Sägemehl-Kämpfer unter sich
26.04.2019 Baselbiet, Gesellschaft, Sport, Bezirk Waldenburg, Bezirk SissachSchwingen | Vor der Sägemehl-Saison unterhalten sich vier Oberbaselbieter Schwinger aller Altersklassen über Faszination und Popularität ihres Sports
Schwingen ist im Trend. Aber warum eigentlich? Und wo stehen die Baselbieter Athleten? Die «Volksstimme» hat hiesige ...
Schwingen | Vor der Sägemehl-Saison unterhalten sich vier Oberbaselbieter Schwinger aller Altersklassen über Faszination und Popularität ihres Sports
Schwingen ist im Trend. Aber warum eigentlich? Und wo stehen die Baselbieter Athleten? Die «Volksstimme» hat hiesige Schwinger unterschiedlicher Generationen zum Gespräch gebeten.
Robert Bösiger
Am kommenden Mittwoch, dem 1. Mai, beginnt in Oberdorf die Baselbieter Freiluft-Schwingsaison. Andrj Gerber, der jüngste und aktive Schwinger in der Runde, wird an diesem Frühjahrsschwinget selbstverständlich teilnehmen. Zum einen, weil ihm dieses Fest vor heimischer Kulisse gefällt. Zum anderen, um seine Form zu testen, wie er sagt. Doch für den jungen Rothenflüher hat das Schwingjahr längst begonnen: «Am Hallenschwinget in Büren an der Aare habe ich je zwei Gänge gewonnen, verloren und gestellt. Damit kann ich für den Anfang zufrieden sein.» Er sei zuversichtlich für die kommenden Regionalfeste im April und die ersten Kranzfeste, die Ende Mai stattfinden. Die übrigen Gäste am Tisch der «Volksstimme», René Girod, Damian Zurfluh und Matthias Graber, greifen nicht mehr im Sägemehl ins Geschehen ein. Aber für ihr Leben war und ist der Schwingsport prägend.
Faszination und Zweikampf
Was macht die Faszination für das Schwingen aus?
Für den mit Jahrgang 1939 Ältesten am Tisch, René Girod, ist es die Freude am Kampf: «Man muss es schon wollen – und vielleicht auch ein spezieller Typ sein.» Erstaunlicherweise gibt Andrj Gerber seiner Mutter, einer Toggenburgerin, die «Schuld»: «Sie kommt aus dem gleichen Dorf wie der Abderhalden Jörg; zudem haben meine Onkel geschwungen und meine Cousins tun es.» Ihm gefalle die Atmosphäre rund um den Schwingsport.
Für Matthias Graber ist ein familiärer Bezug «sicher hilfreich, aber nicht zwingend: Es geht um die Herausforderung, um den Zweikampf Mann gegen Mann.» Denn das Schwingen, so Graber, sei hart, und «man ist im Sägemehl ganz allein für sich und seine Leistung verantwortlich». Mit dieser Verantwortung müsse man umgehen können. «Gelingt es einem, dann hilft es extrem viel im Leben.»
Für Damian Zurfluh, mit 69 Kränzen der am höchsten dekorierte Schwinger am Tisch, macht die Kollegialität unter den Schwingern die Faszination des Sports aus: «Jeder kennt jeden – über die Generationen hinweg.»
Chancen und Risiken
Wie gut sind die Baselbieter?
Vor Jahresfrist hat Matthias Graber als Technischer Leiter des Basellandschaftlichen Kantonalschwingerverbands (BLKSV) im Hinblick auf die Schwingsaison 2018 mit 22 Kränzen gerechnet. Zwei bis drei Neukranzer, und dass alle unfallfrei bleiben, so lautete die Zielsetzung. «Unfallfrei sind wir nicht geblieben und 22 Kränze haben wir mit 19 Kränzen und 2 Bergkränzen nur knapp erreicht, da ich die Bergfeste auf dem Brünig und der Rigi doppelt zähle», sagt Graber. «Zwei Neukranzer konnten wir mit Voggensperger Lars und Krebs Clemens aber feiern.»
