind positiv. Gut erinnert er sich an die täglichen, zum Teil ausgedehnten Wanderungen. Auch daran, dass seine Eltern für die Kosten der Ferien nicht aufkommen konnten, erinnert er sich.
Während der 1934er-Kolonie wurden zahlreiche Fotografien angefertigt. Auf einem Bild ist Max mit Koffer und Korb, bei der Abreise von den Ferien zu sehen. Als Legende steht unter dem Bild: «Zwergli’s Abreise, Max Nägelin».
Max Nägelin wohnt heute mit seiner Frau Erika in Hunzenschwil.