«Die Trinkwasserinitiative geht uns zu weit»
22.02.2019 Baselbiet, Hölstein, LandwirtschaftBauernverbandspräsident Andreas Haas zur Agrarpolitik 22 des Bundesrats
Die schweizerische Landwirtschaft steht vor namhaften Herausforderungen. Mit seiner Agrarpolitik AP 22+ will der Bundesrat die Rahmenbedingungen verbessern. Die «Volksstimme» hat mit Andreas Haas, dem Präsidenten ...
Bauernverbandspräsident Andreas Haas zur Agrarpolitik 22 des Bundesrats
Die schweizerische Landwirtschaft steht vor namhaften Herausforderungen. Mit seiner Agrarpolitik AP 22+ will der Bundesrat die Rahmenbedingungen verbessern. Die «Volksstimme» hat mit Andreas Haas, dem Präsidenten des Bauernverbands beider Basel, über die Vision des Bundesrats gesprochen.
Elmar Gächter
«Volksstimme»: Herr Haas, was beschäftigt die Baselbieter Landwirte zurzeit am meisten?
Andreas Haas: Im Moment fragen sich viele von uns, ob wir nach dem trockenen und grasmässig wenig ertragreichen Sommer für unsere Tiere noch genügend Futter bis in den Frühling haben. Und für jene, die Milch produzieren, ist einmal mehr der aktuell tiefe Milchpreis ein grosses Thema.
Und was sagen die Bauern zur vorgesehenen «Agrarpolitik 22+»?
Dieses 160-seitige Werk schlägt bei unseren Mitgliedern noch keine hohen Wellen. Spricht man die Landwirte jedoch darauf an, stossen viele der vorgesehenen neuen Rahmenbedingungen eher auf Skepsis. Unsere Mitglieder sehen durchaus gewisse Defizite bei den heutigen Lösungen, fragen sich aber, ob man die Agrarpolitik wirklich schon wieder neu ausrichten muss. Die Landwirte sind ja immer noch daran, sich mit den heutigen umfangreichen Regelungen zurechtzufinden, und schon will man wieder da und dort schrauben und noch höhere Anforderungen stellen, um überhaupt Direktzahlungen zu gewähren.
Stichwort Direktzahlungen. Mit der «AP 22+» will der Bundesrat die Direktzahlungen an die Betriebe auf 250 000 Franken jährlich begrenzen und damit verhindern, dass noch mehr Geld zu den grossen Betrieben fliesst.
Beim letzten Agrarprogramm wurde ein Systemwechsel vollzogen, indem man die Tierbeiträge abgeschafft und die Direktzahlungen auf die landwirtschaftliche Nutzfläche umgelegt hat. Dabei profitieren die grossen Betriebe mehr als die eher kleineren mit vielen Tieren oder der Obstbau mit wenig Fläche. Bei uns im Baselbiet gibt es, wenn überhaupt, nur wenige Betriebe, die dank des Systemwechsels deutlich mehr Geld erhalten haben. Wir im Landwirtschaftsrat sind klar gegen die Einführung einer Obergrenze. Das heutige Limit von maximal 70 000 Franken pro Standardarbeitskraft genügt als Obergrenze.
Ein grosses Thema ist die Trinkwasserinitiative. Der Bundesrat sieht, obwohl er sie grundsätzlich ablehnt, in der «AP 22+» verschiedene Massnahmen im Sinne der Initiative vor.
Es ist wohl allen in der Landwirtschaft Tätigen klar, dass es im Bereich Pflanzenschutz Defizite gibt. Deshalb beteiligen wir uns auch überzeugt am Aktionsplan Pflanzenschutz, den der Bund vor rund zwei Jahren mit über 50 Massnahmen lanciert hat. Diese Aktion trägt mit dazu bei, dass der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft bereits massiv abgenommen hat. Die Trinkwasserinitiative geht uns jedoch eindeutig zu weit. Mit einer Annahme wäre der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln für Betriebe mit Direktzahlungen generell verboten. Von diesem Verbot wären auch nicht synthetische Pflanzenschutzmittel betroffen, die unter anderem in Biobetrieben eingesetzt werden. Dies würde auch die Produktion von biologischen Lebensmitteln stark einschränken. Die Folge wären je nach klimatischen Bedingungen Ernteausfälle bis zu 40 Prozent oder noch mehr, die man mit Importen kompensieren müsste. Wäre das besser? Ich will dies nicht beurteilen, bin aber sicher, dass die Ertragssicherheit verloren geht.