Für das laufende Jahr ist Graber vorsichtig optimistisch. Er rechnet erneut mit 22 Kränzen und hofft, «dass wir vom ‹Eidgenössischen› in Zug mit einem Kranz heimkehren». Im Baselbiet, so seine Begründung, habe man zwei oder drei Schwinger mit Potenzial. Dabei blickt er den neben sich sitzenden Andrj Gerber an. Gesamthaft darf die Nordwestschweiz 30 Schwinger ans Eidgenössische Schwing- und Älplerfest (Esaf) schicken. Graber hofft und glaubt, dass Gerber die Qualifikation dafür schaffen kann.
Zuoberst auf der Liste des Technischen Leiters stehen aber andere: «Im Kopf habe ich Erb Roger (1992; 32 Kränze, Metzerlen) und Voggensperger Yanic (1998; 14 Kränze; Schönenbuch).» Im Weiteren komme es auf die Tagesform an und deshalb vielleicht auch zu positiven Überraschungen. «Wir haben ein paar Schwinger dabei, die das Zeug haben, um vorne mitzuschwingen.» Freilich braucht es dazu etwas Glück. Auch das Glück, unverletzt zu bleiben.
Basel und Sandgrube
Und die Städter?
Die Baselbieter Schwinger freuen sich speziell auf den Baselstädtischen Schwingertag, der am Auffahrtstag (30. Mai) in den Sandgruben stattfindet und immer ein stattliches Publikum anlockt. Mit guten Erinnerungen verbunden ist «die Sandgrube» für Damian Zurfluh: «Gewonnen habe ich das Fest zwar nie, aber immerhin zwölf Kränze mit nach Hause genommen.» Früher, sagt er, seien es die Städter gewesen, die dominiert hätten. Doch diese Dominanz ist in den vergangenen drei Jahrzehnten massiv zurückgegangen. Seither hätten die Baselbieter Schwinger die Nase vorn – «einmal abgesehen von Thoenen Henryc» (1990; 8 Kränze; Wiedlisbach BE).
Basel-Stadt hatte einst zahlreiche gute Schwinger, sagt auch René Girod: «Das hat damit zu tun, dass viele Schwinger bei der Polizei oder bei der Grenzwache beschäftigt waren.» Gemäss Girod hatten die Basler früher immer ein halbes Dutzend Kranzschwinger. Doch das sind «Tempi passati».
Generationenwechsel
Stehen starke junge Schwinger in den Startlöchern?
Auch im Schwingsport ändern sich die Zeiten. Zum Beispiel, indem die Jungen nachrücken und die Älteren buchstäblich aus dem Sägemehlring bugsieren. Matthias Graber zählt neben Andrj Gerber auch Odermatt Adrian (2001; Liesberg), Voggensperger Lars (2001; Schönenbuch) oder Brun Samuel (1999; Ettingen) zu den jungen Baselbieter Hoffnungsträgern. Graber: «Wir haben eine schöne Basis an Jungen, die – wenn sie gesund bleiben und bereit sind, hart zu trainieren – hoffen lassen.»
Eine Garantie dafür, dass dies reicht, am übernächsten «Eidgenössischen», das 2022 in Pratteln auf heimischer Scholle stattfindet, zu reüssieren, ist das aber bei Weitem nicht.
Popularität und Profit
Wann hat der aktuelle Hype ums Schwingen begonnen?
Seit einigen Jahren gehört das Schwingen zu den beliebtesten Sportarten der Schweizerinnen und Schweizer. Mit Wenger, Stucki, Käser, Giger und Orlik sind im Sägemehlsport plötzlich Medienstars vorhanden.
Damian Zurfluh analysiert: «Kürzlich habe ich zusammen mit meinem Jüngsten den Schlussgang des Esaf 1998 angesehen. Das Fernsehen hat diesen Schlussgang nur als kleines Fenster oben links gezeigt, während ein Formel-1-Rennen übertragen wurde.Wir waren kurz vor der Jahrtausendwende, also noch weit entfernt von einem Hype.» Er glaubt, dass Abderhalden Jörg, «der umstritten war und gerne gegen den Strom geschwommen ist», die Aufmerksamkeit der Medien geweckt hat. Aber so richtig zum Hype, da sind sich am Tisch alle einig, geriet der Schwingsport erst mit dem Sieg von Wenger Kilian am «Eidgenössischen» 2010. Wenger war jung und gut aussehend, athletisch und kräftig – und neuer König. Matthias Graber spitzt dieses Fazit noch etwas zu: «Wenger war hübsch und Single. Er eroberte so auch die Herzen der Frauen.»
