CARTE BLANCHE
12.06.2019 Zunzgen, PolitikGelassenheit ist zum Fremdwort geworden
Michi Kunz, Gemeindepräsident Zunzgen, parteilos
Wie fühlen Sie sich in der Schlange vor der Kasse im Supermarkt, wenn drei Personen vor Ihnen eine ältere, etwas unbeholfene Dame im ...
Gelassenheit ist zum Fremdwort geworden
Michi Kunz, Gemeindepräsident Zunzgen, parteilos
Wie fühlen Sie sich in der Schlange vor der Kasse im Supermarkt, wenn drei Personen vor Ihnen eine ältere, etwas unbeholfene Dame im Portemonnaie «nuuscht» und partout keinen Fünfräppler findet? Und dann stellt die Kassiererin fest, dass die Dame die zwei Tomaten nicht abgewogen hat. Sie haben folgende Möglichkeiten: 1. Sie schauen sich um, ob nicht vielleicht die Schlange an einer andern Kasse kürzer ist; 2. Sie brummen etwas von Rentnern, die unbedingt kurz vor Mittag einkaufen müssen und ernten zustimmendes Nicken Ihrer Schlangennachbarn; 3. Sie anerbieten sich, quer durch den Laden zu rasen, um die beiden Tomaten abzuwägen (warum eigentlich befindet sich das Gemüse im Supermarkt immer in grösstmöglicher Distanz zur Kasse?). Eigentlich ist klar, was Sie tun sollten, aber tun Sie’s auch wirklich? Eben.
Sie sitzen in einer bummsvollen Gartenbeiz und möchten etwas Kleines bestellen. Die Bedienung wieselt durch Tische und Stühle und ignoriert Sie. Nach geschlagenen zehn Minuten sind Sie noch immer unbedient, während alle andern Gäste sich angeregt unterhalten und ihre Getränke und Speisen geniessen. Was tun Sie? Sie wechseln unter lautem Protest die Beiz; Sie fangen an, sich lauthals bemerkbar zu machen, bis sich die Bedienung Ihrer erbarmt und Ihre Bestellung, ein Glas Mineral ohne «Blööterli», aufnimmt. Sie gehen zur Theke und zapfen sich Ihr Bier selber. Jedenfalls, diese Beiz muss in Zukunft auf Sie verzichten.
Sie fahren mit dem Auto von Zunzgen nach Sissach, weil Sie im Grossverteiler etwas vergessen haben und müssen wieder einmal an einer der Dauerbaustellen warten. Zwar haben Sie Grün, aber in der Fahrspur trödelt ein Bagger herum, der offenbar nicht weiss, dass Sie pressant sind. Hupen bringt nichts, der Baggerfahrer hört Sie nicht. Wenn Sie aussteigen, um dem Baggerfahrer die Meinung zu sagen, verpassen Sie die nächste Grünphase und haben die Autofahrer hinter Ihnen im Genick. Also bleiben Sie im Auto sitzen, fluchen vor sich hin und rufen noch schnell zu Hause an, weil Sie nicht mehr sicher sind, was Sie eigentlich im Grossverteiler holen sollen. Ihr Blutdruck steigt, bis es hinter Ihnen hupt, weil Sie nun tatsächlich das Grünlicht verpasst haben.
Das tägliche Leben ist voll von derartigen Mühseligkeiten, die Zeit fressen, unendliche Geduld erfordern und die Nerven strapazieren. Gelassenheit wäre angesagt, aber das ist längst zum Fremdwort geworden; auf irgendetwas warten zu müssen, wird zur mittleren Katastrophe. Die Pizza wird in Echtzeit geliefert und bitte heiss, nur damit wir nicht den Beginn des Fussballspiels im Fernsehen verpassen. Und wenn wir dann endlich abends im Bett liegen, muss, bevor geschlafen wird, noch die Erledigungsliste für den nächsten Tag erstellt werden.
In der «Carte blanche» äussern sich Oberbaselbieter National- und Landratsmitglieder sowie Vertreterinnen und Vertreter der Gemeindebehörden zu einem selbst gewählten Thema.