HERZBLUT
12.06.2019 GesellschaftMädchensachen
Neulich habe ich meiner Enkeltochter ein neues Spielzeug gekauft, einen Bagger. Dem Kauf sind etliche tiefschürfende Gedankengänge vorausgegangen. Denn obwohl die Kleine erst eineinhalb Jahre alt ist, kann ich in der heutigen gendersensiblen ...
Mädchensachen
Neulich habe ich meiner Enkeltochter ein neues Spielzeug gekauft, einen Bagger. Dem Kauf sind etliche tiefschürfende Gedankengänge vorausgegangen. Denn obwohl die Kleine erst eineinhalb Jahre alt ist, kann ich in der heutigen gendersensiblen Zeit nicht mehr einfach in einen Spielwarenladen gehen und völlig unbedarft nach einem Spielzeug greifen. Ich will mir später nicht vorwerfen lassen, dass Puppenhaus, Bäbi, Rössli oder Verkaufslädeli daran schuld waren, dass mein Enkelkind nicht Pilotin oder CEO der UBS geworden ist. Also werfe ich als Gegengewicht einen Bagger mit dicken schwarzen Reifen ins rosarote Mädchenuniversum.
Habe ich mir vor fast 30 Jahren beim Spielzeug für meine Mädchen auch so viele Gedanken gemacht? Als sie nicht mehr aufhören wollten mit diesen grässlichen Plastikpferdchen mit den regenbogenfarbenen Haaren zu spielen, schon. Diese Phase wurde abgelöst durch die Barbiepferde, an denen dauernd die Beine abbrachen. Dann kamen in den 90ern zum Glück die Dinosaurier mit «Jurassic Parc» in Mode. Wir hatten sie alle, von T-rex über Stegosaurus bis Oviraptor. Die Saurierphase hielt gefühlte 60 Millionen Jahre an. Sie wiederum wurde abgelöst durch den unbändigen Wunsch nach einem eigenen Haustier. Erst waren es Katzen, dann Meerschweinchen, die sich munter vermehrten. Dann ein Hund. Es folgten Terrarien mit Geckos. Dann kamen Kornnattern hinzu, von denen sich zwei aus dem Staub machten und nie mehr gesehen wurden. Die meisten weiblichen Besucherinnen der Familie blieben danach ebenfalls fern. Auf die Kornnattern folgten Afrikanische Eierschlangen, eine Königspython und eine Bartagame. Erst als meine Töchter mit einer Vogelspinne liebäugelten, zog ich die Notbremse. Immerhin, meine Duldsamkeit in Sachen Haustier hat sich insofern ausgezahlt, als die eine Tochter sich heute als Tierpflegerin um Affen kümmert und die andere als Solzialpädagogin um schwierige Jungs, was manchmal dasselbe zu sein scheint.
Ich nehme nicht an, dass meine Enkeltochter wegen ihres Interesses für alles, was vier Räder hat, einmal Baggerfahrerin oder Lastwagenchauffeuse wird. Aber ich finde es gut, wenn sie ausserhalb der gängigen Klischees, was Mädchen- und Jungsspielsachen sind, alles ausprobieren darf.
Was bei den Spielsachen noch einigermassen einfach zu bewerkstelligen ist, wird bei Kleidung und Alltagsgegenständen schon schwieriger. Alles ist mit entsprechender Farbe und Motiven den Geschlechtern zugeordnet. Neulich habe ich Kindershampoo für Mädchen mit langen Haaren im Regal entdeckt. Das Etikett der rosa Flüssigkeit zierte eine treuherzig blickende Prinzessin mit übergrossen Augen. Das Gegenstück gab es auch. Das Shampoo für Jungs hatte eine blaue Flüssigkeit und einen Helden auf dem Etikett, der mit ausgestreckter Faust ins All flog. Gehts noch klischeehafter? Hier brav und devot, dort mutig und unabhängig. So weit sind wir nach 50 Jahren Emanzipation gekommen!
Yvonne Zollinger, Redaktorin «Volksstimme»