«AP 22+» will die Innovation des Unternehmertums fördern und neue Produktionsformen wie Insekten- und Algenzucht fördern. Was halten Sie davon?
Unsere Landwirte sind durchaus in der Lage, auf die Nachfrage nach bestimmten Produkten entsprechend zu reagieren. Wir haben auch im Baselbiet innovative Bauern. Wichtig ist, dass man dem Unternehmertum nicht allzu strenge gesetzliche Schranken auferlegt. So erlaubt das Lebensmittelgesetz neu auch die Möglichkeit, Mehlwürmer als Nahrungsmittel anzubieten. Da sind wir durchaus dafür, aber Tatsache ist auch, dass nicht alle Betriebe nur Nischenprodukte fabrizieren können. Wir haben nach wie vor, insbesondere im Oberbaselbiet, sehr viel Gras, das verwertet werden muss. Und die sinnvollste und effizienteste Möglichkeit dazu ist halt immer noch, daraus Milch zu produzieren. Wenn dies wirtschaftlich nicht mehr interessant ist, haben wir ein grösseres Problem.
Die Vorlage will Anpassungen beim bäuerlichen Boden- und Pachtrecht. Es soll gelockert werden, um auch Stiftungen, Vereinen oder Quereinsteigern den Zugang zu landwirtschaftlichem Grundeigentum zu erleichtern.
Da sind wir klar dagegen, weil wir uns mit dieser Lockerung ein Riesenproblem aufhalsen. Es geht um nichts weniger als um das Fundament der Landwirtschaft. Das geltende Recht ist ja aus klaren Gründen restriktiv. Wollen wir wirklich, dass der landwirtschaftliche Boden zum Spekulationsobjekt wird? Wollen wir Verhältnisse wie in Ostdeutschland, wo die landwirtschaftlichen Flächen mehr und mehr Grossinvestoren gehören? Wenn wir hier lockern, spielen wir mit dem Feuer. Und zu den Quereinsteigern: Diese Möglichkeit besteht schon heute, Voraussetzung ist einfach, dass sie eine landwirtschaftliche Ausbildung mitbringen.
Bäuerinnen und Landfrauen beziehen in vielen Betrieben keinen Lohn und sind sozial nicht abgesichert. Die «AP 22+» will dies regeln. Nur wer die Ehepartner sozial absichert, soll noch Direktzahlungen erhalten.
Die soziale Absicherung ist auch aus unserer Sicht ein wichtiger Punkt. Die Frage ist nur die, ob man die vorgeschlagene Lösung als eigentliche Pflicht einführen will. Wir müssen uns bewusst sein, dass verschiedene Betriebe finanziell gar nicht so viel erwirtschaften, um genügend Mittel für die Umsetzung dieser Forderung zu generieren. Bei vielen jüngeren Familien ist die Entlöhnung der Bäuerinnen jedoch heute schon selbstverständlich, nicht zuletzt wegen der Mutterschaftsversicherung.
14 Milliarden Franken für die «AP 22+»
emg. Mit der Agrarpolitik AP 22+ will der Bundesrat die agrarpolitischen Rahmenbedingungen in den Bereichen Markt, Betrieb und Umwelt verbessern. Damit soll die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft Chancen eigenständiger und unternehmerischer nutzen können. Zur finanziellen Unterstützung sieht er für 2022 bis 2025 insgesamt 13,9 Milliarden Franken vor.
Trinkwasserinitiative
emg. Die eidgenössische Volksinitiative «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung» verlangt, dass nur noch diejenigen Landwirtschaftsbetriebe mit Direktzahlungen oder Subventionen unterstützt werden, die keine Pestizide einsetzen, die in ihrer Tierhaltung ohne prophylaktischen Antibiotikaeinsatz auskommen und die nur so viele Tiere halten, wie sie ohne Futtermittelimporte ernähren können.