Leutenegger Oberholzer tritt ab
07.12.2018 BaselbietFür die Kämpferin ist Bundesratswahl «historisch»
vs. Susanne Leutenegger Oberholzer hat gestern ihre letzten Bundesratswahlen als Nationalrätin erlebt. «Das ist ein historischer Moment!», rief sie kurz nach der Wahl der beiden Bundesrätinnen. Kämpfte sie während ...
Für die Kämpferin ist Bundesratswahl «historisch»
vs. Susanne Leutenegger Oberholzer hat gestern ihre letzten Bundesratswahlen als Nationalrätin erlebt. «Das ist ein historischer Moment!», rief sie kurz nach der Wahl der beiden Bundesrätinnen. Kämpfte sie während ihrer politischen Karriere doch immer gegen eine männliche Übermacht.
Doch nicht nur die Wahl zweier Frauen in den Bundesrat lässt Leutenegger Oberholzer triumphierend das politische Parkett verlassen. Denn nachdem sie gestern ihren letzten Tag im Nationalrat hatte, wird mit der 24-jährigen SPlerin Samira Marti eine junge, linke Frau in ihre Fussstapfen treten.
Kämpfen, bis es nicht mehr geht
Susanne Leutenegger Oberholzer hört in Bern auf: Sie geht im Triumph
Als Susanne Leutenegger Oberholzer ein Mädchen war, durfte ihre Mutter noch nicht abstimmen. Im Nationalrat erlebte sie, wie Elisabeth Kopp, die erste Frau im Bundesrat, aus dem Amt gejagt wurde. Sie war dabei, als Ruth Metzler Christoph Blocher weichen musste.
Philipp Loser
Ein politisches Leben lang hat SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer (70) gegen eine männliche Übermacht gekämpft. Ein politisches Leben lang hat sie erfahren, wie schwierig es als Frau in der Politik sein kann. Wie schwierig es Frauen in der Politik gemacht wird. Und nicht nur dort.
Und nun dieses Ende. Am Donnerstag war ihr letzter Tag als Nationalrätin und sie geht im Triumph. Sie geht glücklich. «Das ist ein historischer Moment!», ruft sie tags zuvor in der Wandelhalle kurz nach der Wahl der zwei neuen Bundesrätinnen. Ein Moment, der alles verändere. «Irreversibel», nennt ihn die Baselbieterin und meint damit die Selbstverständlichkeit, mit der Viola Amherd (CVP) und Karin Keller-Sutter (FDP) in den Bundesrat gewählt wurden. Ohne Spielchen, ohne Sprengkandidaten. Einfach so. «Weil es zwei gute Kandidatinnen waren.»
Ihre Freude über den historischen Frauentag will SLO, wie sie in Bern genannt wird, mit allen teilen, jetzt, sofort, überall. Zum Beispiel am Apéro der neuen Bundesrätinnen, wo die Frauenfrage das bestimmende Thema ist. Wer das Glück hat (oder den Mut), sich am Apéro neben Leutenegger Oberholzer zu stellen, der erlebt in wenigen Augenblicken, warum die Baselbieterin in den vergangenen Jahrzehnten im Bundeshaus genauso geachtet wie gefürchtet wurde. Sie lässt sich nichts bieten. Von niemanden.
Opfer ihres Zorns heute ist der Zuger Ständerat Joachim Eder (FDP). «Susanne, die Frauen wurden heute auch dank uns Männern gewählt!», sagt Eder und beginnt damit einen Streit, den er nicht gewinnen kann. Eder ist für Leutenegger Oberholzer ein Beispiel dafür, dass die Männer sich nicht wirklich geändert haben. Sie haben sich der Kraft des Faktischen gebeugt, dem Druck der Frauen, dem Druck der Öffentlichkeit. Aber es bleiben Männer. Und das lässt sie den Innerschweizer Ständerat jetzt spüren. Von euphorisch-überschäumend zum verbissenen Infight mit dem politischen Gegner: Bei Susanne Leutenegger Oberholzer dauert das nur wenige Sekunden.
