HERZBLUT
14.05.2019 GesellschaftSchmerzlos in die Ferien – mit E
Beim ersten Mal sind mir die Haare zu Berge gestanden. Nicht auf dem Kopf, sondern am Unterarm – ein ziemlich unangenehmes Gefühl, so ein Waschgang mit E-Zahnbürste. Es surrt und kribbelt und die Elektro-Schwingungen ...
Schmerzlos in die Ferien – mit E
Beim ersten Mal sind mir die Haare zu Berge gestanden. Nicht auf dem Kopf, sondern am Unterarm – ein ziemlich unangenehmes Gefühl, so ein Waschgang mit E-Zahnbürste. Es surrt und kribbelt und die Elektro-Schwingungen dieser Maschine breiten sich irgendwie vom Gebiss über den Schädel auf den ganzen Körper aus. Gänsehaut: was für eine seltsame Reaktion. Laut Wikipedia ist die Ursache für das Entstehen einer Gänsehaut beim Menschen bis heute nicht vollständig geklärt. Sie tritt zum Beispiel auf, «wenn man von einem positiven Moment oder einem emotionalen Erlebnis berührt ist» – na ja.
Positiv ist es vielleicht schon, dass ich endlich dem Rat meines Zahnarztes gefolgt bin und mir jetzt die Zähne «saubervibrieren» lasse. Ich muss nämlich gestehen, dass ich ein Zahnputz-Muffel bin. Zweimal am Tag bringe ichs hinter mich, gaffe mich selber im Spiegel an und merke, dass ich immer noch derselbe gut aussehende Typ bin, der ich immer schon war (graue Haare? Fehlanzeige).
Aber dieser Vorgang ist an Langeweile kaum zu überbieten. Immerhin: Die empfohlenen drei Minuten Schrubben per Hand können mit der E-Bürste auf zwei Minuten reduziert werden, heisst es. Eine Minute mehr Zeit für die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Zum Beispiel für den coolen Teil an der Zahnpflege: Das Spülen mit Mundwasser. Das Mittel, das ich benutze, ist leuchtend grün und so scharf, dass ich mein Kind danach anhauchen kann und es ist so gut wie frisch gebadet. Diese Frische im Mund liebe ich.
Sie täuscht allerdings darüber hinweg, dass es den Zähnen möglicherweise gar nicht so gut geht, wie sie sich nach der Spülung anfühlen. Denn natürlich setze ich mich seit Kurzem nicht ohne Grund diesem «Tschuuder» durch E-Vibrationen aus. Zahnschmerzen haben mich gezwungen, den Zahnarzt aufzusuchen. Er hat geröngt, er hat gestaunt und dann hat er gebohrt – Zahnwurzelbehandlung. Das kostet so viel wie eine Woche Ferien am Meer.
Ich darf mich aber nicht beklagen. Das letzte Mal beim Zahnarzt war ich vor über zehn Jahren. Dieser hatte mir fünf Löcher auf einmal geflickt – ich prahle immer wieder gerne: ohne Spritze – und mir danach geraten, einmal pro Jahr zur Kontrolle zu kommen. Diesen Rat habe ich sträflich missachtet. Ich war jung und brauchte das Geld (oder so ähnlich). Was ich mich aber schon lange frage: Warum eigentlich werden Zahnarztbesuche nicht von der Krankenkasse übernommen? Gibt es irgendeinen Grund für diese Sonderbehandlung? «Vielleicht, weil du selbst dafür sorgen könntest, dass diese Kosten gar nicht erst entstehen», antwortet ein Kollege. «Zähne putzen, Mund spülen, Zahnseide benutzen …» Ich gebe mich – so halb – geschlagen.
Auf jeden Fall möchte ich mein Feriengeld nicht komplett dem Zahnarzt aufs Konto schieben und nehme das bisschen morgendliche Gänsehaut nun in Kauf. Denn was bringen mir tolle Restaurants in Italien, wenn die Minestrone das Einzige auf der Speisekarte ist, was ich schmerzlos essen kann?
Sebastian Schanzer, Redaktor «Volksstimme»