Wenger entsprach also äusserlich einem modernen Schönheitsideal. Sind denn die Attribute Jugend, Stärke und Schönheit wichtiger als Werte und Traditionen? Damian Zurfluh ist anderer Meinung: «Einer, der diese Attribute auch nicht besonders verkörpert, ist Stucki Christian. Er ist extrem populär und es würde ihm wohl jeder gönnen, Schwingerkönig zu werden, so gross, breit und schwer er auch ist.»
Wertewandel und Werbeträger
Hat Sponsoring im Traditionssport im Sägemehl Platz?
Auch wenn sich beispielsweise der aktuelle König Glarner Matthias den Verlockungen der Werbeindustrie weitestgehend entziehe: Für Zurfluh ist die Tendenz, dass das Schwingen immer mehr in den Fokus der Werbebranche rückt, eine Fehlentwicklung. Als Beispiel nennt er Käser Remo, der einen ganzen Strauss an Werbeverträgen im Portefeuille hat und entsprechend verdiene. «Käser fischt als Influencer auf allen Kanälen. So hübsch und erfolgreich er ist: Da graust es mich zu sehen, wie stark er sich verkauft. Das wäre der falsche Schwingerkönig für mich.»
Etwas anderer Ansicht ist Matthias Graber. Es komme auf die richtige Mischung an. Zudem müsse man akzeptieren, dass die Spitzenschwinger heute anders trainieren als früher. Entsprechend höher seien die Auslagen. «Deshalb finde ich es legitim, dass sie einen Teil ihres Investments durch Sponsoringverträge wieder zurückerhalten.» Graber sieht durchaus das Negative von solchen Abhängigkeiten: «Im vergangenen Sommer hatte ich ein Gespräch mit einem 15-Jährigen. Dieser sagte mir, es sei sein Ziel, einmal vom Schwingen leben zu können. Das ist eine gefährliche Entwicklung, weil damit der richtige Fokus verloren geht. Wenn dieser Junge mir gesagt hätte, er wolle später einmal Schwingerkönig werden, wäre das etwas ganz anderes gewesen.»
Er kenne niemanden, der vom Schwingen leben könne, sagt Damian Zurfluh. Und berichtet über seine Erfahrung mit Sponsoring: «Einmal haben wir für unsere Gruppe 5000 Franken erhalten. Das wurde zu einem Höllendruck für mich. Vielleicht könnte Andrj heute besser mit so was umgehen.» Er würde ihm raten, für solches Geld einen guten Coach zu suchen und dann eine Woche ins Trainingslager zu fahren, um weiterzukommen. Zurfluh: «Das wäre vernünftig investiertes Geld.»
Der angesprochene Andrj Gerber hat keine Werbeverträge im Sack: «Ich bin zufrieden mit dem bestehenden Trainingsangebot und suche Verträge, wie sie Käser und Giger haben, gar nicht», sagt er. Zu seiner Zeit sei so was schon gar kein Thema gewesen, sagt René Girod. «Wir haben dafür von den beiden Vogts – Peter und Robert – profitiert. Von ihnen haben wir gelernt, dank ihnen hatten wir auch unsere Erfolgsmomente.» Von einem Basellandschaftlichen Schwingfest seien sie, die Muttenzer Schwinger, mit sechs Kränzen heimgekehrt.
Zurfluh prophezeiht seinem jüngeren Schwingerkollegen Gerber: «Wenn Andrj weiterkommt, wird er eines Tages seine schwingerischen Erfolge anders, nämlich karrieremässig, ummünzen können. Er wird mehr Verantwortung erhalten und damit auch besser verdienen.»
Schwing- und Partyfeste
Für wen wird das Esaf veranstaltet? Für die Schwinger oder für das Partyvolk?
