«Schulfrei» bis die Kesb eingriff
15.03.2019 Bildung, EptingenSebastian Schanzer
«Sie hat gelesen, gelesen und gelesen. Sie hat unheimlich viel gelesen.» In den neun Monaten, in denen Sibylle* eigentlich die Sekundarschule Sissach hätte besuchen müssen, tatsächlich aber zu Hause auf einem Eptinger Bauernhof – einige Kilometer ...
Sebastian Schanzer
«Sie hat gelesen, gelesen und gelesen. Sie hat unheimlich viel gelesen.» In den neun Monaten, in denen Sibylle* eigentlich die Sekundarschule Sissach hätte besuchen müssen, tatsächlich aber zu Hause auf einem Eptinger Bauernhof – einige Kilometer vom Dorf entfernt – verweilte, habe sich die heute 13-Jährige eifrig selbst weitergebildet, sagte Sybilles Mutter an der gestrigen Verhandlung vor dem Strafgericht in Muttenz.
Ihr und ihrem Mann wird vorgeworfen, die Fürsorge- und Erziehungspflicht verletzt zu haben, weil sie das Kind zwischen August 2017 und Mai 2018 von der öffentlichen Schule ferngehalten haben. Damit hätten die Eltern willentlich die geistige und seelische Entwicklung ihrer Tochter gefährdet, wie es im entsprechenden Strafbefehl heisst. Erst, als die Bildungsbehörden eine Gefährdungsmeldung bei der zuständigen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) machten, kam es zu einer für alle Parteien akzeptablen Lösung. Sibylle ist seit Mai 2018 offiziell bei einer Pflegefamilie in Oberdorf untergebracht. Zunächst wurde sie in einem Sondersetting an der Primarschule Oberdorf beschult, seit dem Schuljahr 2018/19 besucht sie dort die Sekundarschule.
Zwei rote Ampeln
Warum die Eltern das Kind nicht, wie vom Amt für Volksschulen (AVS) verfügt, die Sek Sissach besuchen liessen, erklärte der Vater gestern wie folgt: «Wir standen vor zwei roten Ampeln. Nach Sissach dürfen wir unsere Tochter nicht schicken, weil der Schulweg unzumutbar ist.» Der Landwirt verwies auf ein Bundesgerichtsurteil aus dem Jahr 2016. Damals beurteilte die höchste gerichtliche Instanz Sibylles Schulweg vom Hof der Familie in die Primarschule Bennwil als unzumutbar und verpflichtete die Gemeinde Eptingen dazu, zumindest teilweise für die Transportkosten der Eltern aufzukommen.
«Und für die Sek Waldenburgertal in Oberdorf hat der Kanton Sibylles Aufnahme verweigert.» Tatsächlich erhielt der Bauer in Oberdorf sogar ein Areal- und Hausverbot, nachdem er mehrere Male mit seiner Tochter an der Sekundarschule Waldenburgertal erschienen war und forderte, Sibylle sei dort zu beschulen. Dies beantragte er indes schon Ende 2016. Die Schule in Oberdorf sei nämlich bedeutend näher an seinem Hof gelegen als jene in Sissach, der Schulweg somit zumutbar. Das AVS liess den Wunsch aber unbeachtet. Der Regierungsrat wie auch das Kantonsgericht stützten die Zuteilung von Sibylle nach Sissach.
Über die Zumutbarkeit des Schulwegs wollte Gerichtspräsident Beat Schmidli gestern allerdings gar nicht erst diskutieren. Es ging lediglich darum, ob der angefochtene Strafbefehl zu Recht erlassen worden ist. Sein Urteil fiel klar aus: Das Ehepaar ist schuldig und wird zu einer bedingt vollziehbaren Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 60 Franken verurteilt, bei einer Probezeit von zwei Jahren. Die im Strafbefehl zusätzlich erlassene Busse von je 1000 Franken wurde durch den Richter allerdings aufgehoben. So haben die beiden die Verfahrenskosten von insgesamt gut 900 Franken und eine Gerichtsgebühr von 1000 beziehungsweise 500 Franken zu bezahlen – je nachdem, ob sie den Fall weiterziehen oder nicht.
Tochter wohnt noch in Eptingen
Wenn der Fall auch kein gravierender sei, so hätten die Eltern doch verwerflich gehandelt, begründete Schmidli sein Urteil. «Sie stellen ihre eigenen Vorstellungen über Anordnungen der Behörden. Das ist ein querulatorisches Vorgehen», sagte der Gerichtspräsident, «auf Kosten des Kindes.»
Dem hielt der Bauer entgegen, dass die Tochter in Oberdorf mittlerweile beste Noten schreibe und dort gut aufgehoben sei. Auf Nachfrage sagt er: «Sie fährt nun mit dem gleichen E-Bike nach Oberdorf, mit dem sie zuvor nach Bennwil gefahren ist. Und wenn das wegen Schnee oder Unwetter nicht möglich ist, nehmen wir den Traktor.» Die Tochter wohnt nach wie vor auf dem Hof in Eptingen und nicht bei einer Pflegefamilie in Oberdorf, wie der Bauer bestätigt.
* Richtiger Name der Redaktion bekannt.