Meist ganz vorne mit dabei
Es ist ein wiederkehrendes Muster, ein Relikt aus vergangenen Zeiten, als die Auseinandersetzungen noch härter waren als heute – und es liegt in ihrer Biografie begründet. Als linke Frau in einem bürgerlichen Land musste sie immer etwas mehr machen als die Männer rund um sie herum. Leutenegger Oberholzer hat zwei Universitätsabschlüsse, einen in Wirtschaft und einen in Recht, sie hat als Wirtschaftsjournalistin gearbeitet, als Advokatin und Richterin und daneben immer Politik gemacht. Als junge Frau trat sie den Progressiven Organisationen («Poch») bei, sass für die «Poch» von 1987 bis 1991 im Nationalrat. «Ich verdanke der ‹Poch› unglaublich viel. Mein eigenständiges Denken, alles immer zu hinterfragen, keine Angst vor Autoritäten zu haben – das habe ich in der ‹Poch› mitbekommen.»
Zwei Jahre nach dem Untergang der Progressiven Organisationen wechselte sie zur SP und schaffte es innerhalb weniger Jahre, zu einer der bestimmenden Figuren der Sozialdemokraten zu werden; nicht nur im Baselbiet, sondern national. 1999 wurde sie wieder in den Nationalrat gewählt, zwei Jahre später gab sie der leidigen Geschichte um den Untergang der Swissair ein politisches Gesicht.
Die Geschichte von Susanne Leutenegger Oberholzer ist zu grossen Teilen die Geschichte der Schweiz. Die neu diskutierte Geschlechterfrage, die Abschaffung des Steuergeheimnisses, die grossen Staatsinterventionen bei der Swissair und später bei der UBS: bei den meisten grossen Umwälzungen der vergangenen 20 Jahre war Leutenegger Oberholzer dabei, und meistens ganz vorne.
«Die grossen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte sind erstaunlich positiv», sagt die Politikerin. Es sei ein guter Moment, um sich von der politischen Bühne zu verabschieden.
Die Geschichte geht weiter
Dass Leutenegger Oberholzer für ihr Engagement auch einen Preis bezahlt hat, ist allen klar, die sie in den vergangenen Jahren begleitet haben. «Susanne ging es nie um sich selber», sagt die Sissacher Nationalrätin Maya Graf (Grüne), «sondern immer nur um die Sache.»
Dass sie sich dabei selber etwas vergessen hat, ist Begleiterscheinung eines rasenden Lebens. Während der Sessionen sass sie entweder an ihrem Platz im Nationalratssaal oder an ihrem Arbeitsplatz in der Wandelhalle. Aktenstudium statt lockerer Plausch mit den Fraktionskolleginnen und -kollegen. Das hatte zwei Folgen: Leutenegger Oberholzer war extrem dossiersicher und konnte selbst die kompliziertesten Fragen spontan beantworten. Gleichzeitig blieb sie eine etwas solitäre Figur in Bern. Geachtet. Gefürchtet.
Was sie jetzt machen will, weiss sie noch nicht so genau. Loslassen ist ein Prozess. Dabei hilft, dass sie weiss, wer künftig ihren Platz einnehmen wird: Samira Marti, 24-jährige SP-Politikerin. «Für einen Mann wäre ich nie zurückgetreten, das war immer klar», sagt Leutenegger Oberholzer. Dass ausgerechnet Marti sie ersetzt, scheint eine glückliche Fügung. Eine junge linke Frau wie Samira Marti gegen eine bürgerliche männliche Mehrheit: Die Geschichte von Susanne Leutenegger Oberholzer in Bern geht weiter – auch wenn sie selber nicht mehr dort ist.
Philipp Loser arbeitet beim «Tages-Anzeiger».