Jedes Schwingfest ist ein Erlebnis und einzigartig, sagen alle am Tisch. Und dennoch gibt es Lieblingsveranstaltungen. Für Gerber und Graber sind es – wen wundert’s – die regional-kantonalen. «Wichtig ist mir, dass der Schwinger im Mittelpunkt ist und bleibt», sagt Graber. Und Gerber schätzt es, vor heimischer Kulisse zu schwingen und bekannte Gesichter im Publikum zu wissen. Damian Zurfluh, der weitgereiste «Eidgenosse», hat einen anderen Ansatz: «Es waren immer jene Feste, bei denen ich am Schluss auf dem Notenblatt oben stand. Doch ganz besonders gern hatte ich das Schwingfest auf dem Weissenstein.»
Keine Freude hat Zurfluh am Umstand, dass die «Eidgenössischen» gerade in den vergangenen Jahren zunehmend zu «Scheiaweia»-Veranstaltungen geworden sind. Und dass sogar er als langjähriger Aktiver heute Mühe habe, Tickets zu erhalten: «Es wird immer mehr auf die Sponsoren und das Partyvolk ausgerichtet.» Diese Entwicklung stellt auch Matthias Graber fest: «Vor allem am Esaf in Frauenfeld ist mir eindrücklich bewusst geworden, dass es eigentlich zwei Feste sind: Nämlich das Fest für jene, die das Schwingen sehen wollen und schon früh am Morgen in der Arena sind, und dann das Fest für jene, die Party machen wollen.»
Auch hier komme es auf die richtige Mischung an, glaubt Graber. Und: «Wir müssen ehrlich sein: Eine solche Arena für 270 Schwinger aufzustellen, wäre punkto Finanzen ohne Partyvolk und Sponsoren heute nicht mehr möglich.» Zum Glück solle das Esaf in Pratteln wieder etwas bescheidener werden.
Auch wenn die Ansichten zu verschiedenen Fragen unter den vier anwesenden Schwingern teilweise unterschiedlich sind: Auf das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest vom 26. bis 28. August 2022 in Pratteln freuen sich alle.
Agenda 2019
1. Mai Frühjahrsschwinget, Oberdorf
18. Mai Kant. Jungschwingertag, Oberwil
30. Mai Schwingertag Basel-Stadt, Basel
10. Juni Hülftenschanzschwinget, Frenkendorf
30. Juni Kantonalschwingfest, Läufelfingen
20. Juli Weissenstein-Schwinget
4. August NWSV Schwingfest, Wittnau AG
17. August Wartenbergschwinget, Muttenz
24./25. August Esaf, Zug
Die Akteure
Zurfluh Damian (Jahrgang 1978; Fahrzeugschlosser; Buckten). Er Jahrgang 1978; Fahrzeugschlosser; Buckten). Erfolge: Eidgenössische Kränze 2004 und 2007 (je 75 Punkte); Sieger Nordwestschweizerisches Schwingfest 2010; total 5 Kranzfestsiege und 69 Kränze.
Girod René (Jahrgang 1939; Maurer, Polizist; Koch, Hotelier; Sissac , Polizist; Koch, Hotelier; Sissach). Erfolge: Mehrfacher Kranzgewinner an Kant. Schwingfesten BL, BS und SO sowie Nordwestschweiesultat 3. Rang in Dornach), 1. Rang an allen Bezirks-zerischen Schwingfesten (Bestr schwingfesten BL, Teilnahme an zwei Eidgenössischen Schwingfesten (1961 Zug und 1964 Aarau, wo er alle acht Gänge geschwungen und einen eidge r alle acht Gänge geschwungen und einen eidgenössischen Kranz knapp verpasst hat), Ehrenmitglied Schwingklub Muttenz. enmitglied Schwingklub Muttenz.
Gerber Andrj (Jahrgang 2000; Zimmermann; Zimmermann; Rothenfluh). Erfolge: Kranzgewinn am Basellandschaftlichen Kantonalschwingfest 2017 in Ober en Kantonalschwingfest 2017 in Oberdorf.
Graber Matthias (Jahrgang 1980; techn. Kaufmann; Läufelfingen). Jahrgang 1980; techn. Kaufmann; Läufelfingen). Erfolge: Eidgenössisches Schwing- und Älplerfest Burgdorf; 3 Kränze. T dorf; 3 Kränze. Technischer Leiter Basellandschaftlicher Kantonalschwingerverband (BLKSV).